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Terrorbekämpfung
Herrmann fordert besseren Informationaustausch

Joachim Herrmann hat im Kampf gegen Terrorismus einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen und einen intensiveren Informationsaustausch zwischen den EU-Ländern gefordert. "Wir dürfen uns nicht dümmer stellen, als es unausweichlich ist", sagte der bayerische Innenminister im Deutschlandfunk. Gleichzeitig stellte er klar, dass Fluchtrouten und Terror nichts miteinander zu tun hätten.

Joachim Herrmann im Gespräch mit Christine Heuer | 20.11.2015
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU)
    Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) (imago stock & people)
    Er befürchtet neue Anschläge in Europa. "Das Risiko ist auf jedem Fall auch für Deutschland vorhanden", sagte Herrmann. Nur Kontrollen an den Außengrenzen reichten jedoch nicht aus, der Informationsaustauch zwischen den Ländern sei besonders wichtig.
    "Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun", sagte Herrmann mit Blick auf eine mögliche Vermischung des Terrors des sogenannten "Islamischen Staates" und den Fluchtrouten in Europa. Zwar müsse an den Grenzen stärker kontrolliert werden, aber die Terrorbekämpfung sei ein ganz anderes Thema.

    Das Interview in voller Länge:
    Christine Heuer: Schlechte Stimmung in der CSU. Horst Seehofer ärgert sich über Markus Söder. Der hat Ambitionen, nächster bayerischer Ministerpräsident zu werden, und hat nach den Paris-Attentaten lautstark eine Verbindung zur Flüchtlingskrise hergestellt und damit faktisch die Bundeskanzlerin scharf kritisiert, was der amtierende Landesvater natürlich nie tun würde. Seehofer versus Söder - ein Thema nun beim CSU-Parteitag in München, der natürlich viel über die Sicherheit nach den Terroranschlägen und auch über die Flüchtlingskrise beraten wird.
    Am Telefon ist der bayerische Innenminister Joachim Herrmann. Guten Morgen!
    Joachim Herrmann: Guten Morgen und grüß Gott.
    Heuer: Grüß Gott nach München. - Die Deutschen sind verunsichert. Sie sind bayerischer Innenminister. Wie hoch ist die Gefahr eines Anschlags in Deutschland wirklich, Herr Herrmann?
    Herrmann: Das Risiko ist auf jeden Fall für Deutschland auch vorhanden, denn wir merken, es gibt hier einen großen Feldzug letztendlich des Islamischen Staates, von IS. Das ist der Feldzug in Syrien, im Irak, das sind Terroranschläge, zuletzt die gegen diese russische Passagiermaschine über dem Sinai und nun in Paris. Und wir wissen alle, das kann morgen auch in Großbritannien oder den USA, aber eben auch in Italien oder Deutschland passieren. Deshalb haben wir dieses Risiko solcher Anschläge selbstverständlich auch bei uns und es ist eher größer geworden.
    Heuer: Heute treffen sich die EU-Innenminister in Brüssel, um Maßnahmen gegen diese Gefahren zu beraten und möglichst zu beschließen. Was müssen die denn als Erstes beschließen, um die Sicherheit zu verbessern? Was finden Sie das Wichtigste?
    "Wir müssen die Kontrollen intensivieren"
    Herrmann: Wir sind hier wieder bei diesem Thema besserer Schutz der EU-Außengrenzen. Wir hatten am 5. November zum Beispiel diesen Aufgriff in Bayern durch unsere Schleierfahnder, ein Golf aus Montenegro, in dem mehrere Kalaschnikows, Pistolen, Hunderte Schuss Munition transportiert worden sind. Das ist nur ein Beispiel, egal ob das jetzt mit dem Anschlag in Paris in Zusammenhang steht oder nicht. Das ist ein Beispiel, was in unserem Land unterwegs ist.
    Heuer: Aber den haben Sie ja gefunden.
