Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Terror in Großbritannien
"Es ist zu einer starken Spaltung der Gesellschaft gekommen"

Chaos zu erzeugen und einen Keil zwischen die Bevölkerung zu treiben - das ist laut der Islamismus-Expertin Julia Ebner die Strategie des IS. Seit den Anschlägen der jüngsten Zeit gebe es in Großbritannen tatsächlich immer mehr Hass und Frustration, sagte Ebner im DLF. Der Zorn richte sich dann oft gegen Muslime - was einen Teufelskreis erzeuge.

Julia Ebner im Gespräch mit Martin Zagatta | 23.05.2017
    Polizisten im Stadtteil Fallowfield in Manchester an einer abgesperrten Straße, an der ein Haus durchsucht wurde.
    Polizisten im Stadtteil Fallowfield in Manchester an einer abgesperrten Straße, an der ein Haus durchsucht wurde. (AFP / Oli Scarff)
    Martin Zagatta: Wir sind jetzt mit Julia Ebner verbunden, die als Extremismusforscherin für Quilliam in London arbeitet, eine Organisation, die ein Gegengewicht gegen den Islamismus schaffen will und vor allem jungen Menschen helfen, sich nicht auf die Islamisten und Terror einzulassen. Guten Tag, Frau Ebner!
    Julia Ebner: Schönen guten Abend. Hallo!
    Zagatta: Frau Ebner, der Anschlag wurde jetzt von einem Selbstmordattentäter verübt, nur 22 Jahre alt, Sohn libyscher Einwanderer, polizeibekannt offenbar als Mitglied der Islamistenszene in Manchester. Warum ist das denn so schwer, so jemanden von einer solch grausigen Tat abzuhalten, oder ihm rechtzeitig zumindest auf die Schliche zu kommen.
    "Wir müssen mit mehr Anschlägen dieser Art rechnen"
    Ebner: Ja, es ist natürlich im Moment sehr schwer für die Sicherheitsbehörden, überhaupt genug Kapazität zu haben, um die ganzen Menschen zu beobachten, die gefährdet sind, sich von der islamistischen Szene radikalisieren zu lassen. Um das zu verhindern, bräuchte man deutlich mehr Polizei, am Ende aber auch mehr Leute im Geheimdienst. Das geht sich leider nicht aus mit den derzeitigen Mitteln. Es ist leider auch der Trend, den wir im Moment beobachten, von LKW oder improvisierten Bomben und sehr niedrigen Kommunikations- und Koordinations-Level. So ist es sehr schwer, diese Art von Attacken zu verhindern. Gerade jetzt in der asymmetrischen Kriegsführung vom Islamischen Staat ist die ideologische Inspiration noch immer hoch, obwohl eigentlich der Islamische Staat an einem Tiefstand steht. Das heißt aber, dass wir mit mehr dieser Art von Anschlägen rechnen können, vor allem jetzt auch im Monat des Ramadans, was oft als Monat des Dschihads wahrgenommen wird von islamistischen Extremisten.
    Zagatta: Wir waren ja bisher davon ausgegangen, Großbritannien sei, was Sicherheitsmaßnahmen angeht, besonders erfolgreich. Ist das dort genauso eine Gratwanderung wie in den anderen europäischen Ländern, oder gibt es ein bisschen mehr Sicherheit in Großbritannien, weil die Sicherheitsbehörden da vielleicht weiter sind als in anderen Ländern?
    Ebner: Es ist auf jeden Fall eine Kombination aus sehr starken Überwachungsmaßnahmen, die es schon seit 2005, seit den Anschlägen damals in London gibt, aber auch eine sehr hohe Qualität und Professionalität in den Sicherheitsbehörden der Geheimdienste ist ausgezeichnet. Aber wie gesagt, wenn es zu wenig Kommunikation kommt, hilft auch die Überwachung nichts, helfen auch ausgezeichnete Geheimdienste wenig. Dann muss man schon zu Primärprävention zurückgreifen und wirklich versuchen, junge Menschen davon abzuhalten, sich zu radikalisieren und überhaupt in diese Netzwerke zu geraten.
    Zagatta: Sie arbeiten ja in dieser Szene. Uns empört jetzt ganz besonders, dass dieser Anschlag auf Jugendliche und auch auf Kinder gezielt hat. Ist das aus Sicht dieser Islamisten nichts Verwerfliches?
    "Die Anschläge folgen einem Muster"
    Ebner: Na ja, das ist genau das Problem. Die islamistische extremistische Szene vertritt natürlich eine Art des Islams, die die allermeisten Muslime komplett ablehnen, und da ist es tatsächlich in Ordnung, den Feind mit jedem Mittel und wirklich die Verwundbarsten auch anzugreifen. Darunter fallen in diesem Fall auch Kinder und Jugendliche. Wir sehen auch beim Anschlagsziel ein Muster, nach Veranstaltungen, Konzerthallen. Musik wird ja grundsätzlich als was Verwerfliches betrachtet. Wir haben das davor schon in Paris, in Istanbul, in Orlando, in Bali gehabt. Es folgt tatsächlich schon einem Muster, ja.
