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Telekommunikation
Wie der chinesische IT-Konzern Huawei in Deutschland Fuß fasst

In Australien und den USA ist Technik aus China seit Langem ein Politikum. Firmen wie Huawei gelten als Sicherheitsrisiko oder als getarnte Spione der kommunistischen Partei. In Deutschland hingegen steht man dem chinesischen Telekom-Konzern weniger kritisch gegenüber.

Von Astrid Freyeisen | 16.02.2014
    Fernöstliche Volksmusik, gespielt von der Munich Brass Connection, dann eine Akrobatin, die auf dem Rücken liegend mit Vasen und Tischen jongliert – großartige Stimmung beim bayerisch-chinesischen Frühlingsfest in der alten Münchner Kongresshalle an der Theresienwiese. Hauptsponsor: Huawei aus Shenzhen bei Hongkong. Wer kennt schon diese Firma, die die Welt der Telekommunikation regelrecht aufrollt? Kaum wer. Und wenn, dann oft aus falschen Gründen, findet Walter Haas, Huaweis Technikchef in Deutschland:
    "Natürlich, es ist immer, wer hat nicht Angst vor Google, wer hat nicht Angst vor den großen Unternehmen, das liegt im Naturell des Menschen, das ist vollkommen klar. Mittlerweile zählen wir zu den größten Telekommunikations- und IT-Ausrüstern in der Welt. Auch in Deutschland hat sich unser Geschäft sehr sehr erfolgreich entwickelt und wir sind in aller Munde."
    Und wie. Der chinesische Konzern ist ein stiller Riese – gegenwärtig überall da, wo neue Leitungen verlegt werden. Alle deutschen Mobilfunkanbieter rüsten sich mit Huawei-Produkten aus. Etwa beim Bau des schnellen LTE-Funknetzes. Auch in den Datenautobahnen von M-Net steckt bis zu 50 Prozent Huawei. Das heißt: Chinesische Technik versorgt weite Teile Bayerns, von München, Augsburg, Nürnberg und Würzburg, bis hin nach Ulm und ins hessische Gelnhausen. Betrieben wird das Geschäft von 1700 Mitarbeitern quer durch Deutschland, die Hälfte von ihnen Hochqualifizierte in Forschung und Entwicklung, sagt Walter Haas:
    "Ja, in Nürnberg haben wir ein Mobilfunk-Betriebszentrum, im oberfränkischen Bamberg werden Kunden in ganz Zentraleuropa mit Technologie-Knowhow versorgt."
    Juni 2012, das internationale Wirtschaftsforum von Sankt Petersburg. Ein Chinese Mitte 60, grauer Anzug, rot-weiße Rauten-Krawatte, liest in seiner Muttersprache eine kurze Rede vor. Er wirkt hoch konzentriert, ja gar äußerst angestrengt. Es ist Ren Zhengfei, der Gründer der Firma Huawei. Man spürt: Der Mann ist Öffentlichkeit nicht gewohnt. Tatsächlich hat er zu diesem Zeitpunkt noch nie ein Interview gegeben:
    "Wir müssen der Menschheit nutzen und positiv gegenüber der Datenflut eingestellt sein. Nicht nur auf ihre Schwierigkeiten schauen. In den nächsten 50 Jahren werden sich die Gesellschaften stärker verändern als in den vergangenen 5000 Jahren. Alle Länder konkurrieren dabei miteinander: Es geht um die Schnelligkeit, Bildung und soziales Miteinander anzubieten. Ohne Internet wäre dies unmöglich. Die Informationstechnik entwickelt sich aber viel schneller als die Sicherheitsnetze. Wir können uns unmöglich gegen die Datenflut schützen. Wir werden verletzbar bleiben. Die ganze Industrie ist Sicherheitsrisiken ausgesetzt."
    Und dies ist ein Problem. Denn Ren Zhengfei gilt als verdächtig. Er war Ingenieur der chinesischen Volksbefreiungsarmee, bevor er 1987 praktisch aus dem Nichts privater Unternehmer wurde und Huawei gründete.
    Die Angst vor den Spionen
    In Australien und den USA ist Technik aus China seit Langem ein Politikum. Firmen wie Lenovo, ZTE und eben auch Huawei haben dort kaum eine Chance auf öffentliche Aufträge – sie gelten als Sicherheitsrisiko, gar als getarnte Spionage-Kolonne der kommunistischen Partei. Jedenfalls behaupten das die US-Behörden. Anderthalb Jahre haben sie das Innenleben von Huawei-Produkten nach Beweisen abgesucht – vergeblich. Dennoch beharren die Amerikaner auf ihren Vorwürfen. In Australien werfen Medien den Chinesen Korruptionsversuche vor: Mit viel Geld und teuren Geschenken sollen sie Politiker bestochen haben, um Huawei von einem Bann beim Bau von Breitbandnetzen zu befreien.
