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The Hidden Cameras
Zuhause ist, wo das Herz ist

Das siebte Studioalbum ist eine musikalische Reise in die nordamerikanischen Klassiker der 60er- und 70er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Joel Gibb knüpft an Country-Songs von Wade Hemsworth oder Tim Hardin an. Und er stellt die Frage: Was ist eigentlich Heimat?

Von Marlene Küster | 22.10.2016
    Der kanadische Sänger, Gitarrist und Songwriter Joel Gibb. Auch wenn die Besetzung des Künstlerkollektivs "The Hidden Cameras" häufig variiert, so bleibt er eine feste Konstante der Gruppe.
    Der kanadische Sänger, Gitarrist und Songwriter Joel Gibb. Auch wenn die Besetzung des Künstlerkollektivs "The Hidden Cameras" häufig variiert, so bleibt er eine feste Konstante der Gruppe. (The Hidden Cameras)
    "Der Titel meines Albums "Home On Native Land" geht auf die kanadische Nationalhymne zurück. Für mich ist das eine kanadische Platte. Die Songs und die verschiedenen Musikstile spiegeln meine Verbindung zu Nordamerika wider. Zum einen gibt es darauf Stücke aus den 1960er- und 1970er-Jahren, die ich covere, aber auch von mir komponierte Titel."
    Sagt Gitarrist und Sänger Joel Gibb vom kanadischen Musikerkollektiv The Hidden Cameras. Schon lange wollte der Wahlberliner ein "Back-To-The-Roots-Album" realisieren. Für seine Reise zurück zu den Wurzeln hat Gibb einige Zeit gebraucht: Die insgesamt 14 Songs auf "Home On Native Land" sind in den vergangenen zehn Jahren entstanden.
    "Auf der Platte steht meine Heimat im Mittelpunkt. Es geht nicht um spezielle Städte oder direkte kulturelle Bezüge, sondern vielmehr um Gefühle, Sounds und Stimmen. Die Pedal-Steel-Gitarre und das Banjo zum Beispiel unterstreichen diesen Roots-Charakter. Heimat ist für mich nicht an einen bestimmten Ort gebunden. Ich fühle mich zu Hause, wo mein Herz ist."
    Gibb schöpft aus dem kanadischen Song-Repertoire und covert einen der wohl bekanntesten kanadischen Country-Songs überhaupt: Wade Hemsworths "The Log Driver’s Waltz" von 1979. Darin geht es um ein Mädchen, das von einem kanadischen Flößer und seiner Geschicklichkeit begeistert ist und unbedingt einen Walzer mit ihm tanzen will. Gibb aber hinterfragt die kanadische Identität und spielt mit dem Kanada-Klischee: Das Albumcover zeigt ihn als kanadischen Holzfäller mit entblößtem, stählernem Oberkörper auf einem Baumstamm.
    Walzer als Inspiration
    "Auf einem Album sollte es doch wenigstens zwei Walzer geben", gibt Gibb lächelnd zu verstehen. Er lässt sich von "The Log Driver‘s Waltz" inspirieren und macht daraus seinen eigenen Song mit dem ironischen Titel "Drunk Dancer’s Waltz": einen Walzer für den betrunkenen Tänzer. Hier wird der vor Kraft strotzende tänzelnde Flößer zum stotternden, strauchelnden Kanadier.
    Und doch zeigt sich Gibb beim Covern als Kenner seines musikalischen Erbes, der sich mit viel Fingerspitzengefühl und dem nötigen Wissen behutsam den Originalaufnahmen annähert. Er geht damit respektvoll um, wie mit dem 1966 erschienenen Song "Don't make promises" des US-amerikanischen Musikers Tim Hardin, hier die Originalversion:
    "Ich bin ein absoluter Tim Hardin-Fan und liebe seine gefühlvollen Folk-Melodien. Die Originalaufnahme hat Folk-Einflüsse und einen orchestralen Sound. Meine Version geht mehr in Richtung Motown mit elektronischen und rockigen Elementen."
    Musikalisches Spagat
    Der kanadische Musiker ist Meister im Covern. Er macht aus Tim Hardins verträumtem Song eine zeitgemäße, schnelle, rockige Neufassung, bei der die Gitarren dominieren. Doch auch Gibbs Eigenkompositionen auf "Home On Native Land" überzeugen. Sie reihen sich mit Geigen, Klavier und Chören nahtlos in die Tradition des nordamerikanischen Musikerbes ein. Besonders wichtig ist Joel Gibb der Song "You and me again", den er als ersten komponiert hatte.
    "Ich wollte einen Country-Song schreiben, der so klingt, als wäre er in den 1960er-Jahren entstanden. Dabei habe ich mich von den Birds inspirieren lassen. "You and Me Again" ist meines Erachtens der Song mit dem stärksten Country-Einfluss auf der Platte."
    Ein neues musikalisches Outfit für sich finden und dabei auf die eigenen kulturellen Wurzeln zurückgreifen – dieser Spagat gelingt Joel Gibb und den Hidden Cameras auch überzeugend. Das Album "Home On Native Land" ist wunderbar eingängig: mit aufwändigen Chor-Arrangements und nostalgisch anmutenden Melodien zwischen Folk und Country.