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Terrorismus-Vernetzung von KGB und MfS

Eineinhalb Jahre hat Regine Igel die Akten der Stasiunterlagenbehörde zur Terrorabwehr des DDR-Geheimdienstes gewälzt. Die Autorin leistet mit ihrer Publikation einen ernst zunehmenden Beitrag zur Geschichte des deutschen und internationalen Terrorismus und seiner Vernetzung mit dem Ministerium für Staatssicherheit und dem KGB.

Von Karl Wilhelm Fricke | 29.10.2012
    22 Jahre ist es nun schon her, dass das Ministerium für Staatssicherheit aufgelöst wurde. Historiker haben seitdem immer wieder neue Facetten enthüllt. Und trotzdem: Schwarze Flecken bei der Aufarbeitung gibt es immer noch – etwa was die sogenannte Hauptabteilung XXII betrifft, die beim Geheimdienst für die Terrorabwehr zuständig war. Der Berliner Journalistin Regine Igel ist es nun gelungen, zumindest einen dieser Flecken zu beseitigen. Für ihr Buch "Terrorismus-Lügen" hat sie bei der Stasiunterlagenbehörde eineinhalb Jahre die Akten zur Terrorabwehr des DDR-Geheimdienstes gewälzt. Regine Igel hat sich bislang vor allem einen Namen mit ihren Recherchen um die Verstrickungen der italienischen "Roten Brigaden" mit Geheimdiensten gemacht. Ihre neuen Entdeckungen zeigen jetzt, dass dem SED-Geheimdienst jedes Mittel recht war im Kampf gegen die Bundesrepublik. Karl Wilhelm Fricke hat das Buch "Terrorismus-Lügen" für Andruck gelesen:

    "Hat das MfS Terror organisiert oder unterstützt?" Auf diese selbst gestellte Frage geben die Ex-Stasi-Generäle Werner Großmann und Wolfgang Schwanitz in dem von ihnen edierten Kompendium Fragen an das MfS die lakonische Antwort: "Selbstverständlich nicht." Und sie behaupten weiter, das Ministerium für Staatssicherheit hätte "zu keinem Zeitpunkt terroristische Organisationen, auch nicht die RAF, organisiert, gesteuert, beauftragt oder Vorhaben mit ihnen abgesprochen." Sie hätten auch "weder Waffen, Munition, Geld oder andere materielle Unterstützung" erhalten. Eine dreiste Unwahrheit, wie die Journalistin und Terrorismus-Forscherin Regine Igel in ihrem jüngsten Buch über den Terrorismus in Deutschland und sein Verhältnis zur DDR-Staatssicherheit plausibel nachweist. Ihre Kernthese:

    "Die Rolle der Stasi im deutschen und internationalen Terrorismus ist bis heute nicht aufgeklärt … Doch dokumentieren die hier vorliegenden Ergebnisse, insbesondere der erstmals gründlicheren Aktenrecherche zur Abteilung XXII ('Terrorabwehr') des MfS, dass es entgegen der Legende einer nur 'gelegentlichen Hilfestellung'’ eine massive und dauerhafte Unterstützung des deutschen und internationalen Terrorismus … gegeben haben muss."

    Gegeben haben muss … ? Das ist lediglich eine Folgerung, kein Beweis. Dennoch ist unbestritten, dass die Stasi-Hauptabteilung XXII mit ihren Diensteinheiten nicht nur für die Abwehr möglicher terroristischer Angriffe auf die DDR zuständig war. Sie hat ebenso Aktivitäten und Aktionen des Terrorismus in West-Berlin, der Bundesrepublik und im Nahen Osten zugelassen und unterstützt, logistisch wie finanziell. Erwiesen ist zudem, dass deutsche und palästinensische Terroristen von der Stasi zeitweilig in einem Trainingszentrum in Briesen südöstlich von Berlin im Gebrauch von Schusswaffen und im Umgang mit Sprengstoffen geschult wurden. Im Übrigen war die DDR Transit-Land für Terroristen in einigen arabischen Ländern und Rückzugsraum für sogenannte Aussteiger aus der Terror-Szene. Und sie hat nicht zuletzt dafür gesorgt – im Zusammenwirken mit der Hauptverwaltung Aufklärung und der für Passkontrolle zuständigen Hauptabteilung VI -, dass im Westen zur Fahndung ausgeschriebene, schwer belastete Mitglieder der Rote Armee-Fraktion im Staat der SED dauerhaft Unterschlupf fanden. Dazu die Autorin:

