Donnerstag, 25. April 2024


Teil 7: Die Rote Armee

Zwischen sechs und sieben Uhr abends sahen wir die ersten Russen auf der Straße, und im Nu wimmelte es von ihnen und ihren Gespannen, zwischen vielen toten Pferden von den letzten Kämpfen. Wir gingen in die Klinik, um zu sehen, wie es dort stand. Schon auf dem kurzen Weg wurden uns Uhren und Schmuck abgenommen. Ein Russe riss Fritz die Brille von der Nase, als er sich wehren wollte, legte der Russe sofort sein Gewehr an.

Von Dietrich Möller | 05.12.2004
    Susanna Müller, die Frau eines Arztes in Königsberg, über ihre erste Begegnung mit Soldaten der Roten Armee. Eine ähnliche Erfahrung macht Erich Pusch, damals ein 14-jähriger Junge, in Danzig.

    Der erste, den ich sah, kam vorsichtig in den Keller, mit der Maschinenpistole im Anschlag. Sein Gesicht war ganz schwarz. Er sagte nur: "Nemetzki soldatt" - er suchte deutsche Soldaten. Er verschwand schnell und kam mit einer ganzen Meute zurück. Sie nahmen den Leuten die Uhren und Ringe ab und verließen dann gleich wieder den Keller.

    Georg Schroeter ist 16 Jahre, als er den Einmarsch im ostpreußischen Heilsberg erlebt:

    Der äußere Anblick war grauenvoll. Unrasierte, gedrungene Gesichter, Glatze, auf der eine Pelzmütze saß, speckige Uniform, im Koppel ein blanker Dolch und in der Hand eine Pistole. Aber von ihrem Benehmen waren wir angenehm überrascht. Sie begrüßten uns freundlich und sagten nur immer wieder: "Keine Angst, keine Angst", aber auch "Uhr, Uhr" und "Schnaps".

    Aus Heilsberg stammt auch Annemarie Handschuch. Von einem jungen Mädchen auf der Flucht hört sie ...

    ... dass sie bei ihrem Aufbruch von den Russen überrascht worden seien. Die seien gar nicht so schlimm gewesen, sie hätten ihnen noch beim Aufladen geholfen und dann allerdings zur Eile getrieben - mit einer scheußlichen Gebärde des Halsabschneidens: Wenn die anderen kämen...

    Willy Karting erinnert sich auch heute noch - mit 75 Jahren - gut an den März 1945:

    Als die ersten Russen reinkamen - die waren sogar sehr freundlich. Die haben sogar Kindern Schokolade gegeben. Ich sehe das so: Dass da die kämpfende Truppe war, die suchten nur nach Soldaten. "Germanski soldat", hieß es nur immer. Die nächsten hatten ja Zeit, und die gingen ja auch an die Frauen ran und an die Mädchen.

    Bei denen war so ein kleiner Leutnant mit einem weißen Schafspelz, der konnte fließend Deutsch.

    Marta Pede über ihre erste Begegnung mit Rotarmisten:

    Er saß in der Küche am Tisch und hat sich mit uns unterhalten, während die anderen räuberten. Ich fragte ihn, ob es noch schlimmer kommen könne, als es schon sei. Da zuckte er die schmalen Schultern und meinte, dies sei erst der Anfang.

    Die Soldaten, die am Nachmittag kamen, waren schon rauer. Sie wollten Uhren und Schmuck und suchten alle möglichen Winkel nach Schnaps ab. Nachts wurde es sehr schlimm. Die Russen waren zum Teil schon betrunken. Keine Frau von 15 bis 60 Jahren blieb verschont. Die Frauen und Mädchen weinten bitterlich. Die Russen kannten kein Mitleid.

    Aber diese, die danach kamen, das waren richtige Horden. Neben mir lag ein junges Mädchen, und die hat sich dann auch gewehrt und gesagt: Ich komm nicht mit, ich war schon dreimal. Hat mit dem Fuß aufgestampft und hat gesagt: Es ist Schluss. Und dann hat er sie rausgezerrt, nach draußen, und dann, am anderen Morgen, haben wir sie gefunden, mit dem Gewehrkolben erschlagen.

    So erinnert sich Elisabeth Fechter aus Königsberg, damals 13 Jahre alt. Über diese "zweite Welle" der Roten Armee wird fast nur noch Schreckliches berichtet. Erika Jonas erlebt sie in Tuchlinnen:

    Bald danach kam der nächste Trupp, in Filzstiefeln und weißen, blutverschmierten Schneehemden. Sie waren so grausam, wie sie aussahen, holten mehrere Männer aus dem Haus und erschossen sie im Hof.

    Der evangelische Pfarrer Ernst Diebel erlebt im oberschlesischen Ratibor den Einmarsch, am Karsamstag, dem 31. März 1945. Er notiert später:

    Ostermontag wird die Kirche geschändet, der Altar mit Kot verunreinigt, das Altargemälde zerschnitten, die Leuchter zerbrochen, das Altarkreuz zerschossen. Eine junge Frau sucht im Pfarrhaus Zuflucht. Ihre Verfolger wollen sie vor unseren Augen vergewaltigen. Wir stoßen ohne Unterbrechung den Hilferuf aus: Herr, erbarme dich! Herr, erbarme dich! Und immer lauter und beschwörender. Die Übeltäter lassen ab.

    Richard Grentz wird nach dem Kampf um Kolberg zu einer grauenvollen Arbeit herangezogen:

    Ich musste mit anderen die Toten in der Leichenhalle des Krankenhauses beerdigen. Der Leichengeruch war furchtbar, es waren 56 Frauen, drei Männer und einige Kinder. Die Frauen waren fast alle vergewaltigt.

    Meine Schwester und ich blieben verschont, aber meine Mutter vergewaltigten sie im Bad nebenan, auch meine hochschwangere Cousine. Es starben in diesen Tagen viele Menschen in unserem Haus, zuerst eine alte Frau. Sie wurde einfach in den Garten unter eine Tanne gelegt und mit Schnee zugedeckt. Bald wurde der Leichenhaufen größer und höher. Ja, es wurde viel geweint und gebetet. Hatte Gott uns vergessen?

    Alma Jelitte aus Schönwald in Oberschlesien wird mit ihren Kindern und anderen Flüchtlingen auf dem Treck von der Roten Armee überrollt und ist auf dem Wege zurück in ihren Heimatort. Hungrig passiert die kleine Gruppe ein sowjetisches Militärlager.

    Mit unseren vier Jüngsten an der Hand ging ich auf die Wache am Lagereingang zu, und mit Zeichensprache versuchte ich, dem Wachhabenden verständlich zu machen, wie hungrig wir waren. Inzwischen war ein Offizier gekommen, der deutsch sprach. Er forschte uns nun aus. Ich sagte, dass wir noch weitere sieben Personen auf der Straße seien. Da ging er in die Küche, kommandierte auf russisch und siehe da, wir bekamen einen großen Topf voll Suppe mit Fleisch und Graupen drin. Er half mir noch tragen. Als wir schon beim Abfahren waren, kam noch ein Soldat und brachte uns einen Laib Brot. Wir dankten ihm und ich im Stillen auch Gott für soviel Hilfe von Menschen, die unser Volk bekämpft hatte.