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Terrorismus auf der Bühne
Leben mit der Angst

Wenn der Nachbar zum Terroristen wird oder die eigene Arbeit das Familienidyll bedroht: Das internationale "TERRORisms-Theaterfestival" am Schauspiel Stuttgart versucht mit Stücken aus Serbien, Frankreich oder Israel die Facetten dieser Form der Gewalt zu beleuchten. Das Besondere: Das Festival gibt nicht nur den Opfern eine Stimme.

Von Alexander Kohlmann | 26.06.2015
    Armin Petras, Intendant des Schauspiels Stuttgart, steht am 18.06.2015 im Schauspiel in Stuttgart vor einem Plakat für das Theaterfestival "TERRORisms / Terrorismen".
    Was tun, wenn der Kampf gegen den Terror plötzlich mit dem Alltag kollidiert? Dieser und anderen Fragen geht das Theaterfestival "TERRORisms" in Stuttgart nach. (picture alliance / dpa - Bernd Weissbrod)
    "Die Pilotin, eine Frau im besten Alter, sie sollte im Stehen zwischen 1,63 Meter und 1,96 groß sein sowie 50 Rumpfbeugen und 25 Liegestütze innerhalb von jeweils einer Minute schaffen."
    Was tun, wenn der Kampf gegen den Terror plötzlich mit dem Alltag kollidiert? Im Zentrum des aus dem Amerikanischen übersetzten Monologs "Am Boden" steht eine Drohnen-Pilotin der US-Airforce. Aus der Wüste in Las Vegas steuert sie unbemannte Flugzeuge überall auf der Welt, tötet sie auf Befehl - per Joystick. Nach der Arbeit fährt sie nach Hause - zu ihrem Ehemann und ihrer Tochter.
    "Ich steige in mein Auto und ich fahre ins Einsatzgebiet, mein Auto ist schnell. Es fährt mich aus der Einfahrt aus den Vororten hinaus in die Wüste. Und ich bin allein. Allein in der Wüste."
    Es gibt für diese Frau keinen Heimaturlaub von der Front, sondern nur noch einen ständigen Wechsel - zwischen Krieg und Familienleben - in Zwölf-Stunden-Schichten.
    Kollidierende Welten
    Immer mehr kollidieren in dem Drama nach einer wahren Geschichte die Welten, die die Pilotin zuvor so eindeutig voneinander trennen konnte. Wenn sie aus dem Drohnen-Stützpunkt nach Hause fährt, trägt sie ihre Flieger-Uniform. Irgendwo in der Wüste stellt sie kleine Holzkreuze für die Getöteten des Tages auf.
    Schließlich versagt ihre Psyche. Als sie einen hohen Terroristen-Anführer mitsamt seiner kleinen Tochter töten soll, erkennt sie in dem kleinen Mädchen auf dem Bildschirm ihre eigene Tochter. Sie kann den Abschuss-Knopf nicht drücken, verliert ihren Job, landet im Militär-Gefängnis.
    Die verstörende Lesung ist Teil des Auftakts zum Festival "TERRORisms" am Schauspiel Stuttgart. Das will der Frage nachgehen, was der mittlerweile über zehn Jahre andauernde Kampf gegen den Terror mit den Menschen macht.
    "Was hier zu sehen ist, während des Festivals, sind nicht Arbeiten zum Terrorismus",
    sagt der Dramaturg und Kurator Bernd Isele.
    "Es sind Blicke aus fünf europäischen Ländern auf dieses Thema, auch Blicke, die radikal unterschiedlich sind.
    Natürlich denkt man in Tel Aviv ganz anders über dieses Thema nach als in Belgrad. Dort wieder ganz anders als in Norwegen. Um diese internationalen Gastspiele herum haben wir uns bemüht, ein sehr ausführliches Festivalprogramm zu kuratieren."
    Die persönliche Perspektive des Terrors
    "TERRORisms", also. In fast allen Arbeiten des Auftaktes geht es darum, sich nicht aus der Makroperspektive, sondern auf einer persönlichen, menschlichen Ebene dem Thema zu näheren. Auch die Täter erhalten wieder ein menschliches Gesicht. Das gilt nicht nur für die Kampf-Drohnen-Pilotin in "Am Boden", sondern auch für den jungen Flugzeubau-Studenten Ziad Jarrah.
    Sein Leben endete in einem Feuerball auf einem Acker in Pennsylvania. Ziad steuerte das vierte Flugzeug der Terroranschläge vom 11. September. Jenes, das sein Ziel in Washington D.C. nicht erreichte.
    In seiner Inszenierung eines Textes von Carsten Brandau setzt Regisseur Manuel Harder die Zuschauer auf ein Feld aus verbrannter Erde, die die Schuhe schmutzig macht. Im Zentrum von "Wir sind nicht das Ende" steht Ziads Freundin, eine Medizinstudentin, der nach der unfassbaren Tat nur ein Abschiedsbrief blieb.
    "Nein, ich denk, nein, es ist mir überhaupt nicht egal. Es ist mir überhaupt nicht egal, er redet von Kindern und verschwindet vier Monate lang ohne ein Wort ohne alles, nein, denke ich, wie weich seine Haut ist."
    Immer wieder tritt sie in diesem düsteren Psychogramm dem toten Geliebten gegenüber. Wälzt sich mit ihrem Ziad im Schlamm, schlägt ihn, versucht raus zu bekommen, was für ein Mensch das war, mit dem sie Jahre ihres Lebens verbracht hat. Bevor er in ein Flugzeug stieg und 43 Menschen mit in den Tod nahm.
    In der Verzweiflung der Zurückgebliebenen und dem Kampf mit den eigenen Dämonen zeigt der Text eine Geschichte, die über die konkrete Situation hinaus jeden betrifft. Es geht um die zentrale Frage, "wer bist du", glaubt Regisseur Manuel Harder. Die habe wohl jeder schon einmal seinem Partner gestellt.
    "Irgendwann drängte sich die ganze 11. September-Problematik mal völlig nach hinten und ganz nach vor kam die Liebesfrage, wer ist der andere. Wer ist der andere. Und plötzlich ist man dann auch bei dem Terror-Begriff. Bei Liebe, bei Terror, wer ist der andere, wer bist Du eigentlich und wer bist Du gewesen. Irgendwer hat das Stück auch mal als eine Art Trauerarbeit genannt, den Begriff fand ich ganz schön."
    Manifestation des Missrauens
    Wer bist du? Es könnte die zentrale Frage für das ganze Festival sein. Die Manifestation des Misstrauens, die die Eskalation des Terrors über die westliche Welt gebracht hat. Ein Misstrauen, das alle Lebensbereiche erfasst und die Menschen verändert. In den kommenden Tagen werden zahlreiche weitere Arbeiten zu diesem Thema in Stuttgart zu sehen sein. Nach diesem starken Auftakt darf man vor allem auf die internationalen Gastspiele sehr gespannt sein.