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Teilen und Tauschen
Sankt Martin hat seinen Mantel nicht vermietet

Über Airbnb vermieten Menschen, die etwas haben, an Menschen, die ohnehin gute Konsumchancen haben. Wirkliches Teilen sieht anders aus, findet die Historikerin Luise Tremel. Auf einem Symposium in Weimar wurde neue digitale Kultur des Teilens und Tauschens kritisch diskutiert.

Von Henry Bernhard | 09.06.2016
    Junge als Martin von Tours verkleidet bei einem Laternenumzug in Berlin.
    Die Ur-Figur des Teilens: Sankt Martin - hier bei einem Laternenumzug in Berlin. (dpa/picture alliance/Maurizio Gambarini)
    Es beginnt mit dem Programmheft. Die englische und die deutsche Fassung sind locker aneinandergebunden. Man solle doch, sagt die freundliche junge Frau am Empfang, den Teil, den man nicht braucht, jemandem abgeben. Teilen also. Drei Tage lang Teilen und Tauschen in Weimar. Die 600 Teilnehmer am Symposium sind zur Hälfte auch Mitwirkende, Vortragende, Referenten, Ideengeber. Das Goetheinstitut hat nicht gekleckert, sondern geklotzt: Ein üppiges Budget für 85 Veranstaltungen in drei Tagen, für die man sich mehrfach hätte teilen müssen, um alle zu erleben.
    Alle zwei Jahre will das Goetheinstitut nun ein Kultursymposium in Weimar ausrichten. Die Premiere war durchaus ein Erfolg. Sie bediente Wissenschaftler wie Laien, Alte wie Junge, Ökonomen wie Anthropologen. Es galt den Organisatoren, das Feld zwischen der Ökonomie, dem Öffentlichen, dem Privaten, der Religion, der Vernunft, dem Reichtum und der Armut zu vermessen und das Teilen und Tauschen einzuordnen. Der Präsident der Goethegesellschaft, Klaus Dieter Lehman, erklärte die Motivation für dieses Thema in seiner Eröffnungsrede:
    "Während früher das marktwirtschaftliche System meist nur ein Segment des Lebens betraf, nämlich die Produktion von Waren und Dienstleistungen, so erleben wir zunehmend Übersprungeffekte im großen Stil auf all unsere Lebensbereiche. Man kann von einem umfassenden Funktionalismus reden. Alles hat sich dem Gewinnbringenden und dem Nützlichen unterzuordnen. Es besteht die deutliche Gefahr, dass solche Denkmuster die Prinzipien einer Solidargemeinschaft gefährden können. Wenn die Ökonomie es wagt – und sie tut es –, mit wirtschaftlichen Analysen alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens zu erklären, dann nehmen wir uns die Freiheit, umgekehrt die Ökonomie anthropologisch oder kulturell zu betrachten."
    Das Private ist ökonomisch
    Das Private ist nicht mehr nur politisch, wie die 68er behaupten, sondern es ist auch ökonomisch. Auf mitunter verhängnisvolle Weise, wie die Kulturwissenschaftlerin Sigrid Weigel erklärte:
    "Ja, darüber gibt es ja sehr schöne Untersuchungen wie das, was man für Geld erwerben kann, dann sich immer mehr ausdehnt. Und das führt ja auch dazu, dass die ohnehin immer mehr wachsende Schere zwischen Arm und Reich auch noch schärfere Auswirkungen hat. Weil diejenigen, die heute verarmen, sind nicht nur arm, sondern, weil man immer mehr bezahlen muss, haben sie auch immer weniger Zugang zu Lebensbereichen. Insofern potenziert sich das, durch diese Ökonomisierung oder Monetarisierung ganzer Lebensbereiche."
    Der tschechische Ökonom mit Popkultur-Unterhaltungsqualitäten Tomáš Sedláček setzte dagegen, dass uns das Nicht-Ökonomische, Solidarische viel näher liege als oftmals vermutet. Unser Leben sei viel mehr nichtmonetär als monetär. Nur die Volkswirtschaftslehre wolle uns etwas anderes weismachen.
    Wenn wir nach Hause kämen, so Sedláček, würden wir unser Portemonnaie, unser Geld, unsere Kreditkarten ins Regal legen. Geld spiele zwar draußen überall eine Rolle, nicht aber im Kreise der Familie. Ebensowenig unter Freunden oder innerhalb einer Firma. Da würde Geld geradezu etwas Obszönes anhaften. Die größte Transaktion der Menschheit überhaupt, das Erbe der Eltern an die Kinder, geschehe vollkommen ohne Gegenleistung.