    Herrmann: Ja und das zeigt, wir müssen die Kontrollen intensivieren. Das ist das, was wir auch von der Bundespolizei an der südbayerischen Grenze erwarten. Aber das ist auch international ein Thema. Das fordern ja auch Frankreich, das fordert Belgien und die Niederlande, dass besser kontrolliert wird. Wir haben eigentlich einen Raum, wo wir gedacht haben, es wird an den Außengrenzen kontrolliert und dann kann man im Innenraum Europas auf die Kontrollen verzichten. Wir stellen fest, das funktioniert nicht. Wir brauchen einen noch stärkeren Informationsaustausch aller europäischen Staaten. Wir müssen uns gegenseitig informieren, wer, auch wenn er noch keine Straftat begangen hat, aus dem islamistischen Bereich als Gefährder eingeschätzt wird. Das sind Themen, die auf europäischer Ebene vorangebracht werden müssen.
    Heuer: Es scheint dringend Zeit zu sein, denn die Attentäter standen ja zum Teil auf Gefährderlisten und sie konnten trotzdem quer durch Europa reisen. Wie kann denn so etwas passieren, Herr Herrmann?
    Herrmann: Darüber muss eine klarere gegenseitige Information stattfinden und dann müssen wir uns auch darüber verständigen, inwieweit wir den Bewegungsspielraum solcher Leute einschränken. Denn es ist ganz klar: Wenn die auch noch quer durch Europa reisen, werden sie immer wieder Gelegenheit haben, aus dem Visier der Sicherheitsbehörden zu verschwinden, unterzutauchen, und das darf nicht sein. Wir dürfen uns ja nicht wirklich dümmer stellen, als es irgendwie von der Sachlage her hier unausweichlich ist. Es gibt Gefährder, die wir nicht rechtzeitig erkennen, aber wenn wir von jemandem wissen, dass er Gefährder ist, dann müssen wir den Bewegungsspielraum einschränken können und dann müssen vor allen Dingen die gegenseitigen Informationen laufen, damit, wenn dann jemand in einem Land auftaucht, dieses Land auch weiß, dass ein anderes Land den bereits als sehr gefährlich eingestuft hat.
    Heuer: Aber warum, Herr Herrmann, ist das nicht längst passiert? Der Drahtzieher der Attentate von Paris, Abu Oud, ist 2014 von Köln-Bonn nach Istanbul geflogen. Er stand auf einer Liste, man kannte ihn und er wurde nicht aufgehalten.
    Herrmann: Ich kenne diesen konkreten Sachverhalt, vor allen Dingen das, was damals veranlasst worden ist, im Moment noch nicht. Dem muss jetzt natürlich nachgegangen werden.
    Heuer: Auch der Vermutung, dass ein anderer, nämlich ein flüchtiger Attentäter, Salah Abdeslam, vor zwei Monaten noch von Deutschland nach Österreich gereist ist. Das heißt ja, er muss in Bayern gewesen sein.
    Herrmann: Wir gehen dem im Moment nach. Das ist in Österreich auch entsprechend dann registriert worden im Rahmen einer normalen Verkehrskontrolle. Nach meiner Kenntnis, aber das ist im Moment nach meiner Kenntnis, stand er damals jedenfalls bei uns noch nicht auf irgendwelchen Listen. Im Übrigen haben wir die Situation, dass aus solchen Listen immer noch zu wenig kontrolliert wird. Das heißt, wenn jemand zum Beispiel von Deutschland nach Österreich ausreist, wird er hier nicht kontrolliert. Also ist so etwas schon als solches nicht aufgefallen. In Österreich war das auch nur eine normale Verkehrskontrolle.
    Aber ich sage noch einmal: Das muss alles stärker erfasst werden und dann muss klargelegt werden, was machen wir mit den Leuten, die wir für gefährlich halten, denen aber noch keine Straftat nachgewiesen werden konnte.
