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Terror im Namen Gottes?

Selbstmordanschläge islamistischer Fundamentalisten gehören inzwischen zur weltweiten Tagesordnung. Terror und Religion gehen eine unheilvolle Allianz ein. Doch werden auch andere Religionen für ideologische Zwecke missbraucht. Am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen findet eine Tagung mit renommierten Religionswissenschaftlern statt.

Von Peter Leusch | 25.02.2010
    In der zurückgebliebenen Reisetasche von Mohammed Atta, dem Anführer der Terroranschläge des 11. Septembers, fand das FBI eine sogenannte geistliche Anleitung für die Attentäter:

    "Das Dokument ist in drei Teile geteilt, und diese drei Teile befassen sich mit der Vorbereitung der Attentäter auf einen Heiligen Krieg, auf eine ghazwa. In der Nacht, bevor dieser Angriff erfolgt, sollen sie bestimmte Koransuren rezitieren, solche insbesondere, die militant sind, die dem Kämpfer Mut in der Auseinandersetzung mit einer überlegenen Macht geben sollen. Daneben sollen auch Reinigungsriten erfolgen, damit tritt der Kämpfer in eine andere, in eine sakrale Welt ein."

    Der Religionswissenschaftler Hans Kippenberg von der Jacobs University Bremen hat gemeinsam mit einem Islamexperten die Anleitung zum religiösen Terror analysiert.

    "Der zweite Teil bezieht sich dann auf den Flughafen. Schon vorweg wird dem Kämpfer gesagt, welche Suren er zu rezitieren hat, damit er nicht erkannt wird. Und der letzte Teil stellt dann die ghazwa im Flugzeug dar, das heißt, die Ausführung einer Tat, die im Dienste der islamischen Gemeinschaft steht und dabei wird jeweils angeknüpft an frühislamische Vorgänge bei der Verteidigung der Stadt Medina gegen Feinde."

    Die Attentäter glaubten, interpretiert Hans Kippenberg, dass die islamische Kultur vom Westen bedroht und gedemütigt würde. Das ermächtige sie zur Gewalt. Religion sei dabei nicht Brandursache, aber Brandbeschleuniger für einen "Terror im Dienste Gottes", so lauten Titel und These des Buchs von Hans Kippenberg.

    Nach dem 11. September entspann sich eine heftige Debatte über das Verhältnis von Religion und Gewalt. Alle Weltreligionen lehren das Friedensgebot – sagen die einen, Religion führe zu Fanatismus, Intoleranz und Terror – behaupten dagegen die anderen. Vor allem der Islam geriet auf die Anklagebank. Man dürfe das Problem religiöser Gewaltrechtfertigung nicht auf den Islam einschränken, sondern müsse es im Zusammenhang eines allgemeinen Fundamentalismus sehen, erklärt der Philosoph Alfred Hirsch vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen.

    "Es gibt auch eine Tradition in der abendländisch-christlichen Kultur, in der religiöser Fundamentalismus eine wichtige Rolle spielt, ich denke vor allen Dingen an die Äußerungen amerikanischer Autoren, aber auch des letzten amerikanischen Präsidenten zu 'infinite justice' – der 'unendlichen Gerechtigkeit', die gefordert wird für das Land; der 'axis of evil', der 'Achse des Bösen' - das sind Begriffe, die auf einen religiösen Fundamentalismus zurückgehen, und diese Art des religiösen Fundamentalismus ist eine explizite Wendung gegen eine aufgeklärte Religion und gegen eine aufgeklärtes religiöses Denken, wie es sich in der Moderne entwickelt hat."

    Die medienwirksame Gegenüberstellung von islamischem Fanatismus hier und aufgeklärten Westen dort stimmt in dieser Weise nicht. Vor allem die westliche Weltmacht USA – God’s own country - ist so säkularisiert nicht, wie sie vorgibt. George W. Bush sprach zunächst von einem Kreuzzug gegen den Terrorismus, auch wenn er das Wort später zurücknahm. Bush forderte die Verbündeten auf, sich einzureihen, denn wer nicht für uns sei, sei gegen uns. Der amerikanische Fundamentalismus bekämpft nicht nur jede Form von Zweifel, Bibelkritik und freiem Denken, er befeuert auch ein politisches Schwarz-Weiß-Denken. Religion wird genau dann gefährlich, wenn sie ein dualistisches Weltbild nährt, erklärt der Bochumer Religionswissenschaftler Volkhard Krech.

