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"The Agony and the Ecstasy of Steve Jobs"

Vor den Apple Geschäften in New York stehen Blumen, brennen Kerzen. Im New Yorker Public Theater gestaltet Mike Daisey einen Abend über den gerade gestorbenen Firmengründer von Apple. Sein Stück zeigt die Schattenseite seines Imperiums.

Von Andreas Robertz | 14.10.2011
    Es ist ein Krieg im Gange und er findet in unseren Hosentaschen statt. In einer Zeit in der sogenannte Gadgets, elektronische Kleingeräte wie Smartphones und Tablets, zunehmend unsere Kommunikationsmuster bestimmen, stellt sich die durchaus philosophische Frage, ob die, die diese Geräte kontrollieren, auch damit die Kultur unserer Interaktion kontrollieren. Steve Jobs war der erfolgreichste General in diesem Krieg zwischen Apple, Samsung und Nokia. Mike Daisey - wie immer allein auf der Bühne mit seinem Tisch, dem Stuhl und einem Glas Wasser - stellt mit "The Agony and Ecstasy of Steve Jobs" der fast religiösen Mystifizierung von Steve Jobs in Amerika einen häretischen Abend entgegen.

    "Steve Jobs war immer ein Gegner von Nostalgie. Er hat immer gewusst, dass die Zukunft Opfer erfordert. Er hatte nie Angst sein Baby zu töten."

    Der Ausdruck "knife the baby" beschreibt auf anschauliche Weise Steve Jobs Geschäftspolitik. Lieber ein gutes Produkt gänzlich vom Markt nehmen und durch ein Neues ersetzen, als Kompromisse eingehen und Konkurrenten Vorteile verschaffen. Mit dieser Politik erschuf er nicht nur den erfolgreichsten Computerkonzern, sondern auch eine in sich geschlossene Produktwelt, dessen Benutzer er den Status einer modernen Computerelite verlieh.
    Diesen Teil der Geschichte könnte man als die "Ecstasy" von Steve Jobs bezeichnen. Seine "Agony" liegt 40 Minuten nördlich von Hongkong, heißt Shenzhen und ist der weltgrößte Produktionsort für Computerelektronik.

    "Fast niemand in Amerika hat je den Namen dieser Stadt gehört, obwohl fast alle Elektrogeräte in einem Haushalt von dort kommen."

    Mike Daisey ist auf Michael-Moore-Art dorthin gereist und hat – natürlich ohne Genehmigung der chinesischen Behörden - am Haupttor von Texcom Hunderte von Arbeitern interviewt. Texcom - jene gigantische Fabrik mit mehr als 430.000 Arbeitern, die für die Marktführer Samsung, Apple und Nokia produzieren - ist ebenfalls der Ort, der im letzten Jahr wegen zahlreicher Selbstmorde seiner oft minderjährigen Arbeiter nach 35 Stunden Schichten traurige Bekanntheit erlangt hat. Es ist ein Ort, den Mike Daisey einen stalinistischen Feuchttraum nennt, eine makabre Deutung von Steve Jobs berühmten Slogan "Think Different".

    Mike Daiseys engagierten Enthüllungsjournalismus auf der Bühne zu sehen, ist zwar informativ, aber würde sich sicher nach spätestens einer Stunde erschöpfen, wäre er nicht gleichzeitig ein meisterhafter Geschichtenerzähler. Er spielt den fanatischen Apple-Fan, dessen Traum einer benutzerfreundlichen, wunderschön designten Zukunft nach einem zweistündigen Monolog in Schutt und Asche liegt. Zwischen hysterischem Gelächter und ernster Reflexion sehen wir den Virus der Erkenntnis in ihm arbeiten, zum einen, dass jedes iPhone von Menschen in unmenschlichen Arbeitsbedingungen handgefertigt wird. Zum anderen, dass eine stillschweigende Übereinkunft zwischen Verbrauchern und Herstellern besteht: Solange es günstige Updates und immer neue und schönere Produkte zu kaufen gibt, wollen die Käufer über die Herstellung nichts wissen.

    Wie ein Stein sinkt die Erkenntnis ins Bewusstsein der Zuschauer, dass der unschuldige Gebrauch ihrer doch so praktischen Gadgets nach diesem Abend wohl nicht mehr derselbe sein wird. Der Fetisch ist beschmutzt, das selbstverständliche Dogma von der schönen, neuen Smartphone-Welt zerstört. Heute Abend, sagt Mike Daisey, sind sie frei – frei von dieser Illusion.