    "Der Bund schafft 3.000 zusätzliche Stellen für die Bundespolizei"
    Heuer: Dass die Grenzen nicht genug kontrolliert werden, das liegt nach Ansicht vieler CSU-Politiker, die sich dazu äußern, nicht zuletzt an der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Trägt die Kanzlerin politische Mitverantwortung, wenn Attentäter möglicherweise über Fluchtrouten einreisen?
    Herrmann: Nein. Das eine hat mit dem anderen hier nichts zu tun.
    Heuer: Das sieht Herr Söder anders.
    Herrmann: Nein. Er hat jetzt auch ausdrücklich klargestellt, dass das von ihm so nicht gemeint war. - Klar ist, dass wir zur Terrorbekämpfung mehr Grenzkontrollen brauchen. Dafür setzen wir uns ein. Und ich bin gerade auch in den letzten Tagen im Gespräch mit dem Bundesinnenminister gewesen. Wir, denke ich, werden uns jetzt sehr kurzfristig darauf verständigen, dass die Kontrollen der Bundespolizei an der Grenze zu Österreich verstärkt werden. Wir werden unseren Beitrag von Bayern aus mit der bayerischen Polizei mit einer wesentlich intensivierten Schleierfahndungsmaßnahme an den Grenzen leisten. Wir müssen hier insgesamt mehr kontrollieren. Aber das Thema Terrorfahndung ist etwas völlig anderes als die Frage, dass wir in der Tat auch dafür eintreten, dass die Flüchtlingszahlen reduziert werden müssen. Aber die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren, ist ein anderes Thema als die, dass wir Terrorleute, die quer durch Europa unterwegs sind, stärker bekämpfen müssen.
    Heuer: Da kommt es auf den Zeitpunkt an, wann man Kritik an der Kanzlerin übt?
    Herrmann: Es geht vor allen Dingen mir jedenfalls als Innenminister darum, dass wir diese Dinge jetzt wirklich lösen, dass wir nicht nur gegenseitige Vorwürfe erheben, und deshalb liegt mir sehr daran, dass wir jetzt dieses Thema stärkere Kontrollen unmittelbar auch umsetzen. Und wir werden auf diesem Parteitag natürlich auch klare Positionen einbringen dazu. Wir werden versuchen, unsere Polizei in Bayern noch besser auszustatten. Der Bund schafft 3.000 zusätzliche Stellen für die Bundespolizei. Das sind alles wichtige, ganz konkrete Maßnahmen.
    Heuer: Und wie schnell geht das mit den 3.000 neuen Stellen der Bundespolizei?
    Herrmann: Die werden sicherlich schon in den nächsten zwei Jahren entsprechend besetzt werden. - Ja, es ist jedenfalls wichtig, dass jetzt die notwendigen Entscheidungen getroffen werden. Und ich will auch darauf hinweisen, dass ich sehr dankbar bin, dass nach langem Ringen jetzt Bundestag und Bundesrat der Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung zugestimmt haben. Das ist für die künftige Bekämpfung des Terrors von ganz entscheidender Bedeutung.
    Heuer: Das sind aber alles dann mittel- oder langfristige Maßnahmen. Die CSU votiert ja nun auch dafür, die Bundeswehr im Innern einsetzen zu können. Was soll denn die Bundeswehr in der aktuellen Situation zum Beispiel leisten?
    Herrmann: Wir setzen uns vor allen Dingen dafür ein, dass sowohl die Bundeswehr einerseits wie die Polizeien von Bund und Ländern verstärkt werden müssen. Wir erleben nämlich sowohl im Äußeren wie im Inneren, dass wir sehr schnell an das Limit kommen mit den vorhandenen Kräften. Wir haben uns ja auch dazu entschieden, dass die Bundeswehr-Präsenz in Afghanistan beispielsweise nicht weiter abgebaut wird, sondern eher wieder leicht gestärkt wird, eine klare Entscheidung der Großen Koalition, und dazu brauchen wir ...
