Donnerstag, 25. April 2024


Teil II: Tschechien

"Im Moment ist das Haus vollkommen leer. Die Bauarbeiten können so bald wie möglich anfangen. Eine umfangreiche Renovierung, vom Dach bis zum Keller. Es wird sogar aufgestockt, das Gebäude. Es gibt neue Aufzüge, neue Abwasserleitungen. Alles ganz neu. Heizung, Wasser, Strom. Ein vollständiger Umbau, wie es dieses Gebäude noch nie erlebt hat."

Von Peter Hornung | 27.08.2006
    Václav Houfek ist durchaus etwas stolz auf diese kahlen alten Räume. Hier war bisher das Stadtmuseum von Usti nad Labem, dem früheren Aussig an der Elbe, untergebracht. Houfek ist hier wissenschaftlicher Angestellter. Aber im Augenblick heißt es auf einem Schild an der großen Holztür "Museum ist geschlossen". Das Gebäude aus dem Jahre 1878 wird im großen Stil umgebaut- und 2008 wiedereröffnet - mit einer ganz neuen Ausstellung, multimedial natürlich.

    "Die Hauptaufgabe ist die Einrichtung einer ständigen Ausstellung, die in einem breiteren Kontext (also nicht nur regional) die Geschichte der Deutschen in böhmischen Ländern zeigen wird. Uns ist allerdings dieses Jahr gelungen, einen öffentlichen Auftrag der tschechischen Regierung zu bekommen, ein Dokumentationszentrum aufzubauen, das Schicksal von deutschen Antifaschisten im früheren Sudetenland zu erforschen. Es gibt keine ständige öffentliche Ausstellung in Tschechien, die dem tschechisch-deutschen Verhältnis und der Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern so viel Raum bietet. Das wird ein Novum in der tschechischen Museumslandschaft."

    Im neuen Stadtmuseum soll auch das Collegium Bohemicum seinen Sitz finden. Eine Einrichtung, die vor allem aus Mitteln des tschechischen Staates und der Europäischen Union gefördert wird.

    "Das Projekt CB ist eine gemeinsame Institution der Uni und der Stadt und der Gesellschaft für die Geschichte der Deutschen in Böhmen.
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    Ausgerechnet ein Konservativer, der frühere Bürgermeister Petr Gandalovic, war treibende Kraft hinter dem Museum - gegen manche Widerstände in der Stadt. Er hat EU-Gelder, die eigentlich für den Ausbau der Infrastruktur der Stadt vorgesehen waren, für die Renovierung des Museums zur Verfügung gestellt. In Usti, wo es im Juli 1945 zu schlimmen Exzessen gegen die deutsche Zivilbevölkerung gekommen war, in dieser Stadt ist die Beziehung Tschechen - Deutsche noch immer nicht ganz einfach, sagt Kristyna Kaiserová. Sie ist Historikerin an der örtlichen Universität und Mitglied des Collegium Bohemicum.

    "Einerseits haben sich hier die Leute, glaube ich, ganz gut gewöhnt, dass hier Aktivitäten sind, die nirgends anders sind. Und dann ist auch selbstverständlich die ganz praktische Sicht. Könnte man nicht nur einen schönen Marktplatz bauen, anstatt so eine Exposition, oder die Straße besser machen oder ich weiß nicht was, das ist das Einfachste. Da fällt etwas zusammen und die wollen Geld reinstecken in so was."

    Dass sich in Tschechien Historiker mit der Vertreibung beschäftigen, ist nicht neu. Das sei ihr wichtig zu betonen, sagt sie.

    "Sogar Ende der 80er Jahre - schon vor 1989 - gab es einige Diplomarbeiten hier. Selbstverständlich etwas vorsichtig, die sich mit der Vertreibung befassten. Seit 1989 könnte man sagen, dass dieses Thema wirklich sehr breit erforscht wird."

