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Thailand
"Keiner möchte sein Gesicht verlieren"

Die Verhängung des Kriegsrechts durch das Militär in Thailand bedeute einen empfindlichen Eingriff in die Medienfreiheit, sagte der Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bangkok, Michael Winzer, im Deutschlandfunk. Die Regierung sei geschwächt, der Leidensdruck der Menschen hoch.

Michael Winzer im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 21.05.2014
    Eine Reihe von acht uniformierten Soldaten steht mit abgesetzten Schutzschilden vor einem Porträt von König Bhumibol Adulyadej
    Thailändische Soldaten vor einem Porträt von König Bhumibol Adulyadej (picture alliance / dpa / Rungroj Yongrit)
    In den Straßen von Bangkok seien heute deutlich weniger Soldaten als gestern präsent - es werde versucht, den Eindruck von Normalität zu erwecken, sagte Winzer im Deutschlandfunk. Das Militär habe nun die Möglichkeit, tief in die demokratischen Grundrechte einzugreifen. Die Armee habe bereits Fernseh- und Radiosender abgeschaltet - ein empfindlicher Eingriff in die Medienfreiheit.
    Die Regierung sei geschwächt, die Hauptverantwortung liege nun beim Militär, so Winzer. Zudem sei spürbar, dass der Konflikt in den vergangenen Monaten eskaliert sei, der Leidensdruck für die Menschen sei hoch.
    Dennoch beharre jede Konfliktpartei auf ihren Maximalforderungen, sagte der Büroleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung weiter. Thailand kranke an seinen demokratischen Defiziten, das Bewusstsein dafür müsse sich noch entwickeln. Wichtige Fragen würden auf die Straße getragen, wo sie Gewalt hervorriefen. Eine Perspektive zur Lösung des Konflikts sei schwer zu finden, so Winzer weiter, Thailand sei tief gespalten.

    Das Interview in voller Länge
    Dirk-Oliver Heckmann: Mehr als 25 Menschen waren seit Beginn der Proteste im November in Thailand ums Leben gekommen. Gestern früh schlug die Armee zu, sie verhängte das Kriegsrecht, ließ die zivile Regierung aber an der Macht. Und das bedeutet: Das Militär hat weitreichende Befugnisse. Zunächst wurden zehn Fernsehsender abgeschaltet, die Zeitungen werden zensiert. Unter dem Kriegsrecht kann die Armee aber auch Waffen gegen Aufständische einsetzen, Menschen ohne Haftbefehl festnehmen und Kundgebungen untersagen. Hintergrund ist die seit einem halben Jahr schwelende politische Krise, die Blockade zwischen sogenannten Rothemden und Gelbhemden. - Michael Winzer ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bangkok und ihn begrüße ich jetzt am Telefon. Schönen guten Tag, Herr Winzer.
    Michael Winzer: Guten Morgen, Herr Heckmann!
    Heckmann: Herr Winzer, was bekommen Sie vom Kriegsrecht in Thailand mit?
    Winzer: Man hat heute Morgen auf dem Weg zur Arbeit deutlich weniger Militär gesehen als gestern. Man versucht, so ein bisschen den Eindruck von Normalität zu erwecken. Natürlich hat das Militär weitgehende Rechte, um tief in die Grundrechte und in die demokratischen Rechte einzugreifen, und von daher bleibt es natürlich abzuwarten, inwiefern das Militär in den nächsten Tagen von den Rechten weiter Gebrauch macht und eventuell auch in alltägliche Dinge eingreift.
    Heckmann: Inwieweit ist das denn bisher schon geschehen?
    Winzer: Das Militär hat verschiedene Fernsehsender geschlossen, hat im ländlichen Bereich Radiosender geschlossen und hat zum Beispiel auch den Medien, auch den Printmedien untersagt, Interviews zu veröffentlichen, die die Stimmung anheizen können, oder die dazu beitragen können, dass sich die Gewaltspirale weiter dreht. Das ist natürlich nicht sehr konkret, die Vorgabe, und von daher ist das natürlich schon ein Eingriff in die Medienfreiheit beziehungsweise eine Zensur.
    Das Heft des Handelns in die Hand genommen
    Heckmann: Ein empfindlicher Eingriff in die Medienfreiheit in der Tat. Das Militär sagt ja, man habe nicht geputscht. Die zivile Regierung, die ist ja auch in der Tat im Amt geblieben. Aber in Wahrheit liegt die Macht bei der Armee, oder ist das ein Irrtum?
