Songwriter Scott Matthew

"Weg vom Liebesleben, hin zu anderen Dingen"

Der australischer Sänger Scott Matthew bei einem Konzert in Spanien.
"Ode to others" heißt die neue Platte von Scott Matthew. © imago/Abel F. Ros
Scott Matthew im Gespräch mit Carsten Beyer · 24.04.2018
In seinen früheren Songs kehrte Scott Matthew sein Innenleben nach außen. Doch weil er die Beschäftigung mit seinem eigenen Kummer oder seinem Liebesleben auf Dauer langweilig fand, ist sein neues Album deutlich positiver und politischer ausgefallen.
Carsten Beyer: "Ode to others", so heißt die neue Platte, also eine Ode an die anderen. Wer sind denn eigentlich die anderen, die da gemeint sind, die Sie da besingen?
Scott Matthew: Ganz unterschiedliche Leute. Zum Beispiel habe ich einen Song für meinen Vater geschrieben, einen für meinen verstorbenen Onkel und einen für meinen besten Freund in New York. Darüber hinaus habe ich Songs aufgenommen, die Australien und New York gewidmet sind. Ein Gemischtwarenladen, sozusagen.
Beyer: Das ist ja durchaus eine Abkehr von dem, was Sie bisher gemacht haben. Da ging es ja oft um Sie selbst, um Ihren Schmerz oder auch um Ihren Liebeskummer. War das eine ganz bewusste Veränderung, oder hat sich das jetzt einfach so ergeben?
Matthew: Ich habe die Veränderung auf jeden Fall sehr gewollt. Schon auf meinem letzten Soloalbum, "This Here Defeat", gab es ja diesen titelgebenden Song, in dem ich davon gesungen habe, wie mich meine Beschäftigung mit dem eigenen Kummer zunehmend langweilt. Dasselbe gilt für die Aufarbeitung meiner Liebesbeziehungen. Zwei Themenbereiche, die irgendwie alle Leute mit mir verbunden haben. Daher habe ich die Entscheidung, auf dem neuen Album nicht über mein Liebesleben zu singen, sehr bewusst getroffen.

Schonungslose Offenheit

Beyer: Andererseits muss man ja auch sagen, dass viele Ihrer Fans diese Offenheit sehr geschätzt haben, diesen Seelen-Striptease, den Sie da ja teilweise betrieben haben. Haben Sie keine Angst, dass die jetzt möglicherweise enttäuscht sind?
Matthew: Na ja, ich denke, es ist schon nach was von der gewohnten Scott-Matthew-Atmosphäre da. Meine Stimme klingt ja immer etwas melancholisch, ob ich will oder nicht. Der große Unterschied liegt also in den Themen, die ich aufgreife. Es handelt sich immer noch irgendwie um Liebeslieder, nur eben nicht im romantischen Sinn. Stattdessen drehen sich die Songs um meine Liebe für Verwandte, Freunde und Orte. Das war die Veränderung: weg vom Liebesleben, hin zu anderen Dingen.
Beyer: Die Melancholie, die ist in Ihrer Stimme immer drin, das stimmt. Trotzdem klingen Sie jetzt auf diesem neuen Album fröhlicher und positiver, als man es vielleicht von Ihnen gewohnt ist. Wie kommt das? Die halbe Welt versinkt seit dem Amtsantritt von Donald Trump in Depressionen, und Sie haben auf einmal gute Laune?
Matthew: Nun, ich würde nicht von guter Laune sprechen. Und natürlich schockieren mich diese Entwicklungen auch. Tatsächlich ist die erste Single des Album, "End Of Days", als Protestsong gegen diese Regierung gedacht. Ich habe den Song noch während des Wahlkampfs geschrieben, als ich mir noch gar nicht vorstellen konnte, dass Trump wirklich Präsident wird. Aber Sie haben schon recht: Das Album hat etwas Positives an sich. Die Arrangements, die Atmosphäre – das erscheint auch mir vergleichsweise positiv.

