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The beast in me. Johnny Cash und die seltsame und schöne Welt der Countrymusik

Johnny Cash, the man in black , ist siebzig Jahre alt geworden. Dabei hatte er bereits im Herbst '99 seine Familie ans Krankenbett gerufen, wo er nach einem Schwächeanfall und mehreren Lungenentzündungen, angeblich Symptome eines unheilbaren Parkinson-Syndroms, in dem Glauben lag, dass es nun an der Zeit wäre, sich vom Leben zu verabschieden. Die Diagnose stellte sich jedoch als falsch heraus. John R. Cash - wie er eigentlich heißt - dankt nun "Gott jeden Morgen für das Leben" - und eine immer jünger werdende Anhängerschar stimmt in seine Gebete mit ein. So schrieb der ausgewiesene Johnny-Cash-Fan Wiglaf Droste nach Erscheinen der letzten Cash-Platte "Solitary Man": "Beten gehört nicht zu meinen Gewohnheiten, aber dafür, dass dieser Mann noch eine Platte besingt, kann man ganz eigennützig auf die Knie gehen." Droste war es auch, der seinen Freund Franz Dobler dazu überredete, ein Johnny-Cash-Buch zu schreiben.

Ralph Gerstenberg | 08.03.2002
    Ich habe einige Sachen über Cash schon vorher geschrieben und dachte, ich habe jetzt gar nicht so viel Lust, das so vollkommen zu beackern und immer wieder. Aber der Reiz war dann auch, das mal über eine echte Länge zu tun. So über 250 Seiten oder wie auch immer. Und der Ausgangspunkt war eh klar, so verstehe ich eh die Beschäftigung mit Musik, das in gesellschaftliche Kontexte zu bringen, die Karriere von Cash über 50 Jahre zu verbinden mit politischen Sachen und das einzubinden in Countrymusik insgesamt, welche Position hat der einfach. Das war das Ding.

    Franz Dobler bezeichnet sich selbst als den "letzten gottverdammten Punkrocker" seiner Generation "in dieser wunderbaren deutschen Literaturszene". Inzwischen beschäftigt er sich "gerne mit Countrymusik" und trägt "schöne Anzüge". Außerdem arbeitet der Schriftsteller und Journalist aus Bayern als DJ und veröffentlichte Westerngedichte sowie das Countrybuch "Auf des toten Mannes Kiste". Er gab eine drei CDs umfassende Sammlung deutschsprachiger Popmusik heraus, die natürlich mit einem Song von Johnny Cash eröffnet wird.

    Auf Johnny Cash stieß Dobler Ende der 80er Jahre, als der Punkrock endgültig zu Grabe getragen wurde und diejenigen, die mit ihm aufgewachsen waren, sich nach anderen rebellischen und unverfälschten Stimmen umsahen. Erst später erfuhr er, dass Johnny Cash Anfang der 50er Jahre als GI im oberbayerischen Landsberg stationiert war, nicht weit von dem Ort entfernt, an dem Dobler aufgewachsen war.

    Das Interessante ist, dass es so ein musikalisches Outcoming war. Da hat er eben zum ersten Mal in einer Band gespielt, The Landsberg Barbarians. Also er wusste vorher, er hat das Talent zum Sänger, aber er hat nie was mit Band gemacht, das alles ist da eben passiert, die haben eben so in GI-Bars gespielt, er hat auch ein Tonbandgerät gekauft, also da war es so, er wollte unbedingt eine Musikkarriere. Und auch einige der ersten Hits kamen eben von da, wo die Texte schon da waren oder eben eine musikalische Grundstruktur - solche Sachen. Verknüpft mit dem war das natürlich ganz interessant, dass der irgendwo war, wo ich den Hintergrund irgendwie kenne, wo er halt über Plätze schreibt, wo sie fischen waren, die ich auch kenne. (...) Ein Dorf hat er falsch geschrieben in seiner Autobiographie und ich konnte reinschreiben, wie das Dorf richtig heißt.

    Groß Kitzighofen! Das ist die einzige Neuigkeit, die Franz Dobler der Johnny-Cash-Literatur hinzuzufügen hat. Er liefert keine brisanten Informationen, keine pikanten Details, die andere Biografen übersehen haben. Dafür erzählt er die Geschichte des Sängers aus Arkansas, der mit seinem Boom-Chicka-Boom-Sound einen neuen Ton in die Rockabilly-orientierte Countrymusik brachte und mit Drogenexzessen und Gefängniskonzerten sein Outlaw-Image prägte, auf eine sehr persönliche und vor allem höchst lesbare Weise. Für Dobler ist die Sprache nicht nur ein Transportmittel für Informationen. Er arbeitet mit Metaphern und Vergleichen, beleuchtet soziale und kulturelle Hintergründe und kommentiert kenntnisreich und lakonisch die Fakten. Zudem erzählt er die Johnny-Cash-Story aus einer sehr speziellen Perspektive.

    Was bei dem Buch noch hinzu kommt, das war natürlich die Position als Nicht-Amerikaner. (...) Wenn du heute mit amerikanischen Musikern redest, für die ist die Kenntnis von Countrymusik aus allem möglichen Phasen vollkommen selbstverständlich. Jeder nimmt das irgendwie mit. Bei uns kannst du da nicht viel mitnehmen. Deswegen ist auch dieses Bild von Truck Stop und dieser deutsche Schlagercountry so übermächtig. Mit jedem, mit dem du über Countrymusik redest, der nur so ein rudimentäres, aber kräftiges Bild hat, der hat dieses Truck-Stop-Bild einfach im Kopf, mit dem arbeitest du praktisch (...), weil es ist einfach da.

    Dobler ist ein echter Fan und sein Buch eine Huldigung des Echten und Aufrichtigen. Der Punkrocker der Literaturszene verneigt sich tief und zieht den Cowboyhut.