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Textil-Schnäppchen auf Kosten der Hersteller

Die Verbraucher freut es, die Hersteller weniger: Sonderangebote für Kleidung beim Discounter sind oft viel billiger als die Ware im Fachhandel. Ermöglicht wird das unter anderem auf Kosten der Arbeiterinnen und Arbeiter in Entwicklungsländern. Sie müssen für sehr wenig Geld oft unter miserablen Bedingungen arbeiten. An diesem Wochenende will die Kampagne für saubere Kleidung, ein Bündnis von umwelt- und entwicklungspolitischen Gruppen, in vielen Städten Deutschlands vor allem auf Arbeitsbedingungen in chinesischen Fabriken hinweisen - von dort kommt ein großer Teil unserer Textilimporte.

Von Friederike Schulz | 07.03.2008
    Mit krummem Rücken sitzen die 17-jährige Yasmin und ihre Kollegin auf einer Holzbank an einem großen Tisch. Darauf stapeln sich Jeanshosen. Die jungen Frauen müssen die Fäden an den Nähten abschneiden. Sie haben Mühe, die Augen aufzuhalten. Es ist spät am Abend, und nach 15 Stunden Arbeit noch immer kein Feierabend in Sicht.

    "Heute müssen wir die Nacht durcharbeiten."
    "Ich weiß, es steht auf der Tafel am Eingang."
    "Wir dürfen erst schlafen, wenn wir fertig sind."
    "Die Schnallen schaffen wir aber heute Nacht nicht."
    "Ich habe gehört, dass morgen noch mal rund 3000 Stück kommen. Dann kriegen wir wieder keinen Schlaf."

    Damit die übermüdeten Arbeiterinnen nicht einschlafen, verteilen die Aufseher Wäscheklammern. Damit sollen sich die Mädchen die Augenlider an den Brauen "hochstecken", um nicht einzuschlafen. - So schildert der britische Regisseur Micha X. Peled in seinem Film "China Blue" die Arbeitsbedingungen in der chinesischen Textilindustrie. Wenn ein eiliger Auftrag aus Europa ansteht, wird durchgearbeitet, bis die bestellten Jeans fertig sind. Und das kommt häufig vor, denn China hat sich in den vergangenen Jahren zum weltweit größten Exportland für Bekleidung entwickelt. Ein Viertel der gesamten Produktion kommt von dort. Auch in deutschen Kaufhäusern ist auf zahlreichen Etiketten "Made in China" zu lesen. Besonders in die Kritik geraten ist der Aldi-Konzern, der seine wechselnden Textil-Schnäppchen über ein verworrenes Geflecht aus Zuliefererfirmen bezieht. Das Südwind-Institut, das der Evangelischen Kirche nahe steht, hat es dennoch geschafft, fünf Textilfabriken in China ausfindig zu machen, die für Aldi Waren produzieren. Die Befragung der Arbeiter ergab ein erschreckendes Bild: In allen fünf Betrieben konnten eklatante Verstöße gegen sämtliche Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation nachgewiesen werden, sagt Ingeborg Wick, die Autorin der Studie:

    "Kinder wurden vermittelt aus Schulen in die Fabriken. Ihnen wurde später von ihrem Lohn eine Vermittlungsgebühr abgezogen, die die Schulen erhalten haben. Beschäftigte haben sich nachts aus den fabrikeigenen Schlafsälen heraus geschlichen und sind dann, vorbei am Sicherheitspersonal, aus der Fabrik gegangen, weil sie befürchtet haben, eine offizielle Erlaubnis zum Kündigen nicht zu bekommen."

    Auf die Veröffentlichung der Studie reagierte Aldi prompt und bekannte sich in einem Schreiben an das Südwind-Institut zu seiner sozialen Verantwortung. Inzwischen ist der Konzern sogar einem Bündnis europäischer Unternehmen beigetreten, die sich für faire Arbeitsbedingungen bei ihren ausländischen Zulieferern einsetzen. Doch bei den vorgeschriebenen Kontrollen, so genannten "Audits", sind meist keine Gewerkschaftsmitglieder zugelassen, und die Prüfer müssen ihren Besuch vorher ankündigen. Aus Sicht der europäischen Textilkonzerne ist dies jedoch kein Problem, betont Stefan Wengler, der Geschäftsführer der Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels:

    "Zum Beispiel wenn Sie Kinderarbeit haben, und am Tag des Audits bleiben die Kinder zu Hause, sehen sie trotzdem, ob in dem Betrieb Kinder beschäftigt sind oder nicht, sei es an Näher-Arbeitsplätzen, an kinder-spezifischen Arbeitsplätzen. Das lässt sich nicht so leicht verbergen."

    Ingeborg Wick vom Südwind-Institut gibt sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Sie ist überzeugt: Nur wenn die Kontrollen unangekündigt sind und auch Gewerkschafter dabei zugelassen sind, wird sichergestellt, dass die Produktion unter fairen Bedingungen abläuft. Und dafür kann bisher kaum ein deutsches Unternehmen garantieren. Verantwortungsbewussten Verbrauchern bleibe daher nur, den Firmen immer wieder ihren Unmut über die Arbeitsbedingungen mitzuteilen.

    "Da ist Bewegung in diese ganze Welt gekommen. Dadurch, dass Konsumenten ihren Protest geäußert haben, dass sie in verschiedenen Aktionen auf der Straße oder in Briefaktionen gegenüber den Unternehmen ihr Unbehagen ausgedrückt haben. Und das hat dazu geführt, dass erste Schritte überhaupt eingeleitet worden sind. Heute haben multinationale Unternehmen eine Verantwortung für die soziale Lage in globalen Lieferketten übernommen, was vor zehn Jahren überhaupt nicht der Fall war."