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Teilchenphysik-Konferenz PANIC 2014
Physiker untersuchen seltsame Materie

Gerade mal 20 Kilometer groß, aber doppelt so schwer wie die Sonne: Neutronensterne zählen zu den bizarrsten Objekten im Kosmos. Sie entstehen, wenn ein Stern am Ende seines Daseins unter seinem eigenen Gewicht kollabiert. Manche Physiker vermuten, das Innere von Neutronensternen sei aus einer seltsamen Sorte von Elementarteilchen zusammengesetzt - sogenannte Strange-Quarks.

Von Frank Grotelüschen | 26.08.2014
    "Abgesehen davon, dass Physiker selber manchmal seltsam sind, hat der Begriff Seltsamkeit in der Physik eine ganz spezielle Bedeutung: Er bezieht sich auf Teilchen, die das sog. Strange-Quark enthalten."
    Quarks, erklärt die italienische Physikerin Catalina Curceanu, gelten als die Urbausteine der Materie: Alles um uns herum besteht aus den winzigen Elementarteilchen. Dabei verzeichnet der Baukasten der Teilchenforschung insgesamt sechs Quark-Sorten. Doch nur zwei davon sind stabil und bauen die Materie auf. Die anderen vier sind flüchtig und zerfallen sofort wieder, wenn man sie zum Beispiel in einem Beschleuniger erzeugt, in andere, stabile Elementarteilchen. Aber vielleicht ist einer der vier Exoten, und war das seltsame Strange-Quark, ja doch stabil – und zwar wenn die Bedingungen extrem werden.
    "Etwa im Inneren von Neutronensternen. Dort herrschen so gewaltige Drücke, dass die Materie auf eine enorme Dichte zusammengepresst wird: Ein Teelöffel mit Neutronenstern-Materie wiegt so viel wie ein Berg. Und dabei könnten sich gewöhnliche Quarks umwandeln in Strange-Quarks. Es könnte also sein, dass das Innere eines Neutronensterns buchstäblich aus seltsamer Materie besteht."
    Das Kalkül: Unter den extremen Druckbedingungen könnten die seltsamen Quarks den Neutronenstern fester zusammenhalten als die gewöhnlichen Quarks – weshalb sich Letztere freiwillig in ihre exotischen Cousins umwandeln. Nur: Was ist dran an der Sache? Keine einfache Frage, denn Neutronensterne lassen sich nicht einfach durchleuchten und schon gar nicht anbohren, um nachzuschauen, wie es in ihnen aussieht. Also sind die Fachleute auf das Sammeln von Indizien angewiesen – zum Beispiel auf Experimente an Teilchenbeschleunigern. In Frascati in der Nähe von Rom, am Nationalen Institut für Kernphysik, haben Catalina Curceanu und ihr Team ein solches Experiment aufgebaut. Mit diesem produzieren sie eine sehr spezielle Art von Atomen – seltsame Atome.
    "Zunächst erzeugen wir in unserem Beschleuniger einen Strahl aus Kaonen. Das sind kurzlebige Teilchen, die ein Strange-Quark enthalten, ein seltsames Quark. Diesen Strahl lenken wir durch eine Plastikflasche gefüllt mit Wasserstoff. Dabei tun sich die Kaonen kurzzeitig mit dem Wasserstoff zusammen und bilden ein exotisches Atom – ein Wasserstoffkern, der von einem Kaon umkreist wird. Dieses Kaon sendet Röntgenstrahlung aus, und die fangen wir auf. Diese Strahlung verrät uns, wie das Kaon, also das seltsame Teilchen, auf den Wasserstoffkern reagiert, also auf gewöhnliche Materie."
    Ein schwaches Wechselspiel zwischen seltsam und gewöhnlich würde dagegen sprechen, dass sich in einem Neutronenstern gewöhnliche Quarks in seltsame verwandeln. Ein starkes Wechselspiel dagegen würde diese Umwandlung für eher wahrscheinlich erklären – und die These eines seltsamen Neutronensterns stützen. Aber: Bislang liefern die Messdaten aus Italien noch kein klares Bild. Deshalb setzen Curceanu und ihre Leute ihre Messungen fort und bereiten zusätzlich ein neues, durchaus spektakuläres Experiment vor.
    "Wir wollen eine Art Mini-Neutronenstern im Labor erzeugen. Wir wollen versuchen, Strange-Quarks ins Innere von gewöhnlichen Atomkernen zu bringen. Bei uns in Italien wollen wir das versuchen, indem wir zunächst unsere seltsamen Atome herstellen und dann das umlaufende Kaon in den Wasserstoffkern abstürzen lassen. Forscher in Japan dagegen wollen einen deutlich ruppigeren Weg gehen: Sie wollen die Kaonen mit voller Wucht in Atomkerne hineinschießen, um dadurch zu simulieren, was im Herzen eines Neutronensterns passiert."
    Die Hoffnung: Womöglich fungieren die seltsamen Quarks im Atomkern als eine Art Klebstoff, wodurch sie ihn zusätzlich stabilisieren. Und das wäre dann ein deutliches Indiz, dass Neutronensterne in ihrem Innersten tatsächlich strange sind, als buchstäblich seltsam.