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TEOTWAWKI
Theater als Katastrophenschutzübung

TEOTWAWKI bedeutet: The end of the world as we know it - das Ende der Welt, wie wir sie kennen. Die Performancegruppe Burmester & Feigl spielt Katastrophenszenarien mit ihrem neuen Programm "Trainingseinheiten für das Ende der Welt" durch.

Von Oliver Kranz | 01.10.2014
    Theater als Katastrophenschutzübung. Burmester und Feigl haben Rucksäcke umgeschnallt und laufen im Kreis. Dabei zählen sie auf, was sie alles mithaben.
    "Ich habe drei Liter Wasser. Einen in dem Trinkbeutel in meinem Rucksack."
    Wasser steht auf den Vorbereitungslisten für den Katastrophenfall ganz oben. Jörn Burmester hat nicht nur Flüssigkeit dabei, sondern auch Wasserreinigungstabletten und ein tragbares Filtriersystem.
    "Die Rucksäcke gehören mit zu dieser Bildwelt von der Situation nach der Katastrophe. Wir sind ja Performer und keine Theaterleute. Der Unterschied ist: Wir stellen Situationen her, wir spielen keine Situationen nach. Wir versuchen, so weit wie möglich in Situationen herein zu gehen und auf die zu reagieren."
    Welche Katastrophe während der Vorstellung eintritt, wird mit einem Unglücksrad ermittelt - einer schwarzen Drehscheibe, auf der es Felder für alle erdenklichen Katastrophen gibt - für Ebola-Epidemien und Börsencrashs, Sonnenstürme und Tsunamis, Terroranschläge und Invasionen feindlicher Aliens.
    Der Zeiger auf der Drehscheibe zeigt einen Sonnensturm an. Und schon baut sich Jörn Burmester als Angstprediger auf.
    "Ein Strom magnetisch und elektronisch geladener Teilchen jagt durch unsere Atmosphäre. Die Magnetnadeln drehen sich im Kreis. Umspannwerke und Transformatoren brennen. Gleichstrom wird Wechselstrom. Euer Telefon funktioniert nicht mehr. Die Akkus aller eurer Devices sind leer. Der Geldautomat gibt euch kein Geld mehr. Es gibt plötzlich überhaupt nichts mehr zu kaufen!"
    "An dem Projekt arbeiten wir seit etwa zweieinhalb Jahren. Damals fing das an, dass wir uns für die Prepper interessiert haben. Die haben wir – wie alles heutzutage – erst mal auf YouTube-Videos entdeckt. Dann wurde die Beschäftigung sehr schnell, sehr viel ernsthafter. Wir haben angefangen, uns die verschiedenen Weltuntergangsszenarien, mit denen die Prepper sich befassen, mal genauer anzuschauen und dann mit Erstaunen festgestellt, dass viele doch sehr realistisch sind."
    Zumindest dann, wenn man von den befürchteten Alien-Invasionen absieht. Burmester und Feigl verzichten darauf, sich über die Prepper lustig zu machen. Leute, die sich auf Katastrophen vorbereiten, handeln logisch, sagt Jörn Burmester.
    "Ich sehe die Skurrilität eher in dem, wie wir jeden Tag leben. Die ständige Nachfuhr von allem, dass wir uns um nichts kümmern müssen. Wir müssen nur Geld haben. Gerade hier - wir sind in der Mitte von Berlin - da kann man rund um die Uhr einkaufen, warmes Essen bekommen. Wenn man sich das anschaut, fragt man sich auf einmal: Wessen Verhalten ist skurril? Wir, die wir Ressourcen rausknallen, als ob es kein Morgen gibt, oder die Leute, die sagen: Ich gehe aufs Land und züchte meine Zucchini und Kaninchen."
    Eine wichtige Strategie der Prepper ist, sich Vorräte anzulegen - idealerweise in einem Raum, der sich nach der Katastrophe gegen Angriffe von außen verteidigen lässt.
    "Und wenn ihr alle dann an meine Tür klopft und sagt: 'Gib uns zu essen, der Supermarkt hat geschlossen. Gib uns, gib uns, gib uns, denn wir sind offline.' Dann schaue ich aus meiner kleinen Luke und sage zu euch: 'Für alle reicht es nicht.'"
    "Was uns frappiert ist, dass die Prepper immer kleine Lösungen suchen - für sich selber und für ihre Familie, und gar nicht mehr an gesellschaftliche Lösungen oder Lösungen in der Gruppe glauben. Das finden wir erst mal ein verstörendes Moment und haben dann angefangen, uns zu fragen, wann ist der Glaube an Gesellschaft verloren gegangen und ist durch Angst ersetzt worden, weil das ist ja, was hinter den Bemühungen der Prepper steht. Wenn die Prepper sich einen Bunker kaufen, um sich zurückzuziehen, und sicher zu sein vor Plünderern, dann gibt es wenig Unterschied zu dem, wie sich Europa an den Grenzen stark macht, um sicher zu gehen, wie man das hier halten kann und die anderen draußen hält, die da ein Interesse dran haben."
    Im Grunde reagieren die Prepper auf alle Katastrophen gleich - sie suchen Schutz in vorbereiteten Räumen und leben von Vorräten, die sie vorab angelegt haben. Doch was ist, wenn die Vorräte zur Neige gehen?
    "Man kann sich aus Andeutungen immer vorstellen, dass die neue Gesellschaft genauso aussieht, wie die davor. Es wird alles wieder repariert und dann gibt es wieder Kapitalismus und Demokratie und Industrialisierung und was weiß ich nicht alles. Für Leute wie uns, die sich seit 20 Jahren mit alternativen Modellen des Zusammenlebens beschäftigen und die ausprobiert haben, stellt sich die Frage: Gibt es irgendwas, was wir lernen können?"
    Und das ist die Frage, die Burmester und Feigl eigentlich stellen wollen. Die Performance soll nicht einfach nur Wissen vermitteln, wie man sich im Katastrophenfall verhält, sondern Lust machen, über eine alternative Gesellschaft nachzudenken.