Freitag, 19. April 2024


Teil I: Polen

Bei den Worten Vertreibung, und vor allem deutsche Vertriebene, zuckt Krzysztof Olendzki sichtlich zusammen. Das sei doch nur eine These, meint der polnische Historiker und Vizekulturminister, genauso übrigens, wie die Berliner Vertreibungsausstellung "Erzwungene Wege" nur als eine Provokation verstanden werden könne:

Von Thomas Rautenberg | 20.08.2006
    "Das uns eine solche Vision der Geschichte dargestellt wurde, war für uns nicht akzeptabel und hat uns einen moralischen Schock versetzt. Die Folge war, dass unser Elan für dieses Thema eingeschlafen ist. Gegenüber dieser Haltung muss man viele Sachen durchdenken und neu bewerten. Ich persönlich jedenfalls bin wegen der Ereignisse niedergeschlagen."

    Mit der Eröffnung der Ausstellung "Erzwungene Wege", die nicht nur organisatorisch die Handschrift des deutschen Vertriebenverbandes unter der Bundestagsabgeordneten Erika Steinbach trägt, ist die polnische Politik vollends in alte Rituale zurück verfallen. Es kann doch nicht sein, was nicht sein darf, erklärte Polens nationalkonservativer Präsident Lech Kaczynski die Exposition im Berliner Kronprinzenpalais zur Staatsaffäre:

    "Unsere Beziehungen zu Deutschland sind von unseren Interessen definiert. Nicht in unserem Interesse liegt eine Ausstellung über Vertreibungen an einem sehr repräsentativen Ort in der deutschen Hauptstadt. Und ganz bestimmt nicht in unserem Interesse liegt die Relativierung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs, und die Stimmen, die ihr das Wort reden, werden immer lauter."

    Mit mehr oder weniger amtlichen Weisungen an alle polnischen Institutionen, ihre Leihgaben an die Berliner Ausstellung sofort zurückzufordern, bemüht sich das offizielle Warschau von eigenen Versäumnissen der Vergangenheit abzulenken. Denn dass Erika Steinbach mit ihrer Schau und dem erklärten Ziel, ein Nationales Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin zu errichten, wieder einmal die politische Diskussion dominiert, hängt doch vor allem damit zusammen, dass die Regierungen, auch die polnische, dem deutschen Bund der Vertriebenen allein die Initiative überlassen haben.

    Statt mit einem Europäischen Netzwerk gegen Vertreibungen, wie es im Februar 2005 offiziell in Warschau ins Leben gerufen wurde, inhaltliche Positionen zu besetzen, wurde der Forschungsverbund gerade von den polnischen Nationalkonservativen der Kaczynski-Partei Recht und Gerechtigkeit PIS, als ein ungeliebtes Kind behandelt, räumt Polens Vizekulturminister Krzysztof Olendzki offen ein:

    "Die Idee dieses Netzwerkes wurde von der heute regierenden Koalition in Polen mit Skepsis wahrgenommen. Anfang 2006 hat der Minister einen Brief an die beteiligten Länder geschickt. Der Widerhall war mittelmäßig. Die slowakische Seite sagte, sie habe formelle Schwierigkeiten, Ungarn war offen und die deutsche Seite hat den Dialog und ein Treffen in Warschau davon abhängig gemacht, auf welche Akzeptanz die Ausstellung "Flucht, Vertreibung, Integration" treffen würde, die vom Haus der Geschichte präsentiert wurde."

    Eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Unrecht der Vertreibung, ja eine staatliche geförderte Forschung ist zumindest in Polen zum Erliegen gekommen. Sie passte auch nicht ins politische Bild einer Koalition aus Nationalkonservativen, erzkatholischen Nationalisten und Populisten, zu deren Vokabular immer noch antideutsche Vorbehalte und Töne zählen, beklagt der Politologe und Publizist Adam Krzeminski:

    "Bei uns, sowohl in den Medien als auch in der Politik, betrachtet man beispielsweise die Preußische Treuhand als Teil der deutschen Staatspolitik. Das trifft natürlich nicht zu, weil wir eine gemeinsame, staatliche, deutsch-polnische und auch juristische Interpretation haben, die klar sagt, dass solche Forderungen keine rechtliche Grundlage haben und das die deutsche Regierung Forderungen vor Gericht auch nicht unterstützen würde."

    Eine Differenzierung, die in der gegenwärtigen polnischen Regierungspolitik allerdings keine Berücksichtigung findet. Statt dessen werden Vorwürfe an die deutsche Seite formuliert, werden Exponate einer Ausstellung, die man inhaltlich gar nicht zur Kenntnis genommen hat, vorzeitig zurückgefordert und sehen Historiker, wie der frühere Außenminister Bronislaw Geremek, Polen und Deutschland vor einem Rückschritt in ihren Beziehungen:

    "Zwischen Polen und Deutschen passiert etwas Historisches. Die ganze Idee eines Nationalen Zentrums gegen Vertreibungen in Berlin, und Erika Steinbach, diese Frau, die damit politische Karriere machen will, machen einen Strich durch den psychologischen Prozess der Annäherung zwischen Polen und Deutschen. Das führt zu einem Bild der Deutschen als Opfer. Ich, als Historiker stelle aber die Frage: Ist das Erinnern derjenigen, die eine solche Ausstellung machen, tatsächlich so kurz? Für mich ist das ein Mechanismus der Vergewaltigung der Historischen Wahrheit."