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Thailändischer Musiker Jo Rangsan
72 Songs für Chiang Mai

Tango gegen Korruption, Swing zur Rettung der Natur und Thai Rock´n Roll gegen den IS-Terror. Damit will der Liedermacher Jo Rangsan Nordthailand aufrütteln. In diesem Jahr wird seine Musik überall in Chiang Mai zu hören sein, denn die Stadt feiert ihr 720-jähriges Bestehen. Rangsan schrieb dafür 72 Chansons.

Von Regina Kusch | 04.03.2016
    Der Musiker Jo Rangsan spielt auf einer Gitarre.
    Opulente Auftragsarbeit: Joe Rangsan Chaiya schrieb Musik für das Festival "Music fills the air" in der Stadt Chiang Mai. (Regina Kusch)
    Der Liedermacher Jo Rangsan lebt in Chiang Mai, der größten Stadt im Norden Thailands. Seit über zehn Jahren experimentiert er damit, musikalische Stilelemente aus der westlichen Welt mit der Musik seiner Heimat, dem Lana-Stil zu kombinieren. Lan Na, das heißt soviel wie "Land der Millionen Reisfelder" und war vom 13. bis zum 17. Jahrhundert ein eigenständiges Königreich, dessen Hauptstadt Chiang Mai war. Es hatte eine eigene Sprache, die bis heute im Norden des Landes gesprochen wird, und die in Bangkok oder Phuket kaum jemand versteht.
    "Selemaw" heißt eine Melodie, ein Wiegenlied der Hilltribes, der im Norden lebenden Bergvölker:
    Musik "Selemaw" – Jo Rangsan & Rasi Dib
    Jo Rangsan hat eine Art nordthailändische Weltmusik geschaffen und präsentiert hier einen ungewöhnlichen Instrumenten-Mix: ein viersaitiges, gezupftes Sueng. Das ist eine Langhalslaute aus Teakholz, und einer Khlui, das ist eine Flöte, die schon im 15. Jahrhundert am Königshof von Lan Na gespielt wurde. Wenn er zu diesen antiken Instrumenten Klänge einer E-Gitarre einspielt, hat Jo Rangsan festgestellt, kommt ein bisher noch nie dagewesener Sound heraus.
    Rasi Dib bedeutet "unabhängig"
    Die Musikszene in Chiang Mai ist klein und überschaubar. Am Stadtrand hat Jo Rangsan vor zehn Jahren ein Tonstudio aufgebaut. Viele Musiker aus der Gegend nehmen bei ihm auf. Hier produziert der Gitarrist auch seine eigene Musik und die seiner Band Rasi Dib. Rasi Dib, das bedeutet soviel wie "unabhängig und unplugged".
    Jo Rangsan steht nicht auf main stream. Vor allem nicht auf die üblichen thailändi schen Liebesschnulzen ohne Happy End, die meistens von verzweifelten Geliebten, unglücklichen Beziehungen und verlorenem Glück handeln. Er bevorzugt fröhliche Lovesongs. "Paint the time" ist so einer.
    "‘Paint the Time‘ hab ich für meine Freundin geschrieben. In diesem Song habe ich übrigens eine Flöte aus Bambus eingesetzt, die tönt wie Wind. Man nennt sie Bi Joom. In diesem Lied geht es darum, eine gute Zeit mit jemandem zu teilen, den man liebt. Es ist wie den Himmel bunt anzustreichen. Wenn man ein gutes Gefühl zueinander hat, braucht man nicht viel Geld auszugeben. Man kann auch so eine tolle Zeit verbringen."
    Musik "Paint the time"- Joe Rangsan & Rasi Dib
    "Ich schreibe nicht für einen Massengeschmack. Wichtig für mich ist, dass ich mir selber vertraue. Dann kann ich mein Bestes geben. Ich baue das, was mir passiert, in meine Lieder ein: das Buch, das ich gelesen habe, den Film, den ich gesehen habe, Lieder, die mir gefallen und Leute, die ich kenne. Ich singe auch gerne über die Liebe aber die Welt besteht nun mal nicht nur aus Liebe. Popmusik ist gut und schön, doch das reicht mir nicht. Ich will mehr. Allerdings muss ich schon aufpassen, dass mir die Leute auch gerne zuhören. Es ist nicht leicht hier ernsthaft über Probleme zu sprechen. Die Leute mögen das nicht."