    "Die Legende besagt, zehn Mitglieder der zweiten RAF-Generation siedelten Anfang der 1980er Jahre in die DDR über und ließen sich im realen Sozialismus zu angepassten und braven Bürgern resozialisieren … Der genaue Blick in die Akten entlarvt die uns erzählten Sehnsüchte der 'Aussteiger' nach einem ruhigen Kleinbürgerleben als zweckgerichtete Desinformation. Der Destabilisierungskampf gegen die feindliche Bundesrepublik trat vielmehr in eine neue Phase."

    Regine Igel begründet ihre von anderen Experten bezweifelte Hypothese mit dem Argument:

    " … dass die DDR den Terrorismus sehr wohl und umfassend unterstützt hat, und auch dass der Terrorismus in den 1980er-Jahren nicht nur weiterging, sondern so perfekt und spurenlos weiterging, wie es nur Geheimdiensten gelingen kann."

    Es ist im Rahmen dieser Rezension kaum möglich, die breit gefächerte Thematik und die Fülle der Fakten, Namen und Details zu erfassen, die die Autorin in ihrer Untersuchung offeriert. In ihrer Darstellung geht sie zurück bis zu den Anfängen des Terrorismus in den späten 1960er-Jahren - bis zur Gründung der Bader-Meinhof-Gruppe, der Rote Armee-Fraktion und der sogenannten Bewegung 2. Juni samt aller Mord- und Untaten. Einen Eindruck von der thematischen Vielfalt vermitteln die Überschriften zu den fünf Kapiteln, in die sich das Buch gliedert.

    1. "Vorboten des deutschen Terrorismus"
    2. "Das internationale Netz unter dem Dach von Stasi und KGB"
    3. "Die Terrorismus-'Aussteiger' und die so genannte dritte RAF-Generation"
    4. "Rechtsterroristen an der Seite der Stasi."
    5. "Warum Aufklärung nur bedingt erwünscht ist".


    Was die Autorin im fünften Kapitel zu Papier bringt, birgt politische Brisanz. Immerhin unterstellt sie, dass der Einfluss der Stasi im Terrorismus, ob im linken oder rechten, in seinem wirklichen Ausmaß verdeckt bleiben soll:

    "Liegt der Grund darin, dass es hier auch um unrühmliche und deshalb verdeckt zu haltende Geheimdienstmachenschaften des Westens geht? Sollten die Ausmaße der RAF-Stasi-Kooperation klein gehalten werden, um Täter der Abteilung 'Terrorabwehr' vor juristischer Verfolgung zu schützen? Will man sich hoch qualifizierter geheimdienstlicher Diener auch der zweiten deutschen Diktatur bedienen? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der halbherzigen Entnazifizierung der Zeit nach 1945 eine halbherzige 'Entstasifizierung' folgte."

    Fragen, ebenso polemisch wie spekulativ gestellt. Ungeachtet mancher sachlicher Einwände leistet die Autorin mit ihrer Publikation einen ernst zunehmenden Beitrag zur Geschichte des deutschen und internationalen Terrorismus und seiner Vernetzungen mit dem MfS und dem KGB. Man muss die Schlussfolgerungen nicht immer teilen, die Regine Igel aus ihrer Analyse zieht. Sie geraten zuweilen zu puren Verschwörungstheorien, aber ihr gleichwohl informatives, auf intensive Stasi-Akten-Recherchen gestütztes Buch hat eine Fülle bislang kaum gekannter oder bekannter Fakten zutage gefördert. Es macht jedenfalls bewusst, dass das Beziehungsgeflecht MfS und Terrorismus noch erheblicher Klärung bedarf. Ein Buch kurzum, das nachdenken macht und den kritischen Diskurs provoziert.

    Und wenn Sie sich provozieren lassen wollen, schreiben Sie mit:

    Regine Igel: Terrorismus-Lügen. Wie die Stasi im Untergrund agierte.
    Herbig Verlag, 336 Seiten, 22,99 Euro.