    Wie ist die Stimmung bei uns? In Berlin gründete die Mercator-Stiftung im November 2013 die erste deutsche Denkfabrik, die sich ausschließlich mit dem Phänomen China beschäftigt. Sie heißt Merics mit Sitz in einem Jugendstilgebäude in Berlin-Mitte. Die Forschungsgruppe Wirtschaft leitet Marc Szepan. Huawei ist für Szepan ein typisches Beispiel, wie schwer sich die Welt mit der neuen Wirtschaftsmacht tut:
    "Die Vorwürfe gegenüber Huawei - die sind Handlager der chinesischen Regierung oder die spionieren aktiv – ich glaub, da muss man sehr vorsichtig sein, ob die auch wirklich tragfähig sind. Ich denke, es ist in der Tat so, dass chinesische Firmen überproportional schnell verdächtigt werden. Und wenn man dann wenig kommuniziert, dann erweckt man sehr schnell den Eindruck, dass es da etwas zu verstecken gibt."
    Was haben die Chinesen zu verstecken – sind sie die Hacker?
    Wir treffen Michael George. Ausgebildet beim BND, leitet Michael George die neue Cyber Allianz des bayerischen Verfassungsschutzes. Die soll Firmen beraten, wie sie sich am besten vor Angriffen schützen.
    "Also ich würde es gern mal vom Thema Cyber Sicherheit runterbrechen auf das Thema Wirtschaftsspionage. Da ist es ja so, dass wir darauf angewiesen sind, was uns die Wirtschaft an Vermutungen, an Verdächtigungen nennt. Das sind die Fälle, denen wir nachgehen können. Und da ist es so, dass weit über 90 Prozent der Fälle aus China stammen. Das ist so. Man hat einen Angriff auf ein Regierungsnetzwerk auf ein Universitäts-Gelände in China zurückverfolgt, wo in einem Gebäude auch chinesisches Militär untergebracht ist. Also die Indizien sind einfach schon sehr sehr stark. Aber letztlich, mit der absoluten Gewissheit, tut man sich immer schwer."
    Das Herz des Riesen
    9000 Kilometer südöstlich von München, im Taxi auf der Fahrt durch Shenzhen. Gewissheit bringt er vielleicht nicht, der Besuch in der Firmenzentrale von Huawei. Aber zumindest ein Gefühl für die geheimnisumwitterte Firma. Sie hat deutsche Reporter zu Interviews und Besichtigung eingeladen. Türkis glitzern die Spiegelfassaden der Bürogebäude. Das Gelände ist wie alle Fabriken in China eingezäunt – es ist ein riesiger Park: Palmen, Blumen und gepflegter Rasen, soweit das Auge reicht. Ein Pressesprecher begleitet uns: Er heißt Ni Xiong, ist Anfang 30, trägt Bürstenhaarschnitt und eine modische schwarze Brille. Sein Englisch ist eher ein Amerikanisch und natürlich spricht er es fließend, denn bei Huawei ist das die Verkehrssprache. Folglich will Ni Xiong mit seinem englischen Namen angesprochen werden: Kevin:
    "Den ganzen Campus gibt es seit 1998, vielleicht ist er schon ein bisschen alt."
    Die Firmen-Kantine bietet nicht nur chinesisches Essen an, sondern auch westliche, indische und arabische Küche. Überall auf dem Gelände begegnen uns Nicht-Chinesen, die Mehrheit männlich, zwischen 25 und 40 und aus allen Teilen der Welt. Man spürt: Dies ist eine Firma mit 150.000 Mitarbeitern in 140 Ländern.
    Wir werden durch Labors geführt, in denen junge Ingenieure Server auf Hitze, Schmutz und Kälteresistenz prüfen. In einer Ausstellungshalle erwartet uns Hansen Hu. Er zeigt superdünne rosa Handys und eine Röhre in Silber und rot, so dick wie der Bizeps eines Bodybuilders.
    "Das ist ein Modell von Huaweis Unterseekabel. Wir bauen solche seit fünf Jahren und haben erfolgreich Afrika mit Europa durch das Mittelmeer verbunden. So ein Kabel kann bis zu 8000 Meter unter der Meeresoberfläche liegen. "
    Weiter geht die Demonstration erfolgreicher Technik. Per Videokonferenz wird uns nach Shenzhen aus Zürich Roland Sladek zugeschaltet, der Pressesprecher für das Europa-Geschäft. Mein Kollege Matthias Kamp von der Wirtschaftswoche will trotzdem wissen – was ist dran an Berichten vom Staat als die eigentliche Macht hinter Huawei:
    "Gibt es das, wie es einige geschrieben haben, dass Kunden davon profitiert haben von der staatlichen Unterstützung für Huawei? Diese 30 Milliarden wurden immer wieder geschrieben und genannt."
