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Thailand
Die Korallen-Kinderstube von Chalok Ban Khao

Taucher und solche, die es werden wollen, zieht es in Thailand nach Koh Tao. Die Insel ist berühmt für ihre Unterwasserwelt. Doch das Riff hat 2010 mit der Korallenbleiche Schaden genommen. Mitglieder der Save-Koh-Tao-Gruppe versuchen als "Korallengärtner", geschädigte Korallen wieder aufzupäppeln.

Von Christiane Zwick | 14.09.2014
    Korallen im Great Barrier Reef (Australien)
    Korallen (picture alliance / dpa - AUSTRALIAN INSTITUTE OF MARINE )
    Es ist wie eine geheime Verabredung. Einmal im Jahr bei Vollmond kommt die Stunde der Korallen. Der Moment, in dem sie sich alle vermehren. Für Chad Scott ist es das aufregendste Ereignis der tropischen Meere. Vor Koh Tao, im Golf von Thailand, hat er es bereits mehrmals erlebt.
    "Die Zeit scheint stehenzubleiben, wenn ich darauf warte. Ich schau auf die Uhr, denke 'Los, fangt an!' Dann, plötzlich, schwellen die Münder der Korallen leicht an und ich sehe ein, zwei Polypen ihre Eier ausstoßen und nur wenige Sekunden danach geht es richtig los, dann schwimmen tonnenweise Eier und Spermienpakete im Wasser. Sie treiben hoch an die Oberfläche wie ein umgedrehter Schneesturm."
    Den Anblick dieser rosa Wolken unter der Meeresoberfläche sehnt der Tauchlehrer auch dieses Jahr herbei. Denn die Korallenriffe sind in Gefahr. Gleichzeitig ziehen sie immer mehr Menschen in ihren Bann. Taucher und solche, die es werden wollen, nennen Koh Tao gerne "Koh Tauch". Der Nachbarinsel von Koh Samui eilt ein Ruf voraus. Sina Gygax und Matthias Füglisthaler sind ihm aus der Schweiz gefolgt.
    "Ich habe von Freunden gehört, dass es auf Koh Tao am schönsten ist."
    "Koh Tao ist besonders billig. Deshalb sind wir wieder hier."
    "Ich wünsche mir, möglichst viel Verschiedenes zu sehen, verschiedene Korallenarten, Fischarten, Farben, Formen, die ganze Palette, das ganze Spektrum der Unterwasserwelt."
    Der Eintrittspreis in die Tiefe liegt bei 230 Euro für drei Tage Open Water Dive plus Zertifikat, einmal schnuppern kostet 45 Euro. Auf der Veranda der Tauchschule an der auch Chad Scott unterrichtet, büffeln neben den Schweizern Franzosen, Israelis und Amerikaner Theorie für die Prüfung. Die Unterwasserwelt lockt jährlich rund 300.000 Urlauber auf das hügelige Tropeneiland. In der Saison wird es voll an den Stränden. Besonders am Freedom Beach, wo man auch ohne Tauchschein die Unterwasserwelt besichtigen kann.
    Aus Colorado nach Thailand der Korallen wegen
    Tamarisken beschatten den weißen Sand, in ihren Ästen baumeln Mobilés mit Meeresfundstücken. Hinter den Palmen Bungalows auf Stelzen, ein Restaurant. Zwischen Ebbe und Flut ist die beste Zeit für Schnorchler. Nach fünf Schritten im Wasser beginnt das Riff. Oder besser begann? Die zwei lastwagenreifengroßen Steinkorallen leben noch, ein violetter Schimmer überzieht den Kalk, die winzigen Nesseltiere fluoreszieren. Danach eine Zone der Zerstörung, ein Friedhof von Korallenskeletten. Fette Seegurken zeigen Nährstoffreichtum an, wohl ungeklärte Abwässer. Ein paar Flossenschläge weiter wird es bunt. Vielfingrige Geweihkorallen siedeln auf steilen Felsen, Riesenzähne, an denen Papageienfische hörbar nagen. Schmetterlingsfische funkeln gelb und silbern in den Sonnenstrahlen. Pilzkorallen liegen wie Goldtaler ausgestreut am Grund. Anschließend wieder Ödland. Das Riff ist geschädigt, wie so viele weltweit. Chad Scott will zu seiner Erholung beitragen.
    Freedom Beach und die Bucht von Chalok Ban Khao kennt der Amerikaner wie seine Westentasche. Vor sieben Jahren kam der lange Blonde mit dem Pferdeschwanz aus Colorado nach Thailand. Und blieb. Nach einem Meeresbiologiestudium in Bangkok machte er seine Ausbildung zum Tauchlehrer. Die Riffe um Koh Tao sind seitdem sein Arbeitsplatz. Nach Feierabend zählt und misst der 28-Jährige Korallen im Dienst der Wissenschaft. Vor vier Jahren musste er schwere Verluste verzeichnen.
