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Tenhagen: Bessere Aussichten bei langfristigen Anlagen

Der oberste deutsche Gerichtshof hat nun entschieden: Die Eilanträge gegen den ESM sind vom Tisch. Für Anleger und Verbraucher sei das beruhigend, sagt Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Zeitschrift "Finanztest". Vor allem bei langfristigen Anlagen könnte man profitieren.

Hermann-Josef Tenhagen im Gespräch mit Ursula Mense | 12.09.2012
    Ursula Mense: Es war die größte Verfassungsklage in der Geschichte Deutschlands, die von 37.000 Menschen in Deutschland aktiv unterstützt wurde. Nach einer Umfrage haben angeblich über die Hälfte aller Deutschen darauf gehofft, dass das Bundesverfassungsgericht heute den permanenten europäischen Rettungsfonds ESM kippt, genauer gesagt den Beschluss ihrer Volksvertreter, weil sie Angst haben vor einer Vergemeinschaftung europäischer Schulden. Der oberste deutsche Gerichtshof hat nun entschieden: Die Eilanträge gegen den ESM sind vom Tisch. Allerdings das Okay der Verfassungsrichter ist ein eingeschränktes. Bei der Ratifizierung der Verträge muss die Bundesregierung sicherstellen, dass ihre Haftung auf 190 Milliarden Euro begrenzt bleibt. Darüber hinausgehende Zahlungen in den ESM sind nur mit Zustimmung des Deutschen Bundestages möglich. – Ich bin jetzt verbunden mit Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Zeitschrift "Finanztest". Ich grüße Sie, Herr Tenhagen.

    Hermann-Josef Tenhagen: Guten Morgen.

    Mense: Bevor wir uns darüber unterhalten, welche Konsequenzen es hat, meine Frage an Sie: Wie beurteilen Sie denn die Entscheidung der Verfassungsrichter?

    Tenhagen: Erst mal ist es beruhigend, dass die Verfassungsrichter sagen, wenn die Parlamente darüber abgestimmt haben, haben die das vernünftig verstanden und wir können als letztes Land in der Euro-Zone diesem Mechanismus zustimmen, der dafür sorgen soll, dass der Euro weiter machen kann und dass wir weiter die wirtschaftlichen Erfolge durch den Euro auch ernten können.

    Mense: Was ergibt sich denn nun aus diesem vorläufigen Urteil, muss man ja sagen? Die Hauptverhandlung kommt ja noch. Was ergibt sich für uns Verbraucher, zum Beispiel als Arbeitnehmer, Anleger, Sparer?

    Tenhagen: Wenn man jetzt mal mit dem Arbeitnehmer anfängt: Der kann jetzt erst mal tief Luft holen und sagen, Gott sei Dank, weil wir sind, in Deutschland natürlich die Exportnation Nummer eins in Europa. Wir sind das einzige Land, das mehr nach China exportiert als es aus China importiert. Sogar mit den Chinesen haben wir eine positive Handelsbilanz, und das geht nur mit einem Euro, der funktioniert. Da hilft die Währung sehr und da hängen natürlich unheimlich viele Arbeitsplätze dran: einmal die Leute, die in der Maschinenbaufirma arbeiten, die dann exportiert, aber auch die Leute, die die Frittenbude vor der Maschinenbaufirma betreiben.

    Mense: Und wie sieht es aus für den Anleger und den Sparer?

    Tenhagen: Die Anleger haben ja zwei Geschichten gehabt in den letzten Jahren. Sie haben auf der einen Seite diese Unsicherheit gehabt, wie es mit der Währung weitergeht. Das ist jetzt erst mal ein Stück weit beruhigt, dass das mit dem Euro so weitergeht und dass das auch weiter funktionieren wird. Und das andere ist, dass sie zu niedrige Zinsen für ihre Sparanlagen gekriegt haben, gleichzeitig aber zu sehr niedrigen Zinsen Kredite aufnehmen können. Das heißt also, wenn ich mein Geld auf die Bank trage, für mehrere Jahre, dann habe ich im Augenblick jedes Mal eine Zitrone im Gesicht, weil, die Zinsen sind einfach so niedrig, und daran wird sich vorläufig wohl auch nicht so viel ändern.
    Wenn ich jetzt einen Baukredit aufnehmen will, dann freue ich mich, weil ich den vielleicht für unter drei Prozent kriegen kann, und wenn ich einen sicheren Job habe und das Haus immer schon haben wollte, oder die Eigentumswohnung, ist das super.