    "Erster Punkt, es gibt keine staatlichen Hilfen für irgendwelche Kunden. Huawei hat nie staatliche Hilfen bekommen und Kunden bekommen auch keine staatlichen Hilfen. Diese Kreditlinie von 30 Milliarden die trifft zu. Um Kunden die Möglichkeit zu gewähren, zu einem definierten Prozentsatz Geld auszuleihen. Das machen alle Konkurrenten. Was jetzt dieses konkrete Beispiel der 30 Milliarden angeht, hat glaub ich, soviel ich weiß, ein einziger Kunde in Europa davon profitiert."
    Sladek sagt das nicht nebenbei. Im Mai 2013 hat EU-Handelskommissar Karel de Gucht Anti-Dumping-Untersuchungen gegen chinesische Telekommunikations-Importe angekündigt. Die unterbieten die Preise der Konkurrenz nämlich massiv.
    Als Höhepunkt des Besuchs in Shenzhen treffen wir nun John Suffolk. Der Brite ist als Vizepräsident der Firma für die Cyber-Sicherheit zuständig. Schon allein seine Vita soll den Argwohn gegenüber den Chinesen abbauen helfen. Denn bevor John Suffolk 2011 bei Huawei einstieg, war er sieben Jahre lang der IT-Chef der britischen Regierung. Ein grauhaariger Hüne mit einer ordentlichen Prise Ironie.
    "Wir haben hier ein Modell, das wir ABC nennen: Setze nichts voraus, glaube niemandem, prüfe alles. Wir haben ein Weißbuch mit einer öffentlichen Stellungnahme herausgebracht. Wir haben nie einer Regierungsstelle Zugang zu unserer Technologie, unseren Daten oder uns anvertrauten Informationen verschafft. Ich glaube, klarer kann man sich nicht ausdrücken."
    Und obwohl Suffolk lässig sagt, kaum jemand außerhalb der USA interessiere sich für das Dauerfeuer, so spürt man doch – Suffolk schießt zurück:
    "Ich persönlich habe mit der Untersuchungskommission des US-Kongresses gearbeitet. Sie wollten alle Details über die Verträge mit unseren amerikanischen Kunden haben, über deren Netzwerke und so weiter. Es ist nicht an uns, dem US-Kongress solche Details zu nennen. Da müssen sie sich schon an unsere Kunden wenden. Und so ging das weiter. Dann kam der Report des Kongresses heraus. Und wir dachten: Hier geht es gar nicht um Huawei. Sondern um zwei Supermächte, die sich aneinander reiben. Was uns damals nicht so klar war: Sie wussten wahrscheinlich, was sie selbst mit amerikanischen Firmen machten. Davon hat man ja erst in den letzten paar Monaten erfahren."
    John Suffolk sagt, ihn habe in Snowdens Enthüllungen vor allem überrascht, wie umfangreich private Firmen verstrickt gewesen seien.
    "Huawei hat in Großbritannien ein Zentrum zur Prüfung von Cyber-Sicherheit eingerichtet. Das gehört Huawei, es berichtet an mich. Aber es wird vom britischen Geheimdienst GCHQ kontrolliert. Wir haben keinen Zugriff auf das operative Geschäft. Wir zahlen zwar, wissen aber nicht, was die tun. Das ist uns verboten. Wir sind wahrscheinlich die Firma weltweit, die am meisten durchstöbert und überprüft wird."
    Ähnliches sei auch in Deutschland gewollt gewesen, sagt Suffolk. Er habe Gespräche mit Politikern und Wirtschaft geführt. Ergebnis: ein Nein mit Verweis auf das übliche Verfahren. 2010 beantragte Huawei deshalb eine Evaluation durch das Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik, kurz BSI. Huawei beantragte das parallel auch bei der spanischen IT-Behörde. Innerhalb der EU werden Ergebnisse aber ausgetauscht. Im zuständigen Bundesamt heißt es deshalb zu Huawei nur:
    "Die Zertifizierung wurde in Spanien durchgeführt, daher wurde der Antrag beim BSI eingestellt und nicht verfolgt."
    Wir reisen 9000 Kilometer zurück nach Nordwesten. Unseren Eindruck vom chinesischen IT-Riesen wollen wir in Berlin-Kreuzberg überprüfen. Im Hinterhaus einer Mietskaserne aus der Vorkriegszeit hat die Firma Recurity-Labs ein Büro-Loft gemietet. Ihr Job: Sicherheitsanalysen von Firmen, die ihre Router gegen Angriffe schützen wollen. Der Chef ist seit Jahren ein weltweit gefragter Experte auf Hacker-Kongressen: Felix FX Lindner – vielleicht Anfang, Mitte 30, leicht untersetzt, kurze blonde Haare, schwarze Brille.
