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Terrorismus
Der Balkan als Rekrutierungsgebiet für den IS

Auch die Staaten des Westbalkan haben sich dem Anti-Terror-Kampf verschrieben. Gleichzeitig kann die Terrormiliz IS aber gerade aus diesen Ländern besonders viele junge Männer rekrutieren - radikalisierte Jugendliche, für die der Dschihad die einzige Perspektive ist. In Bosnien war die Handschrift des IS bereits deutlich erkennbar.

Von Stephan Ozsváth | 24.11.2015
    Im bosnischen Rajlovac kam es zu einem Überfall von Islamistischen Attentätern.
    Im bosnischen Rajlovac kam es zu einem Überfall von Islamistischen Attentätern. (dpa / picture alliance / Fehim Demir)
    Der Attentäter kam abends um halb Acht. Tatort: ein Wettbüro in Rajlovac, am Flughafen von Sarajevo. Dieser Augenzeuge erinnert sich.
    "Es war schrecklich, sagt er, der Angreifer kam sehr schnell herein, mit einem automatischen Gewehr. Feuerte eine Salve. Wir brachten uns in Sicherheit und als wir zurückkamen, hörten wir, dass zwei Soldaten erschossen worden waren. Ich war der Erste, der den Angreifer gesehen hat. Er lief mit einem Gewehr an mir vorbei. Wir schauten uns an. Und er kam mir bekannt vor. Er war unauffällig, zurückhaltend."
    Enes Omeragic heißt der Attentäter. 34 Jahre alt. Nach dem Attentat sprengt er sich in die Luft. Seinen Lebensunterhalt hat er mit dem Verkauf von Parfum und Socken bestritten. Er war drogensüchtig und vorbestraft. Und er hatte Kontakt zu radikalen Islamisten, sagen die Ermittler. Innenminister Dragan Mektic.
    "In seiner Wohnung hat er Literatur gehabt, Notizen gemacht, eine Art Tagebuch geführt, darin rühmte er den IS. Aufgrund aller bisher gesammelten Informationen können wir sagen: Es war eine radikalisierte Person."
    Der Lebenslauf des Bosniers Omeragic ist typisch für Dschihadisten in Europa, sagt der bosnische Terrorexperte Vlado Asinovic. Mehr als jeder Dritte wird vom gewöhnlichen Kriminellen zum Gotteskrieger.
    "Es gibt Polizeidossiers über sie. Manche von ihnen wurden wegen schwerer Straftaten verurteilt – sagt er: Terrorismus, Menschen- und Drogenhandel, Waffenschmuggel, Familiengewalt, bewaffnete Überfälle, kleinere Diebstähle. Der IS setzt in seiner Propaganda genau auf solche Leute. Seine Botschaft heißt: Es ist nicht wichtig, wie Du bisher gelebt hast, sondern wie Du stirbst. Er gibt ihnen also die Möglichkeit, die Schuld zu sühnen, wenn sie im Dschihad in Syrien oder im Irak sterben."
    Etwa 200 Bosnier sind bereits dem Ruf des IS gefolgt. Der Balkan bietet radikalen Missionaren Vorteile:
    Hier ist der Islam bereits heimisch. Und nach den Bürgerkriegen der 1990er-Jahre sind noch unzählige Waffen im Umlauf. Experten sprechen von mehr als 3,5 Millionen Handfeuerwaffen wie Kalaschnikows. Der bosnische Innenminister Dragan Mektic sagt.
    "Seit mehreren Jahren gibt es in Sachen illegalem Waffenschmuggel eine Beziehung zwischen dem Westbalkan und Frankreich. Hier gibt es nach den letzten Kriegen noch immer viele Waffen, nicht nur in Bosnien, sondern auch in Kroatien, Serbien, Kosovo, Mazedonien. Es gibt organisierte kriminelle Gruppen, die Waffen schmuggeln."
    Die Krisenregion Westbalkan ist ein Tummelplatz für Islamisten. Warum? Der bosnische Politologe Vedran Dzihic von der Uni Wien meint.
    "Wir haben in der gesamten Region Tendenzen zur Radikalisierung, schlicht auch deshalb, weil sich der Islamismus aus einer Unzufriedenheit – vor allem der Jugend speist. In dieser allgemeinen Verunsicherung gibt es ganz einfach eine gewisse Attraktivität, die von diesem Islamismus ausgestrahlt wird: Die einfache Lösungen und Slogans anbietet, die sich modern gibt, mit modernen Kommunikationsmitteln und das ist alles eine gefährliche Breimischung, die gerade am Balkan Explosionspotenzial hat."