    Heuer: Herr Herrmann, Entschuldigung! Nach Afghanistan gehört sie ja. Die Bundeswehr ist fürs Ausland.
    Herrmann: Eben!
    Heuer: Sie sagen aber fürs Inland. Wofür? Wofür genau?
    "Wir müssen sowohl Bundeswehr wie Bundespolizei stärken"
    Herrmann: Deshalb sage ich, wir brauchen eine Stärkung der Bundeswehr, und nur auf der Grundlage kann ich auch dann darüber reden, ob, wie das Bundesverfassungsgericht gesagt hat, in Fällen von katastrophalem Ausmaß hier gegebenenfalls die Bundeswehr auch im Inneren eingesetzt werden kann. Das ist zum Beispiel sicherlich möglich, wenn hier ein großer Terroranschlag unmittelbar bevorsteht aus Sicht der Sicherheitsbehörden. Aber ich glaube, dass diese Situation im Moment so nicht gegeben ist. Wofür ich dankbar bin ist, dass die Bundeswehr beispielsweise im Moment schon humanitär bei der Bewältigung des großen Flüchtlingszustroms ganz entscheidende Hilfe leistet, und das darf sie auch in Amtshilfe.
    Heuer: Eben! Sie darf all das, was Sie gerade geschildert haben. Ich verstehe Sie richtig: Die Bundeswehr im Innern, da finden Sie, es kann alles bleiben wie es ist?
    Herrmann: Wir müssen von den Möglichkeiten Gebrauch machen. Ich glaube, dass wir heute schon ein entsprechendes Instrumentarium haben. Aber ich sage noch einmal: Wir müssen sowohl Bundeswehr wie Bundespolizei stärken und ausbauen, weil wir überall im Moment feststellen, dass wir ans Limit kommen.
    Heuer: Die Bundeswehr könnte ja ganz akut Grenzen kontrollieren. Das wollen Sie aber nicht?
    Herrmann: Die Bundeswehr ist nicht zur Grenzkontrolle zuständig.
    Heuer: Okay, bleibt alles wie es ist. - Es gibt einen Vorschlag aus den Niederlanden. Über den möchte ich noch kurz mit Ihnen sprechen. Die möchten ein Mini-Schengen, also keine Grenzkontrollen, nur noch zwischen einigen Kernstaaten der EU. Was halten Sie davon?
    Herrmann: Wir müssen in der Tat historisch feststellen: Als das Thema Schengen angefangen hat - und das war Deutschland, Frankreich und die Benelux-Staaten -, da hat es funktioniert und es hat keiner über Sicherheitsdefizite geklagt. Es war sicherlich auch kein Problem, dass Österreich hier aufgenommen wurde, und wir stellen fest, dass beispielsweise unsere osteuropäischen Nachbarn wie Tschechien oder die Slowakei auch das alles sehr ernst nehmen. Aber wir stellen fest, dass das Thema Kontrolle der Schengen-Außengrenzen in Griechenland überhaupt nicht funktioniert, in Italien zum großen Teil nicht funktioniert und dass immer mehr Leute völlig unkontrolliert hier quer durch Europa unterwegs sind. Das ist in den letzten zwei Jahren vor allen Dingen am Thema Flüchtlinge diskutiert worden, aber es ist eben nicht nur ein Thema der Flüchtlinge, sondern es ist ein Sicherheitsproblem, weil die Menschen nicht ordentlich kontrolliert werden. Deshalb, denke ich, hat das seinen guten Grund, dass auch die Niederländer sagen, so haben wir uns das Thema Schengen nicht vorgestellt, und wenn an den Schengen-Außengrenzen nicht besser kontrolliert wird, dann müssen wir das im Inneren tun.
    Heuer: Joachim Herrmann, der bayerische Innenminister. Herr Herrmann, die Nachrichten kommen. Ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch.
    Herrmann: Ich danke Ihnen auch. Alles Gute.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.