Die Liebe wird am Ende siegen

Beyer: Heißt das, dass Sie gewissermaßen dem Hass, der ja in manchen Entscheidungen des Trump-Regimes durchscheint – dass Sie dem mit Liebe begegnen wollen?
Matthew: Ja, genau darum geht es in dem Song. Es geht um einen Widerstand der Liebe. Geschrieben in dem Glauben, dass die Liebe am Ende siegen wird. Das hört sich ein bisschen kitschig und klischiert an. Aber manchmal bleibt uns nichts weiter übrig, als uns an so etwas festzuhalten, oder?
Beyer: Es sind ja auch dem Album auch noch einige andere Songs, drauf, wo Sie sich ganz bewusst mit der Situation in den USA auseinandersetzen. In "The Wish" beispielsweise, da geht es um den schlimmen Anschlag auf einen Schwulenclub in Orlando mit 49 Toten. War das ungewohnt für Sie, jetzt bewusst politische Texte zu schreiben, wo so ganz konkrete Ereignisse dann auch angesprochen werden?
Matthew: Nein, ich empfand es eher als Notwendigkeit, darüber zu schreiben. Mit der Entscheidung, dieses Mal mein Liebeslieben außen vor zu lassen, kam die Möglichkeit, die Politik stärker einzubeziehen. Der Titel "The Wish" ist einer meiner Lieblingssongs auf dem Album. Der Anschlag war sehr heftig – wie überhaupt die ganze Zeit damals. Das wollte ich mit einem ebenso heftigen Song spiegeln. Mich hat das wirklich schockiert.
Beyer: Scott Matthew, kommen wir vielleicht noch zur Musik. Nach Ihrer Zusammenarbeit mit dem portugiesischen Komponisten Rodrigo Leão auf der letzten Platte, haben Sie dieses Mal wieder mit Jürgen Stark als Produzenten gearbeitet, also einem deutschen Gitarristen. Was schätzen Sie an dem?
Matthew: Wir haben zum ersten Mal bei meinem Cover-Album "Unlearned" zusammengearbeitet. Damals habe ich überhaupt erst begriffen, wie sich eine echte Kollaboration anfühlt. Wir passen musikalisch wahnsinnig gut zusammen und sind auch noch echt gut Freunde. Das hilft sehr. Denn Musik kann ich nur mit Leuten machen, die ich wirklich gern habe. Unsere Zusammenarbeit haben wir dann für das letzte Album fortgesetzt, und jetzt sind wir bei diesem gelandet. Jürgen Stark ist einfach super. Er spürt ganz intuitiv, was meiner Musik gut tut.

Verehrung für Culture Club

Beyer: Diese persönliche Eben, die haben Sie auch schon in anderen Interviews angesprochen, also die Tatsache, dass Sie wirklich mit jemandem befreundet sein müssen, um mit dem Musik zu machen. Wie kann man sich das vorstellen im Studio? Ist das wie eine große Party von Freunden dann?
Matthew: Nein, nicht wirklich. Die Party beginnt, wenn wir fertig mit der Arbeit sind. Meistens müssen wir im Studio gegen eine strikte Deadline ankämpfen. Deshalb müssen wir von Anfang an sehr gut organisiert sein und konzentriert an die Sache rangehen. Das neue Album haben wir in nur sieben Tagen aufgenommen. Dabei handelt es sich um das aufwändigste Album, das ich bisher gemacht habe. Umso stolzer bin ich, dass wir es in der vorgesehenen Zeit fertiggekriegt haben. Aber klar, die Party danach kommt nicht zu kurz.
Beyer: Jürgen Stark hat Ihnen ja auch beim Songwriting geholfen, jedenfalls bei einigen Stücken. Und Sie haben darüber hinaus auf dieser neuen Platte auf wieder einige Coverversionen mit dabei, unter anderen einen Klassiker aus den 80er-Jahren, den ich persönlich sehr mag, nämlich "Do you really want to hurt me" vom Culture Club. Was hat Sie an diesem Song jetzt so gereizt?
Matthew: Nun, der Song passte thematisch gut zum Album. Ich sehe in ihm eine Art Ode an mein früheres Ich, wie ich als Kind Boy George und Culture Club für mich entdeckte. Ein Moment, der vieles für mich änderte. Das war das erste Mal, dass ich jemanden im Fernsehen sah, der nicht den gesellschaftlichen Vorstellungen von Mann und Frau entsprach. Mir, diesem kleinen Jungen, der seine Gefühle nicht einordnen konnte, hat das sehr geholfen. Ich habe mich dadurch selbst entdeckt.

"Jeder sollte einen Platz finden können"

Beyer: Diese Frage der Maskulinität ist ja eine, die ja gerade heute wieder sehr diskutiert wird. Es gibt auf der einen Seite die Bestrebungen, dass jeder der sein kann, als der er sich fühlt. Es gibt aber auch die Gegenströmung, die konservative. Ist es vielleicht eine ganz bewusste Entscheidung, dass Sie diesen Song jetzt aufgenommen haben?
Matthew: Nein, höchstens unterbewusst. Es gibt gerade so viele Dinge, die in den USA verhandelt werden. Und beide Seiten, links wie rechts, kämpfen gegeneinander an. Aber natürlich ist das ein wichtiges Thema für mich. Jeder sollte in dieser Welt seinen Platz finden können.
Beyer: Scott Matthew, Sie werden jetzt noch einen Song live spielen in der Tonart. Nicht "Do you really want to hurt me", sondern eines von Ihren eigenen Stücken. Was werden Sie jetzt spielen für uns?
Matthew: Ich werden das Liedchen "Happy End" spielen. Der Song ist meinem Freund Mike Skinner gewidmet, der meine ersten Alben produzierte. Leider ist er verstorben. Er hat dazu beigetragen, dass ich überhaupt erst angefangen habe, Platten aufzunehmen. Daher ergibt es auch Sinn, auf diesem Album einen Song für ihn zu singen.
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