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Teurer Umweg

1981 kam in Frankreich die Linke an die Macht. Sie fand eine Wirtschaft vor, die nach dem Ölpreisschock schwächelte. Der Ausweg des neuen Präsidenten François Mitterrand: Verstaatlichung von Schlüsselunternehmen. Vor 30 Jahren bestätigte der Verfassungsrat endgültig die Nationalisierungen.

Von Stefan Schmid | 11.02.2012
    "Reconstruire notre industrie … Es geht darum, unserer Industrie neue Impulse zu geben."

    … hatte der französische Präsident Mitterrand auf der ersten Pressekonferenz nach seiner Wahl im Mai 1981 gesagt. Zwei drastische Ölpreissprünge hatten eine Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit ausgelöst, deswegen waren die Sozialisten an die Macht gekommen. Sie hatten den Wählern versprochen, die Wirtschaft unter anderem durch die Verstaatlichung vieler großer Unternehmen wieder in Schwung zu bringen. Nochmals Mitterrand:

    "Es ist wichtig zu wissen, dass bei uns die verstaatlichte Industrie produktiv arbeitet."

    Am 11. Februar 1982 billigte der Verfassungsrat als letzte Instanz ein Nationalisierungsgesetz, das die fünf größten Industriekonzerne Frankreichs betraf, etwa den Baukonzern Saint Gobain oder den Chemiekonzern Rhône Poulenc, außerdem 39 Banken und zwei Finanzgesellschaften. Das Gesetz war aber nur Teil einer großangelegten Verstaatlichungswelle, die auch Unternehmen der Stahlindustrie, sowie Waffen- und Luftfahrtkonzerne wie Dassault und Matra erfasste. Professor Henrik Uterwedde vom Deutsch-Französischen Institut der Universität Stuttgart:

    "Die bisherigen Aktionäre wurden entschädigt, …, natürlich gibt es da immer unterschiedliche Auffassungen über den Wert der Unternehmen und über den Umfang der Entschädigungen, aber das hat wirklich keine entscheidende Rolle gespielt, insgesamt sind diese Verstaatlichungen in dieser Hinsicht relativ reibungslos abgelaufen."

    … und das erste Etappenziel war rasch erreicht. François Mitterrand:

    "Quel sera le resultat pratique de cette situation nouvelle … Zu welchem Ergebnis wird diese neue Lage praktisch führen? Wir leben nun etwas stärker, als dies bisher der Fall war, in einer gemischten wirtschaftlichen Gesellschaftsordnung."

    Mitterrand verdoppelte den Anteil staatlicher Unternehmen am Industrieumsatz auf 31 Prozent. Das Bankgeschäft lag sogar fast vollständig in staatlicher Hand. Zweck der sogenannten "Nationalisierung" war aber nicht, die Unternehmen völlig anders zu führen und zu organisieren. Sondern vor allem, sie vor feindlichen Übernahmen zu schützen und ihnen einen Ausweg aus der Sackgasse zu eröffnen. Henrik Uterwegge:

    "Sie waren unterkapitalisiert, sie hatten Wettbewerbsprobleme, und insofern war die Verstaatlichung dieser Konzerne schon ein Stück weit auch Schutz dieser Unternehmen … und der Versuch, sie eben mit neuem Geld auszustatten … und sie insofern zu stärken im weltweiten Wettbewerb. Das war die Hauptstoßrichtung. Dass natürlich damit bezweckt wurde, auch die französische Industrie insgesamt zu retten, und auch industrielle Arbeitsplätze zu retten, und wenn möglich sogar neue Arbeitsplätze zu schaffen, indem moderne Industrien vorangebracht wurden, das war sicherlich ein zweiter Aspekt der Verstaatlichung."

    Entschädigungszahlungen, Finanzspritzen zur Sanierung, dazu noch hohe Staatsausgaben, um den Konsum anzukurbeln - diese kostspielige Wirtschaftspolitik steuerte Frankreich aber noch tiefer in die Krise. Denn die Franzosen zogen letztendlich japanische und deutsche Produkte den einheimischen vor - das Geld aus der Staatskasse floss größtenteils ins Ausland ab. Arbeitslosigkeit und Inflation stiegen immer stärker, der französische Franc geriet unter Druck. Schon 1983 musste Mitterrand die Notbremse ziehen und auf einen harten Sparkurs umschwenken. Auch die Bilanz der Verstaatlichung fiel ernüchternd aus. Henrik Uterwedde:

    "Man hat im Grunde genommen erst hinterher gemerkt, wie stark diese Unternehmen in Schwierigkeiten steckten, fast alle schrieben rote Zahlen, hatten also Defizite. Und so war die erste Aufgabe des französischen Staates überhaupt, diese Unternehmen wieder einigermaßen flott zu machen, ihnen auch zu helfen durch Restrukturierung an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Und insofern hat man sehr, sehr schnell Illusionen verloren über die tatsächlichen Möglichkeiten, mit verstaatlichten Unternehmen eine kraftvolle Industrie in Frankreich voranzubringen."

    Immerhin waren die Unternehmen dank der staatlichen Zuschüsse wieder besser gerüstet für den internationalen Konkurrenzkampf – und für eine Reprivatisierung. Die kam, als Mitterrand 1986 seine parlamentarische Mehrheit verlor, weil seine Wirtschaftspolitik nicht wie versprochen funktioniert hatte:

    "Und diese Reprivatisierung ist bis in die 90er, 2000er-Jahre fortgeführt worden, sowohl von konservativen, als auch von sozialistischen Regierungen. So dass heute im Grunde genommen nichts mehr von dieser verstaatlichten Industrie und auch von den Banken und Versicherungssektor übrig geblieben ist."

    So sind auch Staatsgarantien oder Staatsbeteiligungen für französische Banken in der jüngsten Finanzkrise kein Strategiewechsel nach dem Muster von 1982. Denn sie sind nicht auf Dauer angelegt, wenn das Finanzsystem stabilisiert ist, wird sich der Staat wieder zurückziehen.