    In einem Land wie Thailand, in dem niemand auch nur ansatzweise negativ über die Königsfamilie reden darf, ohne mit einer Gefängnisstrafe rechnen zu müssen, wird öffentlich nicht über politische Missstände diskutiert. Auch Jo Rangsan tut das nicht und er ist weit davon entfernt, sich als zorniger Protestsänger zu verstehen. Er will, dass die Leute wegen seiner Geschichten zu seinen Konzerten kommen.
    Kritische Botschaften verpacken
    "Das Leben – darum geht es. Es gibt so viele Dinge, über die wir reden sollten. So viele Stimmungen: Liebe, Traurigkeit oder Gleichmut. So viele Dinge, die einem passieren können. Wenn etwas mit deiner Umwelt geschieht, wenn die Natur zerstört wird, wenn ungeheuerliche Dinge in der Welt passieren, kann ich darauf als Songwriter reagieren."
    Kritische Botschaften muss er dabei gut verpacken. In eine alte Indianermelodie z.B., die auch ohne Text schon gut gefällt. Die Geschichte erzählt dann von einer weisen Seherin, die die Welt davor warnt, in ihrer Gier nach materiellen Werten die Natur zu zerstören; sei es mit genetisch veränderten Lebensmitteln, dem verantwortungslosen Roden von Wäldern oder der Ausbeutung von Bodenschätzen.
    Musik "Wantana"- Joe Rangsan & Rasi Dib
    Wantana von Jo Rangsan. Der Nordthailändische Musiker singt auch gegen Terror und Krieg und für den Frieden in der Welt. Immer sehr freundlich, für unser Verständnis wirkt das fast ein wenig naiv. Protest-Songs im westlichen Sinne sind in Thailand undenkbar. Offen kritisch oder gar aggressiv zu sein, gegen Autoritäten wie Eltern oder Politiker, gehört sich einfach nicht!
    "Wenn man die Wahrheit sagt, sollte man das höflich tun. Aber man muss auch nicht zu bescheiden oder zu schüchtern sein. Man muss schon reden, eine Botschaft und eine Haltung aussenden. Täglich hören wir jede Menge schlechte Nachrichten. Das meiste kann ich nicht ändern. Aber als Liedermacher muss ich einfach darüber schreiben."
    Requiem für den Dschungel
    Seine Ballade "Muang Nai Foon", Stadt im Staub, ist ein Requiem für den Dschungel in den nordthailändischen Bergen. Wie kann es sein, dass die Menschen nicht merken, dass sie vor lauter Gier nach Wohlstand die Natur zerstören, die eigentlich ihre Lebensgrundlage ist? – fragt Jo Rangsan darin. Dass sie nicht nachdenken, wenn sie aus Profitgier die Wälder abholzen, und vielleicht irgendwann diese Lebensgrundlage zerstört haben werden und nichts bleiben wird als staubige Städte?
    Musik "Muang nai Foon"- Joe Rangsan & Rasi Dib
    Immer wenn er komponiere, habe er die Bilder seiner Heimat im Kopf, sagt Jo Rangsan. Für das Lied "Nang Norn" beispielsweise nutzt er eine alte Legende und macht daraus eine Liebeserklärung an die Natur Nordthailands. Es ist die Geschichte einer Prinzessin, die mit ihrem bürgerlichen Geliebten aus dem elterlichen Palast flieht, um in den Wäldern des Nordens Freiheit und ihr Glück zu finden.