    Mense: Also Immobilien kaufen, auch zum selbst darin wohnen?

    Tenhagen: Ja zum selbst darin Wohnen ist sowieso super, weil, man hat ja zwei Dinge: Einmal hat man niedrige Kreditzinsen zurzeit und das Zweite ist, man schafft sich einen Platz zum Leben, den man selbst gestalten kann. Wenn man eine Immobilie vor allen Dingen als Geldanlage sieht, dann muss man zweimal hingucken, weil dann will man die ja vermieten und dann muss man eben schauen, dass die Mieten tatsächlich das auch einbringen, was man für die Immobilie bezahlt, und da gucken viele Leute leider nicht genau genug hin. Wenn man zu viel bezahlt für eine Immobilie, dann ist das nämlich auch wieder nur Spekulation. Man spekuliert einzig und allein darauf, dass künftige Generationen mehr für dieses Haus oder die Eigentumswohnung bezahlen wollen, als man das selber jetzt tut. Und ehrlich gesagt: Wir haben doch Demografie alle gelernt. Künftige Generationen, das sind nicht mehr Leute als wir, sondern das sind weniger Leute und die werden sich ihre Immobilien genauer angucken und nur die richtig schönen kaufen.

    Mense: Der Euro und auch die Märkte, die haben jetzt schon seit Tagen profitiert von der Situation und quasi das Urteil vorweggenommen. Der DAX ist jetzt bereits wieder gestiegen. Soll wer kann jetzt noch Aktien kaufen, oder gerade jetzt?

    Tenhagen: Wenn man jetzt kurzfristig spekulieren wollte, dann hätte man natürlich letzte Woche Aktien kaufen sollen, weil die Wahrscheinlichkeit, dass das Verfassungsgericht im Prinzip sagen wird, das ist in Ordnung, war schon relativ hoch und da hätte man die paar%e mitnehmen können. Für langfristige Geschichten, da sind die Aktionäre sozusagen mit den Arbeitnehmern ein Stück weit in einem Boot, weil, es geht dann um die Frage, ob sich die Wirtschaft, ob sich die deutschen Firmen, die europäischen Firmen gut entwickeln, und da sind die Aussichten jetzt besser, als sie vor einer Woche waren, mit diesem Urteil. Von daher hätte man vor einer Woche preiswerter kaufen können, und wenn man langfristig unterwegs sein will, sind ein paar Aktien im Depot oder ein Aktienfonds für 10, 15 Prozent in jedem Fall sinnvoll. Wir haben das gerade auch ausgerechnet für die aktuelle "Finanztest", wie man es am besten macht.

    Mense: Und was halten Sie, vielleicht noch kurz zum Schluss, jetzt von Dollar-Käufen?

    Tenhagen: Jetzt kostet der Dollar ja… Nein, anders herum: Für einen Euro kriegt man jetzt 1,29 Dollar, das ist schon mal zehn Cent mehr oder fast zehn Cent mehr als vor einigen Wochen. Ich glaube, dass, wenn das sich wirklich beruhigt, das eher dazu führen wird, dass der Euro gegenüber dem Dollar weiter steigt, aber das ist eine Spekulation. Ich würde den Leuten nicht raten zu spekulieren, wenn man da nicht spekulieren will. Das ist so ein bisschen wie Rennbahn.
    Etwas anderes ist es, wenn ich ein Kind habe, das in den USA studiert, und ich mir jetzt überlege, kann ich das denn bezahlen. Und wenn ich das jetzt gerade bezahlen kann bei 1,29, dann würde ich natürlich einen Teil der Dollars, die ich brauche, damit das Kind dort studieren kann, jetzt kaufen, weil die habe ich schon. Selbst wenn der Kurs des Euro wieder runtergehen sollte, wäre ich auf der Seite abgesichert. Das ist mein kleines Währungs-Sicherungsgeschäft, was dann auch nicht so richtig spekulativ ist.

    Mense: Okay, vielen Dank! Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur der Zeitschrift "Finanztest" mit Einschätzungen des Karlsruher Urteils zum ESM und dessen Bedeutung für Verbraucher. Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur Finanztest
    Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur Finanztest (Stiftung Warentest)