    "Ein sehr einfaches dualistisches Weltbild, das ganz klar das Böse hier und das Gute dort identifizieren kann: Und Religion vergleichend wird man sagen können, immer dort, wo so ein dualistisches Weltbild greift, steigt die Gewaltbereitschaft. Je stärker das dualistische Weltbild ausgerichtet ist, desto geringer sind die Beißhemmungen, Gewalt auszuüben. So zynisch es klingt: auch die Inquisitoren waren der festen Überzeugung, dass sie die vermeintlichen Hexen zum Heil nicht nur der Welt und ihres eigenen, sondern auch der Opfer selbst verbrennen, und so muss man das wohl bei religiös motivierten Gewalthandlungen insgesamt sehen."

    Der Ägyptologe und Kulturwissenschaftler Jan Assmann hat die Debatte um das Verhältnis von Religion und Gewalt mit der These herausgefordert, der Monotheismus sei schuld. Er verführe immer wieder zu Intoleranz und Gewalt. Der mosaische Monotheismus in Judentum, Christentum und Islam, so Assmanns Argumentation, scheide nicht nur zwischen wahrem Gott und falschen Göttern, er habe bis heute fatale Konsequenzen. Auch wenn der säkularisierte Staat Religionsfreiheit garantiert, bleibt der unbedingte Wahrheitsanspruch und damit die Frage, wie man den Anhängern eines anderen Glaubens begegnet. Soll man sie sanft bekehren oder als Feinde des wahren Glaubens bekämpfen, ja notfalls vernichten? Volkhard Krech widerspricht Assmann:

    "Man wird schlecht sagen können, dass der Monotheismus oder die monotheistischen Religionen stärker zur Gewalt tendieren als polytheistische. Wenn wir das sagen würden, könnten wir den Hindu-Nationalismus in Indien nicht verstehen. Die Hindu-Moslem-Konflikte – wissen wir genau – sind sehr stark von den Hindus initiiert, und die Muslime sind insgesamt gesehen eher die Opfer, und nun der Hinduismus genannte Religionskomplex ist ja nicht per se monotheistisch ausgerichtet."
    Auch der Polytheismus ist nicht davor gefeit, Gewalt religiös zu rechtfertigen. Religionen existieren nicht als reine Dogmengebäude, vielmehr sind es Religionsgemeinschaften, die mithilfe der Lehre ihre historisch-konkrete Situation deuten. Hans Kippenberg hat den Fall der Adventistengemeinde im texanischen Waco beleuchtet, wo es 1993 zu einem Blutbad kam, als die Polizei die Kommune stürmte.

    "Es gab schon erste Tote beim dem ersten Anrücken der mobilen Einheiten und ihrer Zurückschlagung durch die adventistische Gemeinschaft und dann folgt eine längere Belagerungsphase. Und in der Belagerungsphase wollte die Einsatzleitung sich nicht in irgendeiner Weise belehren lassen, über die Art und Weise wie die Adventisten innerhalb der Gemeinschaft die Situation deuten. Da gab es Religionswissenschaftler, die die Gemeinschaft genau kannten und die wussten, die deuten diese Gewalt gegen sie als eine Gewalt der gottlosen Macht der Endzeit von Babylon, die fingen an, die Bibel zu öffnen und die Offenbarung Johannes zu lesen und verorteten sich selbst in diesem Endzeitdrama als Opfer zunehmender Bösartigkeit der Welt."

    Während die Einsatzleitung annahm, es müssten Geiseln aus der Hand der Sekte befreit werden, wähnten sich die Adventisten im Kampf mit dem Antichrist. Jede Partei saß buchstäblich in ihrem Deutungsschema gefangen und die Gewaltspirale drehte sich weiter. Religionen, so ein Zwischenfazit der Diskussion, bieten einen großen Fundus an Texten und Traditionen, darunter auch bedenkliche Anknüpfungspunkte für ein gewaltsames Handeln. Zur Entschärfung der religiösen Sprengsätze gehört eine historisch-kritische Lektüre der Bibel, wie sie die Aufklärung in Europa durchgesetzt hat. Unabhängig davon, ob man gläubig ist oder nicht, weiß man, dass es sich um Texte handelt, die von Menschen aufgeschrieben wurden und bis heute interpretiert werden. Eine solche kritische Lektüre des Koran steht immer noch aus. Volkhard Krech:

    "Das Stichwort lautet natürlich Aufklärung, allerdings Selbstaufklärung, es ist immer schwierig, das kennen wir auch im Kleinen, wenn ein anderer kommt und sagt, das ist ein Fehler, hier musst du dich weiterentwickeln, dann fällt es mir schwerer, als wenn ich es selbst einsehe, die Selbsteinsicht ist wichtig, auch sozialpsychologisch, das heißt, die islamischen Diskurse müssen sich intern aufklären, wenn wir von außen kommen und sagen, ihr müsst euch so und so entwickeln, ist das schwierig."