    Zagatta: Frau Ebner, was uns auch jetzt wieder verwundert: Die Eltern des Attentäters, die sind aus Libyen eingewandert, sind vor dem Gaddafi-Regime geflohen, so heißt es, und haben in Manchester Zuflucht gefunden. Dieser junge Mann hätte also allen Grund gehabt, Großbritannien dankbar zu sein. Wieso schlägt das so extrem um? Wie wird man da zum Massenmörder?
    Ebner: Ich vermute, gerade im Moment sind die Spannungsverhältnisse sehr verschärft. Seit dem Anschlag in Westminster verschärft sich die Situation noch weiter auf politischer, aber vor allem auf gesellschaftlicher Ebene, wo es verständlicherweise zu immer mehr Hass und Frustration kommt. Die Bevölkerung fühlt sich ohnmächtig und dieser Willkür der Terroristen quasi machtlos ausgesetzt. Und oft richtet sich dieser Zorn dann gegen Muslime, was natürlich einen Teufelskreis erzeugt, in den noch mehr junge Leute reingetrieben werden in radikale Kreise.
    Zagatta: Solche Anschläge zielen ja offenbar, das hören wir immer wieder, darauf ab, die Gesellschaft auch zu spalten. Wie ist das in Großbritannien? Wie gefestigt sind dort die Briten?
    "Es gibt verstärkt islamophobische und antimuslimische Angriffe"
    Ebner: Es ist leider gerade in den letzten Jahren und natürlich auch mit Brexit, in der ganzen Kampagne vor Brexit und jetzt noch mehr mit den Anschlägen, zu einer sehr starken Spaltung der Gesellschaft gekommen. Genau wie Sie richtig sagen: Es ist die Strategie des Islamischen Staates, aber in Wirklichkeit von den allermeisten Dschihadisten - und Terror ist ja immer eine Art der asymmetrischen Kriegsführung -, die stärkere Partei, also uns dazu zu bringen, nach den Regeln der schwächeren Partei zu spielen, und Ziel, Chaos zu erzeugen und einen Keil zwischen die Bevölkerung zu treiben, so dass sie sich dann am Ende selbst zerstört. Leider ist es tatsächlich so, dass in den letzten Monaten und Jahren es immer mehr zu einer Spaltung zwischen unterschiedlichen religiösen, aber auch ethnischen Gruppen gekommen ist. Es gab gerade einen Bericht, der herausgekommen ist. Es gibt auch verstärkt islamophobische und antimuslimische Angriffe hier.
    Zagatta: Diese Gefühle oder dieser Hass, der da entsteht, das wird jetzt durch diesen Anschlag möglicherweise noch verstärkt werden. Großbritannien steht kurz vor Unterhauswahlen. Ist aus Ihrer Sicht denn abzusehen, wie dieser Anschlag jetzt den Wahlkampf und möglicherweise die politische Debatte in Großbritannien beeinflussen wird?
    Ebner: Jetzt ist mal ganz klar, dass der Wahlkampf die nächsten Tage eingestellt wird. Ich vermute, sobald die Kampagnen wieder starten, wird das Thema noch stärker sich auf das Thema Sicherheit konzentrieren. Jetzt ist das Terror-Level gerade erhöht worden. Wir hatten das schon gestern in unserer Presseaussendung vorhergesehen. Die Polizei schätzt das Level jetzt als sehr kritisch ein, das ist jetzt auf der höchsten Stufe. Ich vermute, dass sich das auch in den Straßen sehr schnell widerspiegeln wird in Großbritannien mit Soldaten, die wir genauso wie damals in Paris und wie auch schon bereits in anderen Ländern beobachtet haben, sodass wir verstärkte Militär- und Polizeipräsenz sehen werden.
    Zagatta: Und die politischen Auswirkungen möglicherweise auf die Wahl? In Deutschland würden wir davon ausgehen, eine erhöhte Sicherheitsdebatte oder eine Debatte um mehr Sicherheit, um Anschläge würde eher den Konservativen zugutekommen. Sehen Sie das in Großbritannien genauso?
    Der Anschlag könnte May zugutekommen
    Ebner: Ja, das würde ich ähnlich sehen. Theresa May hat ja doch einen sehr starken Hintergrund selbst als ehemalige Home Secretary, wo sie ja auch sehr stark sich auf das Thema Terrorismus spezialisiert hat und einige Maßnahmen, ob jetzt gut oder schlecht, einige sehr drastische Sicherheitsmaßnahmen eingeführt hat. Sie wird sehr stark wahrgenommen als jemand, der sich sehr gut auskennt mit dem Thema Terrorismus. Deswegen würde ich sagen, dass das ihr zugutekommen wird.
    Zagatta: Julia Ebner von der Organisation Quilliam in London, Expertin für die Islamistenszene in Großbritannien. Frau Ebner, vielen Dank für dieses Gespräch, für diese Einordnungen.
    Ebner: Vielen Dank! Schönen Abend. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.