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Telemedizin
Schweden hofft auf den "Handydoktor"

Schweden zählt zu den Pionieren in der Telemedizin und hat weite Teile der Gesundheitsversorgung digitalisiert. Die Sprechstunde per Videoschalte auf dem Smartphone gehört genauso dazu wie das digitale Rezept. Unumstritten ist diese Strategie allerdings nicht.

Von Carsten Schmiester | 08.05.2018
    "Hausarzt" steht vor einem Laptop im Medizinisch-Theoretischen Zentrum (MTZ) in Dresden.
    Nach Schätzungen werden in Schweden um die 100 Millionen Euro pro Jahr für unnötige Online-Arzttermine ausgegeben. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Schwedens staatliches Gesundheitssystem hat zwei große Probleme und setzte auf eine Lösung, den Handydoktor. Problem Nummer Eins ist Personalmangel, nicht nur, aber vor allem auf dem Land. Nummer Zwei: Eine in Jahrzehnten erstarrte Gesundheitsbürokratie, komplizierte Abläufe, wenig Flexibilität. Man sagt, dieses schwedische System sei gut, aber vor allem für Ärzte. Die haben hier auch in den Krankenhäusern strikt geregelte Arbeitszeiten.
    Patienten warten da schon mal gern einmal länger, haben aber Alternativen: Die heißen Doktor.se, Medicoo, oder Kry, ein schwedisches Wort für "gesund": Ärzte, die online oder übers Handy beraten und "behandeln". Johan Flodin ist medizinischer Chef bei Kry, in diesem Video macht er Werbung für den Dienst:
    "Kry kann schon heute rund 60 Prozent der Aufgaben einer Arztpraxis erfüllen. Wir stellen Diagnosen, schreiben Rezepte und Überweisungen aus und geben Ratschläge."
    Ein Modell zum "Kasse machen"?
    Eine Erfolgsstory vor allem für Kry, den Marktführer. Die Zahl der Patientenkontakte ist allein im vergangenen Jahr um 1600 Prozent gestiegen und auch bei den Konkurrenten geht es voran - allerdings machen digitale Arztbesuche in Schweden zurzeit nur etwa 1,5 Prozent aller Behandlungen aus. Sie werden vom Staat gefördert, vor allem in dünn besiedelten Regionen zahlt der Staat pro Behandlung zwischen umgerechnet 100 bis 180 Euro dazu.
    Für Patienten ist es egal, ob sie real oder digital beim Doktor sind, sie zahlen zunächst 25 Euro und nach vier Besuchen für den Rest des Jahres dann gar nichts mehr. Klingt gut, ist es aber nicht, das sagen die Kritiker wie der Allgemeinmediziner Jonas Sjögren in schwedischen Rundfunk:
    "Hier werden Steuergelder und Ressourcen von den kommunalen Arztpraxen abgezogen, die sich auf ernsthaft kranke Patienten konzentrieren. Es ist ja nicht wahr, dass man die Arztpraxen durch digitale Dienste entlastet, da sie vor allem von Patienten mit äußerst geringen Beschwerden genutzt werden. Dafür braucht es keinen Arzt, damit wird auch eine Krankenschwester fertig."
    Auf dem Weg zur weltweiten Nummer 1
    Die meisten Online-Patienten haben laut Statistik tatsächlich harmlose Harnwegsinfekte, sonst auch gerne Erkältungen, nichts Ernstes jedenfalls. Und wenn doch, hilft Doktor Digital nicht weiter und muss an einen Facharzt überweisen. Nach Schätzungen werden in Schweden um die 100 Millionen Euro pro Jahr für unnötige Online-Arzttermine ausgegeben. Und Patienten, denen wirklich etwas fehlt, verlieren unter ungünstigen Umständen wertvolle Zeit. Die Regierung hält trotzdem an der bislang für Schweden eher untypisch kaum regulierten Telemedizin fest. Das hat Sozialministerin Annika Strandhäll gerade erst bestätigt:
    "Wir wollen die Kommunikation zwischen Gesundheitswesen und Patient erleichtern. Es soll einfacher werden, ohne Stress Termine zu buchen, die besser in die persönliche Planung passen. Mit Hilfe der Digitalisierung soll die Verfügbarkeit von Ärzten verbessert werden. Wir sehen die Möglichkeiten, aber auch die Risiken, wenn sich Patienten via Handy, Computer oder Tablet beraten lassen."