    "Mir ist dann irgendwann aufgefallen, dass viele Leute ein schlechtes Bauchgefühl haben. Aber keiner so wirklich so irgendwie Fakten auf den Tisch gelegt hat und von einigen dieser habe ich so am Rande gehört: Hast du dir schon mal die Chinesen angeguckt, hahaha?"
    Also besorgte sich FX Lindner Router von Huawei als dem größten der chinesischen Hersteller. Er muss grinsen, wenn er erzählt, wie schnell er fündig wurde:
    "Also, wir haben ganze zwei Wochen gebraucht. Man sucht ja eigentlich erst mal primär nach Software-Schwachstellen, das sind schlicht und ergreifend Programmierfehler, die man ausnutzen kann, um Kontrolle über so ein Gerät zu erlangen. Und bei den Sachen, die wir angeschaut haben, das war ein bisschen älteres Huawei-Equipment, da fanden wir Fehler, wie sie eigentlich seit den 90er-Jahren nicht mehr vorkommen. Das ist eigentlich gar nicht so unüblich. Unabhängig davon, wo das Produkt herkommt, wenn ein Unternehmen Produkte herstellt, die noch nie unabhängig Security getestet wurden, dann sehen die meistens so aus. Erst, wenn jemand sagt: Was soll denn das, macht das doch mal richtig, dann fangen die Unternehmen an, etwas für die Produktsicherheit zu tun. Denn sie verdienen kein Geld mit sicheren Produkten, sondern mit verkauften Produkten. Ob die sicher sind, ist von der kaufmännischen Seite her völlig egal."
    Bisher geht die Sache offenbar gut: M-Net, der große IT-Versorger in Bayern, bescheinigt den Chinesen:
    "M-Net arbeitet seit etwa zehn Jahren mit Huawei zusammen. Dies wurde aufgrund der positiven Erfahrungen während dieses Zeitraums sukzessive erweitert. Huawei-Technologie hat sich vor allem bei Highspeed-Internetzugängen bewährt."
    Die Deutsche Telekom ist da sehr viel verschlossener. Dass die chinesische Firma an ihrem schnellen LTE-Netz beteiligt ist, erfährt man in Shenzhen, nicht in Bonn. Experten wie FX Lindner sehen das Verhältnis zur Telekom kritisch:
    "Fast alle großen Carrier-Netze, wo Huawei verbaut wird, werden von Huawei auch operated. Das heißt, zum Beispiel in Deutschland gibt es in Bonn eine Huawei-Network-Operations-blablabla-GmbH, die immerhin einen Jahresumsatz von 80 Millionen Euro macht, das kann man ja nachschauen. Ja, was werden die in Bonn wohl tun? Die bespaßen da einen gewissen Carrier, der da zufällig auch sitzt. Das heißt: Die haben schon vollen Zugriff, die kontrollieren schon das Netz."
    Im Firmenmuseum bestaunten wir Huaweis Tiefseekabel, das Afrika mit Europa verbindet. Würden also im schlimmsten Fall sogar in ganzen Ländern die Lichter ausgehen? FX Lindner glaubt: Ja. Sein extremes Szenario: In guten Zeiten wasche eine Hand die andere, die eine spare 40 Prozent Kosten und mehr, die andere rase an die Spitze des Weltmarktes. Aber - was wäre in schlechten Zeiten? FX Lindner glaubt, dass im Krisenfall Firmenchefs in einem Land wie China wenig entgegenzusetzen hätten, wenn das Militär Zugriff verlangt. Könnte das passieren? Wir fragen erneut Michael George:
    "Es ist schwer. Huawei glaub ich, versucht ja auch, den Markt ähnlich zu dominieren wie es amerikanische Produkte tun. Zumindest glaube ich, ist das schon eine Zielrichtung. Und eine Zielrichtung in einem nicht demokratischen System, das auch durch seine Überwachung lebt, birgt auch immer das Risiko, diese Technologie auch gegen die Anwender zu verwenden."
    Und so können Diskussionen über einzelne Firmen im Internet-Zeitalter schnell auf eine geopolitische Ebene geraten. Huawei ist zwar die erste chinesische Firma mit eigenem Hauptstadtbüro in Berlin, sie beschäftigt dort engagierte Pressesprecher. Aber auch ihnen gelingt es offenbar nicht, die Türen wirklich zu öffnen. Eine Besuchserlaubnis bei den 700 Wissenschaftlern im europäischen Forschungszentrum in München? Ein Jahr warteten wir darauf, letztendlich ohne Ergebnis. Und so dürfen sich die Chinesen nicht wundern. Auch im Internet-Zeitalter wächst Vertrauen nämlich auf die alte Art.

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