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Teller versus Tank

Angesichts weltweit steigender Lebensmittelpreise stellt Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel die Zukunft von E10 zur Disposition. Der Biosprit könne zu stärkerem Hunger in der Welt beitragen, warnt Niebel. Die Reaktionen auf den Vorstoß sind verhalten. Verbände sprechen von Symbolpolitik.

Von Katharina Hamberger | 15.08.2012
    Die Welternährungsorganisation warnte jüngst, aufgrund der extremen Wetterverhältnisse, wie der Dürre in den USA, vor einer Ernährungskrise – das könnte nun auch die deutschen Autobesitzer betreffen, die E10 tanken – den Kraftstoff, der bis zu 10 Prozent Bioethanol enthalten kann. Der Zusammenhang zwischen Ernährung und Biosprit? Für den Bio-Anteil im Kraftstoff werden Nutzpflanzen angebaut – meist Getreide, Zuckerrüben und Mais – anstatt die Felder für den Anbau von Nahrungsmitteln zu nutzen. Kritiker sprechen daher von einer sogenannten Tank-Teller-Konkurrenz. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel forderte deshalb in einem Interview:

    "Gerade bei steigenden Lebensmittelpreisen, kann Biosprit zu stärkerem Hunger in der Welt beitragen. Die Beimischungspflicht der rot-grünen Bundesregierung führt im Endeffekt dazu, das Menschen zu wenig Nahrung haben und deswegen muss man dieses Konzept überdenken, insbesondere wo E10 in Deutschland nie akzeptiert worden ist, muss man überdenken, ob das der richtige Weg ist. Und solange man denkt, sollte man E10 aussetzen."

    Reaktionen zu Niebels Forderung kamen prompt aus der Biospritbranche und von Lobbyverbänden. So sagte Alexander Knebel von der Agentur für Erneuerbare Energien gegenüber dem Deutschlandfunk:

    "Das ist für uns nicht nachvollziehbar. Also es sind für Tank, Teller und Trog genügend Agrarrohstoffe vorhanden – trotz der Dürremeldungen, die uns ja jetzt schon seit einiger Zeit aus Amerika, aus den USA erreichen."

    Zudem betonte Knebel, E10 sei wegen des Klimaschutzeffektes notwendig. Das dem Benzin beigemischte Bioethanol gilt als klimaneutral, weil es bei der Verbrennung das CO2 freisetzt, das vorher durch die Pflanzen gebunden worden war. Der Geschäftsführer des Verbandes der deutschen Biokraftstoffindustrie, Elmar Baumann sagte: Ein E10-Verbot habe keine Auswirkungen auf die Ernährungssituation in den Entwicklungsländern. Die Aussage des Entwicklungsministers widerspreche der bisherigen Politik seines Hauses, die Biokraftstoffe als Chance für Entwicklungsländer begriffen habe. Nun verunsichere er die deutsche Industrie. Für die anderen Ministerien scheinen Niebels Äußerungen überraschend zu kommen. So wollte das für den Biosprit zuständige Bundesumweltministerium keinen Kommentar dazu abgeben. Eine Sprecherin sagte lediglich, mit E10 würden entsprechende EU-Vorgaben umgesetzt. Der Entwicklungsminister setzt darauf, dass im Kabinett über eine Lösung des Tank-Teller-Konflikts nachgedacht wird:

    "Man muss drüber nachdenken, ob man nicht diesen Konflikt zwischen Tank und Teller auflösen kann. Zum Beispiel, dass man durch weitergehende Forschung einerseits die Früchte der Felder für Nahrungsgewinnung erhalten kann, auf der anderen Seite die Restprodukte der Pflanzen für die Biospritproduktion nutzen kann. Hier müsste man zu cleveren Ergebnissen kommen. Und solange man die nicht hat, muss man vor dem Hintergrund der Dürre und der Hungersituation in der Welt das machen, was erstmal vordringlich ist – vordringlich ist die Ernährung der Menschen."

    Den Kraftstoff E 10 gibt es an deutsche Tankstellen seit 2011. Mit der Erhöhung des Bioethanolanteils von vormals fünf auf bis zu 10 Prozent erfüllt die Bundesregierung damit die Forderungen der europäischen Richtlinie über Kraftstoffqualität.


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