     Intakte Unterwasserwelt im Großen Barrier Riff
    Intakte Unterwasserwelt, hier im Großen Barrier Riff (picture alliance / dpa)
    "Während der großen Korallenbleiche 2010 waren besonders die flachen Riffe betroffen und die im Süden der Insel. Am schlimmsten Chalok Ban Khao. Dort haben wir 68 Prozent der Hartkorallen verloren. Vor allem die Acropora, die buschigen Geweihkorallen."
    Auslöser war die Erwärmung der Meere auf bis zu 33 Grad Celsius, eine Folge des Treibhauseffekts. Bei einer Korallenbleiche verblassen nicht die riffbildenden Polypen selbst. Der Temperaturstress schädigt die Algen, mit denen die Nesseltiere in Symbiose leben. Und die Algen sind es, die den Korallen ihre Farbe verleihen und durch Photosynthese Stärke, also Nahrung erzeugen. Zwar filtern Korallenpolypen auch Nährstoffe aus dem Wasser, doch ohne die zusätzliche Stärke hungern sie. Und können auch verhungern. In Bangkok untersucht ein Forschungsteam der Universität, wie und wodurch sich der Zustand der Ökosystems verändert. Sein Leiter, Professor Thamasak Yeemin, hält engen Kontakt nach Koh Tao.
    Korallenzuchtstationen rund um die Insel
    "Chad versorgt mich mit wichtigen Daten für meine Forschung. Über den Zustand der Artenvielfalt und den Zeitpunkt der Fortpflanzung in diesem Jahr. Und ich bekomme von ihm Zahlen für die Datenbank."
    In Thailand gehört Thamasak Yeemin zu den Pionieren der Meeresforschung. Was er beobachtet, wird sich auch auf das Einkommen der Inselbewohner auswirken, die wirtschaftlich vom Tourismus abhängig sind.
    "Seit 30 Jahren erforsche ich die Korallenriffe in Thailand. Und ich bin sehr besorgt. 1982 waren die Lebensbedingungen für Korallen noch gut. In manchen Gebieten waren hundert Prozent der Korallen gesund, vor allem die Acropora-Geweihkorallen, aber auch die Pilzkorallen waren weit verbreitet. Und große Fische. Jetzt sieht die Situation anders aus: kaum noch Geweihkorallen, deutlich weniger Pilzkorallen und große Fische.
    "Das war der Anschub, etwas zu tun. Die Kommunalregierung und die Prince-of-Sonkhla und wir haben gemeinsam die Save-Koh-Tao-Initiative gegründet und acht Korallenanzuchtstationen rund um die Insel."
    Künstliche Riffe und Anzuchtstationen sind ein Versuch sozusagen wiederaufzuforsten. Chad Scott leitet das Programm. Regelmäßig überprüft er das Wachstum der jungen Korallen. Als nächstes ist die Korallenkinderstube von Chalok Ban Khao, direkt vor der Haustür dran.
    Der "Japanische Garten" verspricht Artenvielfalt
    In der Tauchschule wollen die Schüler endlich los. Die Gruppenleiterin versucht, den Überschwang zu zügeln und mahnt noch einmal zur Vorsicht.
    "Unter Panik versucht jeder an die Oberfläche zu kommen, in Sicherheit, und hält die Luft an. Das ist gar nicht gut. Wir fühlen uns sicher an der Oberfläche, aber auf dem Weg dahin passieren die meisten Unfälle. Weil wir alles vergessen."
    Ein kleiner Tumult entsteht beim Zusammenstellen der Ausrüstung. Matthias Füglisthaler schleppt schwarzes Neopren beiseite.
    "Hier müssen wir erstmal das ganze Equipment anprobieren, wir brauchen ein BCD, unsere Weste, wir brauchen eine Maske, wir brauchen Flossen. Und den Tank, den kriegen wir dann auf dem Schiff."
    Das Ziel des heutigen Ausflugs ist einer der beliebtesten Tauchspots der Insel. Der "Japanische Garten" verspricht Artenvielfalt.
    Korallenriffe sind empfindliche Ökosysteme.
    Korallenriffe sind empfindliche Ökosysteme. (Florida Keys Marine Sanctuary)
    "Wegen der Fische mache ich mir keine Sorgen. Die sind schneller als wir. Aber die Korallen. Das sind Tiere. Ich weiß, sie sehen wie Felsen aus. Wir treten drauf und denken, das ist o.k. Aber das sind Tiere. Wird die schützende Schleimhülle zerstört, werden sie krank."
    In einem bändergeschmückten Langboot setzen die Tauchschüler über zum größeren Tauchschiff.
