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The Great Transformation

Der Klimawandel wird die Lebensbedingungen auf der Erde dramatisch verändern, das ist unstrittig. Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen die wirtschaftlichen Veränderungen, die auf die Menschheit zukommen werden. Vernachlässigt wurden bislang aber die kultur- und sozialwissenschaftlichen Folgen. Diese Lücke will die Konferenz "The Great Transformation" schließen.

Von Peter Leusch | 11.06.2009
    "Der Klimawandel ist längst eingetroffen, er entwickelt sich aber schneller, als das vor zehn Jahren vielleicht noch in den Prognosen vorhergesagt wurde. Insbesondere haben wir ein beschleunigtes Abschmelzen von Gletschern weltweit. Es ist auch so, dass das arktische Meereis schneller verschwunden ist als vorhergesagt, und dass der Meeresspiegel sich hebt. Die Prognosen liegen jetzt bei ein bis eineinhalb Meter in diesem Jahrhundert noch, wenn keine kraftvolle Klimapolitik betrieben wird - und man kann sich jetzt ausmalen, was das für die Küstenzonen bedeutet."

    Hans-Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung führt die aktuellen naturwissenschaftlichen Ergebnisse und Prognosen in Sachen Klimawandel vor Augen. Da vollzieht sich in kleinsten Schritten - still, allmählich und anscheinend kaum aufzuhalten - ein ungeheures Drama, das die Lebensbedingungen auf dem Planeten Erde massiv verändert. Dieses Drama wird von den kleinen und großen Problemen des Alltags überdeckt und allzu gerne verdrängt.

    Finanz- und Wirtschaftskrise, die Sorge um Geld und Arbeitsplätze, stellt nicht die größte Herausforderung unserer Zeit dar, erklärt Claus Leggewie, Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen.

    "Wir meinen damit, dass wir im Moment nicht in einer üblichen kapitalistischen Krise leben, also dass wir einen Zyklus durchlaufen, wo jetzt eben der Abschwung ist und in zwei, drei Jahren geht das Wachstum wieder weiter. Wir sind der Auffassung, dass wir in einem Umbruch, in einer großen Transformation uns befinden, in der tatsächlich ein Wandel von der Dimension des Wandels eintritt, der beispielsweise bei der Industrialisierung eingetreten ist im Verhältnis zur agrarischen Gesellschaft vorher oder beim Übergang der Jäger- und Sammlergesellschaft zur agrarischen Gesellschaft."

    Claus Leggewie formuliert die These, dass die Klimaveränderung uns einen kulturellen Wandel abverlangt, den wir gestalten und wissenschaftlich durchdringen müssen. Bislang kümmerten sich um das Thema allerdings nur Naturwissenschaftler. Messungen, Erklärungen und Prognosen über Klimaveränderungen waren gefragt. Gefordert waren natürlich auch die Politiker, die jedoch im Korsett von Wählerrücksichten, Koalitionskompromissen und internationalen Interessensgegensätzen wenig Entscheidendes zustande brachten. Kaum gefragt waren Kultur- und Sozialwissenschaftler, weil man den Klimawandel als eine Art Naturkatastrophe missversteht. Ist die Natur denn Opfer oder Täter? Widerfährt ihr etwas oder fügt sie es den Menschen zu?
    Das sei insgesamt eine irreführende Perspektive, meint der Sozialpsychologe Harald Welzer vom Kulturwissenschaftlichen Institut in Essen.

