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Testleber aus dem Baukasten

Wenn Medikamentenwirkstoffe in der menschlichen Leber abgebaut werden, entstehen unterschiedlichste Zwischenprodukte. Besonders bei neuen Präparaten ist anfangs unklar, wie diese Zwischenprodukte auf den Körper wirken. Um das früher herauszufinden, steht Pharmafirmen nun ein spezieller Enzymbaukasten zur Verfügung.

Von Kathrin Wildemann | 18.03.2013
    Die Stoffwechselprodukte der Leber sind nicht immer harmlos. Das hat fast jeder schon am eigenen Leib erfahren, wenn auf einen feucht-fröhlichen Abend Kopfschmerzen und Übelkeit folgten. Leberenzyme setzen den Alkohol zum gesundheitsschädlichen Acetaldehyd um. Bevor ein neues Medikament an Patienten erprobt werden kann, muss der Entwickler daher auch die Abbauprodukte kennen und deren Giftigkeit überprüfen.

    "In der Vergangenheit war`s halt so, dass die Pharmafirmen, die ein neues Medikament entwickelt haben, diese Stoffe, die dann im Körper produziert werden, vorhersagen mussten und die dann auf chemischem Wege umständlich synthetisieren. Und manchmal waren diese Vorhersagen auch nicht korrekt. Da hat man dann Monate investiert, um eine Verbindung zu synthetisieren, die dann im Endeffekt im Körper gar nicht entstanden ist."

    Margit Winkler vom Austrian Centre of Industrial Biotechnology in Graz, kurz ACIB. Für die Vorhersagen, erzählt sie, nutzten die Forscher Tierversuche oder sogenannte Leberhomogenisate: pürierte menschliche Leber:

    "So, wie man sonst Leberknödel macht, hat man da den Leberrohstoff als chemisches Reagenz eingesetzt."

    Die Ergebnisse, die diese Methoden liefern, lassen sich aber oft nicht verallgemeinern. In welcher Menge verschiedene Enzyme tatsächlich in der Leber vorkommen, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Zwischen Mensch und Tier sind die Abweichungen noch größer. Weist eine Versuchsleber beispielsweise ein relevantes Enzym nur in geringer Konzentration auf, lässt sich das entsprechende Abbauprodukt mit dieser Leber nicht nachweisen. Dennoch kann es in anderen Patienten eine große Rolle spielen. In Zusammenarbeit mit zwei großen Pharmafirmen entwickelt Margit Winkler daher eine Art Leberbaukasten, der präklinische Studien beschleunigen und vereinfachen soll.

    "Wir wollen einfach eine Sammlung an verschiedenen Enzymen im Kühlschrank haben, wo man dann jeweils das, was man braucht, herausnehmen kann und sich sozusagen seine Leberfunktionen im Reagenzglas zusammenstellen kann."

    Insgesamt sind in der menschlichen Leber etwa 20 verschiedene Enzyme aktiv.

    Neun davon haben die Grazer Forscher schon in ihrer Sammlung. Hergestellt werden die Substanzen heterolog, das heißt: Verschiedene Bakterienstämme produzieren als Wirtsorganismus jeweils eine Enzymsorte. Für die Tests werden die enzymgefüllten Einzeller mit Ultraschall aufgeknackt und mit dem Medikament versetzt.

    "Wir haben uns da für Everybody's Darling entschieden, Escherichia coli. Diese Bakterien sind dann eben in der Tüpfelplatte, in jeder Position ein anderes, und dann wird der Wirkstoff dazu pipettiert. Das ganze wird dann auf einer Rüttelplatte geschüttelt und danach wird das abzentrifugiert und der Überstand wird vermessen. Die Handhabung ist sehr einfach, das war auch eines der Grundkriterien, die die Pharmafirmen eben genannt haben: Es soll schnell gehen, es soll robust sein, es soll einfach sein."

    Da alle Enzyme in ausreichender Menge vorhanden sind, weisen die Grazer so alle Stoffwechselprodukte nach, die in einer beliebigen Patientenleber entstehen können. Sie können genau nachvollziehen, welche Enzyme tatsächlich aktiv sind und in welche Verbindungen sie das Medikament umwandeln. Bis jetzt haben die Österreicher sich auf diejenigen Enzyme konzentriert, die Stickstoff- und Schwefelverbindungen abbauen. Diese beiden Elemente sind in sehr vielen biologisch aktiven Substanzen enthalten. Auf lange Sicht soll die künstliche Leber aber alle Medikamentenklassen verstoffwechseln können. Die Enzyme der Grazer haben noch einen weiteren Vorteil: Sie können die Abbauprodukte auch in größeren Mengen herstellen.

    "Dazu würde man dann diesen Bakterienstamm in größeren Mengen anzüchten und einen Glaskolben mit einem halben Liter Inhalt zum Beispiel verwenden, wo dann 100 Milligramm von dem Wirkstoff zugegeben werden. Und das Produkt, üblicherweise auch um die 100 Milligramm, kann dann danach isoliert werden. Und das reicht für weitere Studien."

    Damit entfällt die Synthese der Substanzen im Labor. Die kann im ungünstigsten Fall mehrere Monate in Anspruch nehmen. Bei den beiden Kooperationspartnern aus der Industrie kommt die Leber zum selber Bauen daher auch schon zum Einsatz. Bis die Enzymsammlung komplett sei, dauere es aber noch einige Jahre, meint Margit Winkler.