    Winzer: Mit der Ausrufung von Kriegsrecht hat das Militär in der Tat das Heft des Handelns in die Hand genommen. Das Militär ist auch der Zivilverwaltung, ist der Polizei gegenüber handlungsbefugt. Die Regierung ist geschwächt, wir haben nur eine Übergangsregierung, es existiert seit dem 9. Dezember kein Parlament, und darum liegt die Hauptverantwortung jetzt in der Tat beim Militär. Der Armeechef, General Prayuth hat gestern auch angekündigt, man wolle versuchen, beide Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen für Verhandlungen.
    Eine wichtige Rolle kommt dem Senat zu. Das ist im Moment die einzige verbliebene Institution der Legislative. Da befürchten die Regierungsanhänger, dass der Senat in den nächsten Tagen beispielsweise einen neuen Übergangs-Premierminister ernennen könnte.
    Heckmann: Sie haben es erwähnt: Das Ziel dieser ganzen Operation aus Sicht des Militärs jedenfalls ist es, Gespräche zwischen den beiden Lagern zu ermöglichen. Denken Sie denn, dass die jetzt wirklich möglich werden könnten, dass das Militär möglicherweise sogar als Vermittler auftreten kann?
    Armeechef Prayuth Chan-ocha steht mit zusammengelegten Handflächen da
    Armeechef Prayuth Chan-ocha hat das Kriegsrecht über Thailand verhängt (picture alliance / dpa / Rungroj Yongrit)
    Winzer: Man hat hier in den letzten Monaten gespürt, dass der Konflikt immer weiter eskaliert ist. Die Menschen hier in Bangkok und in Thailand, die sind inzwischen auch in gewisser Weise konfliktmüde nach über einem halben Jahr von Gewalt, von Unruhen, von Chaos, Straßensperrungen. Da ist der Leidensdruck inzwischen so hoch. Man merkt es auch an allen wirtschaftlichen Indikatoren. Das Bruttoinlandsprodukt ist im ersten Quartal dieses Jahres geschrumpft. Von daher spürt man, dass da schon Druck da ist, dass sich beide Seiten aufeinander zubewegen.
    Das ist hier natürlich schwierig. Keiner möchte sein Gesicht verlieren. Das ist hier in Thailand ganz wichtig. Darum beharrt nach wie vor jeder auf seinen Maximalforderungen.
    Ein demokratisches Bewusstsein muss sich noch entwickeln
    Heckmann: Der Hintergrund ist ja der Konflikt zwischen den sogenannten Rothemden und den sogenannten Gelbhemden. Was genau steckt eigentlich dahinter?
    Winzer: Wenn man sich die jüngste Geschichte Thailands anschaut, sieht man, dass das Land einen wahnsinnigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Wandel durchlaufen hat. In den 60er-Jahren war Thailand ein agrarischer Staat, über 80 Prozent der Bevölkerung oder der Erwerbstätigen waren in der Landwirtschaft tätig. Inzwischen ist Thailand ein Staat, dessen Wirtschaft sich sehr stark auf die Industrien, auf den Dienstleistungssektor stützt. Thailand ist zum Beispiel inzwischen der neuntgrößte Automobilhersteller weltweit. Und wenn man sieht, wie sich Thailand in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat, und auf der anderen Seite gegenüberstellt, dass sich im politischen Bereich, im Bereich der Konfliktkultur, der Kompromissfähigkeit wenig getan hat, dann merkt man, woran das Land jetzt krankt, dass es demokratische Defizite gibt, dass man noch nicht in der Lage ist, verschiedene gesellschaftliche Fragen auf demokratischem Wege im Parlament zu klären, sondern dass solche Fragen immer noch auf die Straße getragen werden und teilweise auch Gewalt auslösen können.
    Heckmann: Was ist denn aus Ihrer Sicht die Ursache dafür, für diese mangelnde Kompromissbereitschaft der verfeindeten Lager?
    Winzer: Zum einen, weil die Demokratie relativ jung ist. Thailand ist erst seit 1932 eine konstitutionelle Monarchie und erst mit der Verfassung von 1997 gibt es formell auch alle Institutionen, die eigentlich zu einer modernen Demokratie gehören. Sprich: Es muss sich erst noch ein demokratisches Bewusstsein entwickeln. Man hat so eine Kompromissfähigkeit in der Politik eigentlich nie gelernt. Von daher wird es wahrscheinlich auch noch ein paar Jahre in Anspruch nehmen, bis die demokratischen Institutionen so funktionieren, wie man sich das vorstellt.