    "Sankt Martin hat seinen Mantel nicht vermietet, als er ihn gerade nicht brauchte"
    Dass der Generationenvertrag sehr wohl eine angemessene Gegenleistung bereithalte, ignorierte Sedláček. Auch Anhänger der These, dass unsere Ökonomie durch das Social Web in eine menschlichere Variante verwandele, weil aus jedem Konsumenten jederzeit oder parallel auch ein Produzent werden könne, der seine Arbeitskraft, sein Auto oder seine Wohnung vermiete, stießen auf Kritik. Besonders substantiell von der Historikerin Luise Tremel:
    "Also, wenn wir über Teilen sprechen, dann haben wir die Urfigur St. Martin. Und St. Martin hatte einen Mantel und hat den in die Hälfte geschnitten, weil jemand anderes keinen hatte; dann hatte er noch einen halben Mantel und der andere hatte auch einen halben Mantel. St. Martin hat nicht in einem Moment, wo er seinen Mantel nicht brauchte, den jemand anderem vermietet."
    Wirkliches Teilen, so Luise Tremel, habe transformatives Kapital, wenn dadurch weniger Ressourcen verbraucht würden, sich für die Tauschenden neue Ressourcen erschlössen und es zu echten Begegnungen zwischen ihnen käme. Tremel:
    "Für mich ist Teilen etwas, was ich normativ besetzen möchte. Und vieles, was hier als Teilen besprochen wird, ist für mich eigentlich kein Teilen. Also Airbnb, Uber ist in meinem Sinne, dass Menschen, die etwas haben, zum Beispiel eine Wohnung in einem schönen Stadtteil, das kapitalisieren, und Menschen, die ohnehin gute Konsumchancen haben, das günstig mieten, weil es in dem Stadtteil sonst keine Hotels gibt."
    Kritik an Rifkins Null-Grenzkosten-Gesellschaft
    So wurde auch der Vortrag des amerikanischen Soziologen und Ökonomen Jeremy Rifkin über die angebliche Null-Grenzkosten-Gesellschaft eher kritisch aufgenommen. Die schöne neue Welt nach Kapitalismus und Sozialismus würde nach Rifkin durch die umfassende Digitalisierung aller Wirtschaftsbereiche ungeahnte Ressourcen freisetzen.
    Jeremy Rifkin:
    "We have young people producing and sharing their own music. And what does it take you to produce? Almost nothing, just the electricity. And when you share this music with one person or a billion people in the web, for cero marginal cost, just the power on your cellphone and your service provider up."
    Junge Leute produzierten ihre eigene Musik fast ohne Kosten – und ob sie sie an einen oder an Millionen verbreiteten, sei faktisch egal. Kleine Firmen, die mit fast nichts agierten, könnten so Geld verdienen und es der alten Ökonomie zeigen. Für Luise Tremel blanker Zynismus:
    "Für mich ist Jeremy Rifkins Aussage, "Irgendwann ist alles so billig, dass es losgehen kann mit dem Teilen", unbefriedigend bis zynisch, weil natürlich das, was man grundlegend braucht, muss ja irgendwo herkommen! Also, wenn wir uns die Musikindustrie angucken, wo das, was Rifkin beschreibt, schon stattgefunden hat, haben wir manche große Stars, die sich über Konzerte finanzieren können, und alle anderen sind total prekarisiert. Das ist nur interessant, wenn wir irgendwann mal einen Staat haben, der ein Grundeinkommen zur Verfügung stellt. Wenn wir kein Grundeinkommen haben, dann haben wir irgendwann ein paar Airbnb-Milliardäre, ein paar Facebook-Milliardäre, ein paar Spotify-Milliardäre. Und der Rest sind Leute, die Inhalte oder Dinge zur Verfügung stellen, damit die anderen Leute die mit zero marginal cost immer weiter schicken! Und das finde ich absurd!"
    Staatliche Tausch-Infrastruktur gefordert
    Die Einsicht, dass das Teilen nötig sei, um schonender mit unseren Ressourcen umzugehen, einte wohl alle. Wiederholt forderten Teilnehmer des Symposiums eine staatliche Infrastruktur für Tauschhandlungen, vergleichbar mit öffentlichen Bibliotheken, die ihre Dienste ja auch fast kostenlos anböten. Erst dann könnte das Teilen und Tauschen eine wirtschaftlich und gesellschaftlich, aber auch ökologisch signifikante Größe bekommen.
    Ein paar bepflanzte Verkehrsinseln, ein paar Carsharing-Firmen und ein paar Internet-Sharing-Plattformen brächten noch nicht die neue Qualität mit sich, die unseren Ressourcenverbrauch wirklich erkennbar senken würde. Dies aber müsse das letzte Ziel jedes Teilens und Tauschens sein. Ärmere Gesellschaften seien uns da aus schierem Mangel schon weit voraus. Das Weimarer Symposium des Goetheinstituts war zumindest ein guter Anfang.