    "Doch ihre Eltern schicken Soldaten hinter ihr her, um sie zurückzuholen und den Geliebten zu töten. Es kommt zum Kampf. Die Soldaten siegen, die Prinzessin begeht Selbstmord und vergießt ihr Blut in den Fluss Nong Nong bei Chiang Rai.
    Die Flöte treibt die Geschichte voran
    Ich hab die Boom, die Bambusflöte, für die Kampfszenen eingesetzt und einen Rhythmus, der dem afrikanischen Beat ziemlich nah kommt. Und du hörst, wie die Flöte die Geschichte vorantreibt. Du hörst auch, wie plötzlich der Kampf aufhört und das Blut der Prinzessin in den Fluss fließt."
    Weil ihre Liebe so stark wie ein Fels war, verwandelt sich die Prinzessin sich in einen majestätischen Berg, um dessen Gipfel der Wind spielt und bis heute das Lied dieser unglücklichen Liebe erzählt.
    "Heute kannst Du dort noch die Musik hören"
    "Man hört die verschiedenen Rhythmen. Und man kann die Geschichte im Lied hören. Man braucht kein Youtube Video. Du kannst die Kampfhandlungen hören, die Umgebung, und plötzlich am Ende wird es so traurig, süß und sanft zugleich, wenn die Prinzessin Selbstmord begeht. Ich hab alle Bilder in meinem Kopf: Die Kampfszene spielt in einem Wald, am Ufer eines kleinen Flusses statt. Nachdem sie gestorben ist, hat sie sich in einen großen Berg verwandelt. Und heute kannst du dort noch die Musik hören. Hör das Lied und du verstehst schon."
    Jo Rangsan hat den Text zu Nang Norn im Lana-Dialekt geschrieben und im Duett mit der bekannten Sängerin Suntree Vechanon aufgenommen.
    Musik "Nang Norn” – Jo Rangsan & Rasi Dib feat. Soontree Waeshanon
    Jo Rangsan mit "Nang Norn". Dieses Chanson ist Teil eines groß angelegten Musik-Projekts. Chiang Mai, die wichtigste Stadt Nordthailands feiert 2016 ihr 720-jähriges Bestehen und hat den Liedermacher und seine Band Rasi Dib gebeten, für den akustischen Rahmen zu sorgen. Ob am Flughafen, in Einkaufszentren oder bei Folk-Festivals innerhalb der alten Stadtmauern, die Musik von Jo Rangsan wird in diesem Jahr überall in Chiang Mai zu hören sein.
    Lana-Musik zur Begrüßung
    "Es nennt sich ‘Music Fills the Air’ Chiang Mai ist eine Musik-Stadt. Alle Touristen, die hierher kommen, sollen diese Musikalität auch spüren, wie eine Einladung, sich mit den traditionellen nordthailändischen Instrumenten zu beschäftigen. Wenn sie am Flughafen ankommen oder an Bahnhöfen und Busstationen, dann begrüßt sie Lana-Musik aus Lautsprechern. In ganz unterschiedlichen Stilen: heilende Klänge für die Spas, Weltmusik, Pop und Easy Listening, Thai Klassik und Rock Musik mit Lana-Instrumenten und einer Kombination von Jazz und Lanaelementen. Was man wo hört, hängt natürlich davon ab, an welchen Orten die Musik gespielt wird, in einem Rock’n Roll Café wird es natürlich Rockmusik sein."
    In ganz Nordthailand haben sich Sponsoren zusammengetan, die einen Soundtrack für Chiang Mai, bestehend aus 7 CDs, finanzieren wollen.
    Musik "Where are you?” – Jo Rangsan & Rasi Dib
    "Ich hab einen Song geschrieben mit dem Titel ‚Where are you?‘. Da habe ich den Lana Stil als Grundlage genommen und drum herum gearbeitet. Ein Klavier-Loop kombiniert mit Soli auf der dreisaitigen Fidel, Sala. Und so entstand ein Easy-Listening-Song, in dem die westlichen Zuhörer die nordthailändische Klänge entdecken können. Wir wollen mit mehreren Musikern zusammen so etwas wie einen speziellen Sound von Chiang Mai erarbeiten, einen Sound, der ganz neu ist und nur in dieser Stadt hier existiert."