    Heckmann: Das wollte ich gerade fragen. Wie ist denn Ihre Perspektive? Was denken Sie denn, wie es jetzt in den nächsten Wochen und Monaten weitergeht? Gibt es eine Aussicht darauf, dass jetzt doch ein Dialog zwischen den verschiedenen Lagern stattfinden wird und eine Lösung aus der Krise gefunden wird?
    Winzer: Das ist ein Hauptproblem des Konflikts, dass es keine richtige Perspektive gibt oder keine mögliche Kompromissmöglichkeit, die alle Seiten zufriedenstellen würde. Das ist im Prinzip der Hauptgrund, warum der Konflikt so stark ausgetragen wird, warum das jetzt auch schon so lange dauert. Man merkt, das Land ist tief gespalten, jeder hier in Thailand hat eine bestimmte festgelegte Meinung zu dem Konflikt. Und eine Perspektive oder ein Szenario, wie man jetzt da wirklich in den nächsten Wochen den Konflikt lösen kann, gibt es in dem Sinne eigentlich nicht. Und beide Seiten, die Forderungen von beiden Seiten, die stehen sich so diametral gegenüber. Die Regierung möchte möglichst umgehend Neuwahlen, und die Opposition, die möchte keine Neuwahlen, sondern zunächst eine ernannte Übergangsregierung.
    Der Weg ist noch lang
    Heckmann: Vor dem Hintergrund dessen, was Sie jetzt gerade gesagt haben, Herr Winzer, wie groß ist die Gefahr, dass die Armee deshalb, wegen der dauerhaften Blockade, dauerhaft Gefallen finden wird an der Macht?
    Winzer: Der Armeechef, General Prayuth, hat bisher im Konflikt immer betont, dass das Militär kein Interesse an der Machtergreifung hat. Es wird sich in den nächsten Wochen wahrscheinlich auch was bewegen, weil der Leidensdruck so groß ist. Im schlimmsten Fall kann die Gewalt natürlich weiter eskalieren. Das wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn jetzt der Senat oder eine andere Institution hier in Thailand eine Übergangsregierung ernennen würde. Dann haben die Rothemden, also die Regierungsanhänger, immer angekündigt, dass sie dann nach Bangkok einmarschieren würden, dass sie sich das dann nicht gefallen lassen würden, und das würde dann unweigerlich zur Gewalt führen und dadurch würde dann auch das Kriegsrecht andauern und das Militär weiter gefordert bleiben.
    Sollte jetzt tatsächlich der Fall eintreten, dass man sich auf dem Verhandlungswege einig wird, oder dass man einen Kompromiss findet, wie jetzt zumindest in den nächsten Monaten das Land regiert werden kann durch eine Person oder durch mehrere Personen beispielsweise, mit denen beide Konfliktparteien zufrieden sind, dann gehe ich davon aus, dass das Militär auch relativ schnell das Kriegsrecht wieder aufheben könnte, beziehungsweise den König bitten würde, per königlichem Dekret das Kriegsrecht wieder aufzuheben.
    Heckmann: Kurze Frage zum Abschluss, Herr Winzer. Wie optimistisch sind Sie, dass ein positiver Weg beschritten werden kann?
    Winzer: Ich persönlich glaube, dass der Weg lang ist. Das ist nicht eine Frage von Wochen oder Monaten, sondern das wird Jahre dauern, bis man so eine Kompromisskultur entwickelt, bis politische Fragen im Parlament entwickelt oder gelöst werden. Ich persönlich hoffe natürlich, dass der Konflikt in den nächsten Wochen nicht weiter eskaliert, sondern dass der Leidensdruck jetzt so groß ist, dass beide Seiten zumindest vorübergehend einen Kompromiss finden oder Personen finden, mit denen beide Seiten leben können.
    Heckmann: Kriegsrecht in Thailand – über die Aussichten des Landes haben wir gesprochen mit Michael Winzer. Er ist Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bangkok. Herr Winzer, ich danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Winzer: Besten Dank aus Bangkok.
    Heckmann: Schönen Tag.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.