    Die Leiterin der "Abteilung für Germanisch-slawische Studien" betreut selbst Diplom- und Doktorarbeiten, die sich mit diesen Themen befassen. Die Forschung an der Universität sei ohnehin nie problematisch gewesen, Widerstände hätte sie nie gespürt.

    "Die Forschung ist heute, selbst die historische Forschung, ist heute sehr weit. Denn das Allgemeine, das Gros, was man in den Archiven finden konnte, zu der Vertreibung global, dann geht man weiter zu dem Alltag, zu den Exzessen. Und ich finde das gar keine Hinderung, keine Probleme."

    Ein Hindernis, weshalb sich nicht mehr junge Historiker mit dem Thema Vertreibung beschäftigten, sei jedoch die Sprache. Viele junge Tschechen sprächen englisch, aber kaum deutsch, sagt Krystina Kaiserová.

    Matěj Spurný jedoch kann sie damit nicht gemeint haben. Der 27-Jährige ist Doktorand an der Prager Karls-Universität. Und er ist Leiter einer Initiative namens "Anti-Komplex". Den Komplex, den haben die Tschechen im Umgang mit den Deutschen, logisch, dass sie sich als Geschichtsstudenten dann so nannten, sagt Spurný.

    "Wir haben uns seit dem Ende der 90er Jahre als Studenten ganz stark für die kritische Auseinandersetzung mit der Vertreibung eingesetzt und haben dazu auch manche Seminare veranstaltet. Und das war für uns vor allem so eine moralische Frage."

    Das erste größere Projekt von Anti-Komplex war eine Fotoausstellung mit dem Titel "Das verschwundene Sudetenland". 2002 wurde sie das erste Mal gezeigt, und geht seither als Wanderausstellung durch Tschechien und durch Deutschland. Das "Vorher, nachher" wollen sie zeigen mit jeweils zwei Fotografien.

    "Bei den Fotopaaren gibt es immer ein altes Foto, ein neues Foto, auf dem alten Foto ist ein Ort, eine Stadt, eine Landschaft, ungefähr in der 20er, 30er Jahren, auf dem neuen Foto ist derselbe Ort aus dem selben Winkel, meistens so, wie wir es selbst fotografiert haben in den letzten Jahren."

    Eine Ausstellung, die den Menschen, die heute im früheren Sudetenland leben, zeigen soll, wie es früher dort aussah - und wie sich das Land verändert hat.

    "Und das ist, denke ich, ein Thema, mit dem man auch die Vertreibung als Problem an sich reflektieren kann, das aber gleichzeitig viel breitere Schichten interessiert hier, weil es um unser Land, um unsere Gesellschaft geht, nicht um eine intellektuelle historische Frage."

    Im Augenblick arbeitet die Spurny-Initiative an weiteren Projekten. An zwei Büchern zum Beispiel, einer Typologie der Landschaftsveränderungen im früheren Sudetenland und an einem Buch über die Lebensgeschichten von Menschen in diesen Gebieten. Über die Vertreibung zu forschen und dies der Bevölkerung nahe zu bringen, das sei inzwischen kein Problem mehr, sagt Spurný.

    "Zuerst war es natürlich nur eine kleine Minderheit, die dieses Thema diskutiert hat. Aber ich denke, das was am Anfang der 90er Jahre große Aufregung verursacht hat, das hat auch 2000 nicht mehr so eine große Aufregung verursacht. Und wenn man dasselbe heute hört, dann hört keiner zu, dann ist es kein Thema mehr."

    Die Gründe dafür seien nicht schwer zu finden. Die politische Diskussion sei eben fortgeschritten, dann gebe es auch einen Generationswandel. Und schließlich gehe es den Tschechen einfach besser.

    "Dieses Gefühl der Minderwertigkeit, das ist langsam vorbei. Und ich denke, die tschechische Gesellschaft wird zu einer ganz normalen selbstbewussten europäischen Gesellschaft, und die Reaktionen sind nicht mehr so allergisch, wie sie einmal waren."