    Auch "Tango and Blues" wird in dem Projekt "Music fills the Air" nicht fehlen. Für sein letztes Album "Paint the Time" hat Jo Rangsan zusammen mit der Sängerin Yuwanan Thinomtam mit verschiedenen Tanzstilen herum experimentiert und Tango-Rhythmen mit Lana-Elementen gemixt. Auch wenn dieses Stück, ein Vergleich der Länder Thailand und Argentinien, schon zehn Jahre alt ist, findet der Liedermacher, dass es immer noch aktuell sei. Beide Staaten wurden von schweren Wirtschaftskrisen gebeutelt. Es herrschen bis heute Armut und Korruption. Doch es liege an den Menschen, die dort leben, sich davon zu befreien, meint Jo Rangsan und überlässt es dabei seinen Zuhörern, den Song als politische Aufforderung zu verstehen oder nicht.
    Musik "Tango and Blues” – Jo Rangsan & Rasi Dib
    Viele Jahre ist der nordthailändische Liedermacher Jo Rangsan in Restaurants und Bars aufgetreten, um sich seinen Lebensunterhalt zu erspielen. Live-Musik gibt es in Chiang Mai fast in jedem Lokal, das etwas auf sich hält. Hits aus den internationalen Charts und Karaoke, kommen in der Regel am besten an. Oft spielen gute Musiker vor einem völlig uninteressierten Publikum. Nachdenkliche, ernste Lieder sind da nicht gefragt. Die Botschaft muss dann durch die Hintertür kommen. Das folgende Stück, in gewisser Weise vom Deutschen inspiriert, heißt "Prost". Es sei ein lustiges Lied, findet Jo Rangsan.
    "Seine Freundin hat ihn verlassen und er hat sich betrunken. Er ist klug und weiß eine Menge. Aber er weiß nicht, wie er das Mädchen richtig behandeln soll, um sie zu halten. Deshalb trinkt er. Und trinkt. Und immer wieder sagt er ‚Prost‘. Bis zum Ende der Geschichte. Da sagt er immer noch "Prost". Vielleicht wird er ja verrückt, weil er nicht aufhört mit ‚Prost!‘"
    Musik "Prost"- Jo Rangsan & Rasi Dib
    In Nachtlokalen aufzutreten, ist Jo Rangsan zu langweilig geworden, das überlässt er inzwischen den jungen Bands. Davon gibt es viele. Aber, bedauert er, darunter seien nur wenige Frauen, die Lieder schreiben. Die meisten sängen das, was Männer komponieren. Gute Liedermacherinnen seien rar in Thailand.
    Kooperation mit Musikern aus Laos
    Als nächstes Projekt will Jo Rangsan sein musikalisches Interesse über die nördlichen Grenzen Thailands ausweiten. Er plant mit Musikern aus Nord-Laos zusammen zu arbeiten. Auch da ist der Lana-Stil anzutreffen.
    "Lana gibt es nicht nur in Nordthailand, es kommt auch in Teilen Chinas vor und in Laos. Ich habe in meine Musikstücke auch schon mal laotische Stilelemente eingebaut aber bisher noch nicht mit Musikern von dort gearbeitet. Das plane ich für nächstes Jahr."
    Zum Schluss noch ein Instrumental-Titel, den man im Rahmen des "Music Fills the Air"-Projektes in Chiang Mai sicherlich häufiger hören wird.
    Auch hier hat Jo Rangsan wieder Historisches und Modernes verknüpft: "Pleng Moauy", Lied vom Kämpfen, heißt die alte Melodie, die der tapferen Krieger des Königreichs Lan Na gedenkt. In Jo Rangsans Version steht es für eine beliebte sportliche Variante des Kampfes, das Thai-Boxen, das im heutigen Thailand sehr verbreitet ist.
    Musik "Pleng Moauy"– Jo Rangsan & Rasi Dib