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Terrence Malick erzählt mit "The new world" eine neue Pocahontas-Geschichte

Terrence Malick, der bisher nur vier Filme gedreht hat, galt immer als ein wenig geheimnisumwittert. Immer spielt die unberührte Natur in seinen Filmen eine besondere Rolle. Jetzt hat er sich die uralte Geschichte um den Gründungsmythos Amerikas vorgenommen: Die Fabel um Amerikas berühmteste Indianerprinzessin Pocahontas.

Von Josef Schnelle | 03.03.2006
    "Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt." So las sich 1762 der erste Satz von "Emile", Jean Jacques Rousseaus programmatischem Erziehungsroman. Der philosophische Zauber dieses Satzes beherrscht die ersten Szenen des Filmes "Die neue Welt" mit wogendem Gras und flüsternden Indianern und jeden Augenblick erwartet man, eine Wendung der Dinge. Bei Rousseau heißt es weiter: "Alles entartet unter den Händen des Menschen." Die britischen Siedler mit Brustpanzer und Schießpulver, die eben an der amerikanischen Ostküste gelandet sind, werden´s schon richten. Der Mensch im Naturzustand, der "gute Wilde", dem die Aufklärer huldigten, lebte aber schon seit mehreren tausend Jahren auch nicht mehr unter den Algonquin-Indianern als 1607 drei britische Schiffe in der Gegend des heutigen Virginia landeten. Häuptling Powhatan verschonte daher den Kolonisten John Smith, den seine Krieger gefangen genommen hatten und so erfüllte sich das Schicksal seiner Tochter Pocahontas.

    "Alle Königstöchter waren schön …… alle liebten sie."

    Im Kern des Märchens vom Naturkind, das den Eroberer verzaubert, steckt ein gewisses Unbehagen und der Verdacht, dass bei der Kolonisierung Nordamerikas etwas grundsätzlich schief gegangen sein könnte. Die Indianer zogen bekanntlich dauerhaft den Kürzeren. Wäre statt Völkermord und Verdrängungskrieg nicht auch eine friedliche Verschmelzung der Kulturen möglich gewesen? Um frei nach Rousseau die kindliche Unschuld der Hauptfigur noch zu betonen, besetzte Malick sie mit einer verträumt lächelnden grazilen Kindfrau. Die Indianer tasten sich im Wortsinne an die Engländer heran, die im rasch errichteten verschlammten Fort verzweifelt an den Gebräuchen und Standesunterschieden der Heimat festhalten möchten. Dabei verstehen sie nicht einmal die Nutzpflanzen ihrer neuen Welt und wären wohl elendiglich verhungert, wenn Pocahontas und die Eingeborenen sie nicht mit milden Gaben durch den ersten Winter gefüttert hätten. Malicks Sympathie gehört eindeutig den Naturmenschen, die er mit sinnlicher Handkamera umschmeichelt, ganz so als enthalte die Zärtlichkeit der ersten Berührungen das Geheimnis des kulturellen Missverständnisses, das die neue Welt zu einer Kopie der alten machte. Im Schlamm von Jamestown nehmen die schlechten Eigenschaften der Europäer überhand. Vor denen hatte John Smith seine Pocahontas allerdings schon gewarnt – eigentlich vor dem kolonialen Bösen in sich selbst. Was nützt da schon all der Liebeszauber der Indianerprinzessin.

    "Gefalle ich dir so? … ich bin dein."

    Man müsste um "The New World" nicht allzu viel Aufhebens machen, wäre nicht der Filmautor eine ganz besondere Figur. Er hat in über 30 Jahren nur vier Filme gedreht und galt zwischendurch rund zwanzig Jahre regelrecht als verschollen. Eine gläubige Fangemeinde huldigte dem offenbar verkannten Propheten des "New Hollywood". Seine Filme ernteten durchweg schwärmerische Kritiken - floppten aber an der Kasse. Und so erwartete man nach den visuell perfekt durchkomponierten Filmballaden "Badlands", "In der Glut des Südens" und "Der schmale Grat" auch von "The New World" einen Aufbruch zu neuen Ufern der Filmkunst. Das Grundmotiv aller Malickfilme ist auch in "The New World" zu erkennen: Sein Amerika ist ein poetisches Versprechen. Es wartet noch auf seine Entdeckung. 123 Minuten lang. Doch mit der Zeit erdrückt die Thesenlast den Film. Traumhaft schöne Filmbilder, das betörende Säuseln der Algonquindialekte und die idealtypisch gut aussehenden Hauptdarsteller fügen sich diesmal nicht zur großen Filmerzählung meisterlichen Zuschnitts.