    "Korallengärtnern ist im Grunde wie das Gärtnern an Land"
    Chad Scott muss nicht weit fahren. Kleine Wellen ziehen über die Wasseroberfläche. Wind ist aufgekommen. Da unten stehen die Metalltische mit den Jungkorallen. Sie ähneln Hochbeeten.
    "Korallengärtnern ist im Grunde wie das Gärtnern an Land. Jeder mag bestimmte Arten. Und andere nicht. Die nimmt man raus. Ich mache dasselbe unter Wasser, nur mit Korallen statt Pflanzen. Da muss man mehr Geduld haben, weil Korallen sehr langsam wachsen, ein bis drei Zentimeter pro Jahr."
    Statt Giersch und Löwenzahn jätet der Korallengärtner Algen, die sich zwischen den Minikorallen breitmachen. Ab und zu klettern Dornenkronenseesterne an den Metallbeinen hoch und verspeisen, was da so lecker aufgetischt ist. Jetzt ist keiner da. Mit der Entwicklung der künstlichen Kolonie ist Chad Scott zufrieden. Wie Blumenkohlröschen gedeihen junge Geweihkorallen auf dem Maschendraht.
    "In meinem Korallengarten möchte ich, dass jede Koralle symmetrisch wächst und die Kolonie gesund ist. Dafür brauchen die Polypen eine bestimmte Menge an Licht und Nahrung. "
    Wenn aber schwere See die Jungkorallen aus ihrer Plexiglasverankerung holt, muss Nachschub her.
    Eintauchen in den Unterwassertraum
    "Wir sammeln Korallen für die Bänke indem wir übers Riff schwimmen und nach natürlichem Korallenbruch Ausschau halten, Fische brechen Stücke ab, leider auch Taucher, Schnorchler und Boote beim Ankern. Auch nach Stürmen ziehen wir los."
    Die Messergebnisse sind vielversprechend. Innerhalb von drei Monaten haben sich die Korallen neu verzweigt. Im Durchschnitt von sechs auf neun Ästchen. Im Garten scheinen die Korallen schneller zu wachsen als in natürlichen Riffen. Bald ist es Zeit, den Nachwuchs auszusiedeln, in Areale, die der Korallenbleiche zum Opfer gefallen sind.
    Im berühmten Japanischen Garten taucht derweil Sina Gygax in ihren Unterwassertraum ein. Sie genießt den Tauchgang in vollen Schwimmzügen.
    "Felsen, Korallen, Rottöne vor allem, hier auf Koh Tao, Rot-, Brauntöne, die Felsen, die Korallen, das farbigste sind die Fische, die glitzern da in allen Farben und schweben einem vor der Nase rum. Und gehen nicht weg. Die sind nicht scheu oder so, die muss man zum Teil ein bisschen auf die Seite schieben, wenn man da durch will. Ich habe jetzt nicht viel von Beschädigung gesehen. Ich hab das Gefühl, das ist hier wirklich noch intakt. Diese Welt, die funktioniert so noch."
    Betrachtet man den richtigen Ausschnitt, ist sie immer noch zu finden, die Schönheit der über Jahrmillionen gewachsenen Riffe. Und Buchten, die ihre Anziehungskraft verloren haben, verschwinden einfach von der Liste der Tauchspots. Wie etwa Tanote Bay.
    Erste Erfolge bei der Erhaltung des Korallenriffs
    "In Tanote Bay wurde ein großes Wasserreservoir gebaut und das hat nicht gehalten. Das Riff wurde buchstäblich begraben unter zwei Meter Sand. Und so ging die Korallendichte in dieser Bucht von 55 bis 60 Prozent runter auf drei bis fünf Prozent."
    Bausündern, Abwassereinleitern oder unvorsichtigen Tauchern können Vorschriften und Strafen Einhalt gebieten. Schwieriger ist es schon, Dynamitfischer zu erwischen oder Trawler mit Schleppnetzen zu stoppen. Alle Eingriffe haben Folgen für das Riff. Die Bemühungen der Save-Koh-Tao-Gruppe um Chad Scott halten dagegen. Erste Erfolge zeichnen sich ab. Über sie freut sich auch Riff-Forscher Thamasak Yeemin.
    "Ich hoffe, dass die gezüchteten Korallen einen guten Anschub geben und neue Kolonien begründen können. Das kann helfen, das geschädigte Riff neu zu beleben. Aber falls es wieder zu einer Erwärmung der Meere kommt, werden wir sehen, ob der Korallengarten das übersteht."

    Falls. Alle, die hier leben, hoffen, dass dieser Fall nicht eintritt. Vollmond ist nah, und damit die alljährliche Explosion des Lebens unter Wasser, die Vermehrung der Korallen auf natürlichem Wege. Auch sie wird zur Regeneration des Riffs beitragen.