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Textilien aus Schlachtabfällen
Feinster Zwirn aus Gelatine

Aus Haut, Knochen und Sehnen wird feines Garn - Schweizer Forschern ist es gelungen, Textilien aus Schlachtabfällen herzustellen. Das neuartige Material fühlt sich an wie Schafswolle und ist wasserabweisend.

Von Dietrich Karl Mäurer | 31.07.2015
    Phillipp Stössel hält einen Handschuh aus Gelatinefasern in der Hand.
    Phillipp Stössel hält einen Handschuh aus Gelatinefasern in der Hand. (Dietrich Karl Mäurer)
    Stolz zeigt der Chemiker Philipp Stössel das Ergebnis seiner Forschungen: ein Strickhandschuh - weiß mit rotem Streifen. Auf den ersten Blick ist der von einem klassischen Handschuh aus Wolle nicht zu unterscheiden - aber - so erklärt der Doktorand der Technischen Hochschule ETH in Zürich - dieser Handschuh ist aus einem ganz besonderen Material gefertigt:
    "Hier haben wir jetzt unseren Prototypen, der erste Handschuh, den es meines Wissens auf der Welt gibt, der aus Gelatine gefertigt ist."
    Ein Handschuh gestrickt aus Gelatine-Faden. Der wird hergestellt aus Schlachtabfällen - also aus Knochen, Sehnen und Haut, die in den Schlachthöfen weltweit jeden Tag in gewaltigen Mengen anfallen.
    Diesen Abfall zu nutzen, ist die Idee hinter dem Gelatine-Garn, erklärt Stössels Kollege, der Chemiker Robert Grass:
    "In diesem Fall versuchen wir aus Müll wieder brauchbare Produkte herzustellen."
    Doch aus Schlachtabfällen Wolle zu spinnen, ist nicht einfach. Die durch Kochen der Abfälle gewonnene Gelatine ist weich und wasserlöslich - gut geeignet für die Herstellung von Gummibärchen und Puddingpulver, aber nicht für Kleidung.
    Kleidungsstücke aus Schlachtabfällen
    "Wir haben da Prozesse entwickeln müssen, wie wir sozusagen die Gelatine wieder in den Zustand versetzen, in dem sie stabil ist."
    Das gelingt mittels eines mehrstufigen Verfahrens, erklärt Chemiker Phillip Stössel und demonstriert im Labor die Herstellung des Fadens aus einer Gelatinemasse:
    "Aus diesen Schläuchen kommt ein klebriger Faden heraus, der hat so 100 Mikrometer im Durchmesser."
    Dieser haardünne Faden wird chemisch und mechanisch behandelt und dadurch stabil. Das Wollfett Lanolin macht ihn wasserfest. Fertig ist der Faden, der sich zu Wolle verspinnen lässt und von Natur aus eine angenehme Farbe hat.
    "Die Gelatine selber ist eher gelblich, wenn wir das aber ausfällen, wird das ganz weiß, und die schöne weiße Farbe bleibt im Garn erhalten. Und das besondere ist, dass sie einen wunderbaren Glanz aufweist - wie Seide."
    Auch vom Tragegefühl des aus Gelatine-Faden gestrickten Handschuhs sind die Schweizer Wissenschaftler begeistert:
    "So ein Garn, so eine Textilstruktur auf der Haut fühlt sich sehr sehr angenehm an - ähnlich wie Wolle."
    Ob potentielle Kunden von Textilien aus Schlachtabfällen ebenso angetan sind, wie die Entwickler, muss sich noch zeigen. Nicht jeder dürfte sofort überzeugt sein vom Gewebe aus Knochen, Haut und Sehnen:
    "Ja, aber wenn ein vergleichbares Produkt aus normaler Wolle gleich teuer wäre, würde ich wahrscheinlich die konventionelle Wolle bevorzugen."
    "Ich weiß es noch nicht, ich müsste mir dazu noch mehr Gedanken machen können, aber Abfälle zu verwerten, ist im Grunde genommen gut."
    Bis Handschuhe, Schals und T-Shirts aus Gelatine in den Kaufhäusern angeboten werden, wird wohl noch etwas Zeit vergehen. Denn noch hat sich kein Partner gefunden, der die zum Patent angemeldete Entwicklung der Züricher Forscher umsetzen will.