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Thalheimers Beuteschema

Die angebliche Liebe ist Chaos und Hölle in Michael Thalheimers Inszenierung von Shakespeares Komödie "Ein Sommernachtstraum". Sie bleibt eindimensional immer bei derselben Konnotation: Krieg, Beute, Gewalt, Missbrauch.

Von Rosemarie Bölts | 17.06.2012
    Der "Sommernachtstraum" ist gemeinhin der Rausschmeißer der Theatersaison: leicht bekömmlich, lustig gar und märchenhaft. Ein komödiantisches Verwirrspiel um Wer-will-wen-und-kriegt-wen-dann-doch-nicht-und-so-weiter-Reigen, verankert in der griechischen Mythologie, angereichert mit der Feen- und Geisterwelt Shakespeares’scher Poesie auf dem handfesten, der tumben Menschlichkeit entlehnten Boden einer skurrilen Handwerker-Crew.

    Shakespeare in Love? Weit gefehlt. Bei Regisseur Michael Thalheimer ist das Ganze nur noch ein Durchpeitschen von triebgesteuerter Hassliebe. Niederträchtig, machtbesessen, rachsüchtig, monströs in der radikalen Lieblosigkeit, die schon im düsteren Bühnenbild ihren Ausdruck findet: Schwarze Säulen, vom Boden bis zur Decke rampennah aneinandergedrängt. Nichts und niemand passt dazwischen außer ab und an ein schmaler Lichtstreifen, der aber eher Vergeblichkeit denn Hoffnung verheißt. Vor dieser klaustrophobischen Säulenkulisse agieren die Schauspieler frontal auf schmalem Bühnenrand, gehetzt, immer außer sich, männliche Selbstüberschätzung und weibliche Selbstdegradierung inklusive. Demetrius und Lysander stehen nackt vor Helena, die sich – oh schrecklicher Zauber, den der Hofnarr Puck dem falschen Begehr in die Augen geträufelt – nicht mehr auskennt. Nur soviel ist sicher: Die angebliche Liebe ist Chaos und Hölle.

    O-Ton: "Helena! Schön und reich! Was kommt, Geliebte, deinen Augen gleich? Festhalten will ich, wie deine Lippen beben! Zwei pralle Brüstchen, die zum Manne streben. Ei guck nur, und ich werd selig sein! – Warum macht ihr das? Mich zu verhöhnen und zu solchem Spaß! Kein normaler Mann tut einer armen Seele so was an und hat seine Freude dran! – Hohoho!"

    Die Paare sind zwar dauernd ineinander verkeilt, schlecken sich unablässig ab und stecken die Zunge in den Hals des anderen, aber körperlich kommen sie auch nicht wirklich zueinander. Selbstbefriedigung für das Selbst lautet die Verhinderungsstrategie, das allerdings dann doch mit Hose, obwohl das Münchner Publikum ansonsten schon lange nicht mehr soviel besudelte Nacktheit sichten durfte.

    Gut, Thalheimers erste Inszenierung am Münchner Residenztheater ließ er in der Lokalpresse vorher schon ankündigen als "das Kaputte, Obszöne, Böse", das er in Shakespeares "Sommernachtstraum" "gesucht", gefunden und, das muss man ihm lassen, konsequent mit seiner Lesart durchgehalten hat. Es bleibt eindimensional immer bei der derselben Konnotation: Krieg, Beuteschema, Gewalt, Missbrauch. Das reißen auch nicht der parodistisch verbrämte "Elfen-"Mann und der mit seiner fetten, Bauch schwabbelnden Körperstatur als Anti-Typus besetzte "Puck" heraus. Die Handwerker-Szenen sind indes noch in all ihrer Tölpelhaftigkeit das Menschlichste, was einem in dem Stück tragisch begegnet – und was, so könnte man meinen, den Regisseur selbst als "Zettel" sprechen lässt.

    O-Ton: "Eigentlich habe ich ja mehr das Zeug zu einem Tyrannen. Ich könnte den Herkules einmalig spielen. – Ah ja. – Oder 'ne andere Rolle, wo ich ein bisschen mal die Sau rauslassen könnte, dass es kracht, weißt du?!"

    Dass der Abend nach fast drei Stunden mit dem Satyrspiel der Handwerker endet und nicht als Happyend der Paare, macht allerdings weder Sinn noch das Ende gut. Es sei denn, die Naivität von Texten wie "Eiapopeia Eiapopo" und die Eindimensionalität der haltlosen Begierde sollen neue Maßstäbe für die Inszenierung von Shakespeares "Sommernachtstraum" setzen. Bei aller Liebe zu Radikalität und vielversprechenden Antithesen könnte diese Inszenierung frei nach Shakespeare genauso gut heißen: Viel Lärm um alles.

    Informationen des Residenztheaters München zu "Ein Sommernachtstraum"