    "Ob sich das Klima erwärmt, ist für das Erdsystem gleichgültig. Solche Fragen werden nur dann interessant, wenn Kulturen oder Gesellschaften davon betroffen sind, das heißt, wenn man die Folgenseite solcher Natur- und Umweltveränderungen betrachtet. Was die Klimaforschung bis jetzt gemacht hat, betrifft nur den Bereich der Verursachung von irgendwelchen Folgen. Die Wirkungen dieser Folgen auf das Zusammenleben, auf die Demokratie, auf Gewaltprozesse, auf Ökonomien, all das ist weitgehend unbearbeitet. Und es ist insofern eine Verkürzung des Themas, was man nicht den Klimaforschern zuschreiben darf - die haben ihre Arbeit sehr gut getan - sondern es ist der nahezu komplette Ausfall der Wissenschaften, die sich mit sozialen, politischen, kulturellen Folgen beschäftigen, die dieses Thema noch zu wenig auf ihrer Agenda haben."

    Der Klimawandel ist nicht nur physikalisch nachweisbar, er zeitigt bereits soziale Effekte. Harald Welzer diagnostiziert eine Gefährdung des Zusammenlebens, er befürchtet, dass Gewalt eine vermeintliche Problemlösungsstrategie wird, wie er seiner jüngsten Veröffentlichung "Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird" aufgezeigt hat.

    "Es gibt einen Krieg, der gegenwärtig stattfindet, der vom Umweltprogramm der UN als der erste Klimakrieg bezeichnet: Das ist der Krieg in Dafur, den wir normalerweise über die Medien als diffusen ethnischen Konflikt wahrnehmen, in dem es einige 100.000 Tote gegeben hat, zwei Millionen Flüchtlinge usw. Weil man es hier mit einer Gegend zu tun, in der die Wüstenbildung Richtung Süden rapide voranschreitet und gleichzeitig eine Gesellschaft, in der drei Viertel direkt vom Land lebt, und zwar aufgeteilt in zwei konkurrierende Benutzergruppen, nomadische Viehzüchter und Landbauern, beide Gruppen an der untersten Grenze der Existenz."

    Klimakonflikte könnten sich zu Bürgerkriegen ausweiten, nicht nur in Ländern wie dem Sudan, wo staatliche Regulierung gescheitert ist. Harald Welzer befürchtet, dass Gewalt um sich greift, wenn natürliche Ressourcen wie fruchtbares Land, Wasser und Rohstoffe knapp werden.

    Der globale Klimawandel wirkt sich allerdings regional sehr verschieden aus. Denn viele Länder haben ganz unterschiedliche Ausgangsbedingungen. Greift die medizinische Versorgung, reichen die Infrastrukturen, und in welchem Maße wird es Klimaflüchtlinge geben?

    Die Kardinalfrage in den reichen westlichen Ländern jedoch lautet. Wie lässt sich beim Einzelnen die Kluft zwischen Wissen und Handeln schließen?

    Claus Leggewie:

    "Wir stellen uns die Frage umgekehrt: wie man vom Handeln zum Wissen vorkommt. Wie man Handlungskontexte, in denen wir bereits drin sind, wo wir bereits anfangen unser Verhalten zu verändern. Wir überlegen: Nehmen wir den Billigflieger? Wir überlegen, ob wir nicht lieber mal mit dem Bus zum Einkaufen fahren und dergleichen mehr - wie wir aus solchen Handlungen, wo wir uns bereits ökologisch, umweltbewusst, klimapolitisch sensibler verhalten zum Wissen kommen darüber, wie eigentlich die nächste Zivilisationsstufe aussieht. Das ist ein großes Wort, das weiß ich."

    Die Kulturwissenschaften stehen keineswegs ohne Erfahrungen dar. Die Geschichtswissenschaft der frühen Neuzeit zum Beispiel hat sich unter anderem mit den Wirkungen der kleinen Eiszeit beschäftigt, die zwischen 1650 und 1850 die Gesellschaften in Europa sehr stark verändert hat, übrigens damals sehr positiv: Denn die Krise war ein Anstoß zur Innovation, ein Impuls, jene industrielle Gesellschaft zu entwickeln, die heute ihrerseits zu einem großen Wandel genötigt ist, zu "The Great Transformation", wie die wissenschaftliche Konferenz in Essen überschrieben ist.