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Theater Altenburg
Ein Afrikaner als Hauptmann von Köpenick

Die Rolle des falschen Hauptmanns ist eine Paraderolle der deutschen Theater- und Bühnengeschichte: Nun spielt ihn am Theater Altenburg mit Ouelgo Téné ein junger dunkelhäutiger Schauspieler aus Burkina Faso. Rassistische Übergriffe gegen ihn und ein rechtspopulistischer Boykottaufruf stellen einen bitteren und direkten Bezug des Stücks zur Realität her.

Von Henry Bernhard | 27.02.2017
    Ouelgo Téné als Hauptmann von Köpenick am Landestheater Altenburg Theater & Philharmonie Thüringen Der Hauptmann von Köpenick Ein deutsches Märchen von Carl Zuckmayer Premiere, 26.2.17. Wilhelm Voigt: Ouelgo Téné (vorn) Erster Soldat: Johannes Emmrich (rechts) Obermüller: Manuel Kressin Frau Obermüller: Anne Diemer Zweiter Soldat: Yasin Baig.
    Ouelgo Téné als Hauptmann von Köpenick am Landestheater Altenburg (Sabina Sabovic)
    Ouelgo Téné: "Pardon, Herr Oberwachtmeister! Ich wollte mir nur mal höflichst erkundigt haben, wie das mit meine nachgesuchte Aufenthaltserlaubnis bestellt ist. Ich warte nun schon lange."
    Die Szene in einer wilhelminischen Amtsstube zeigt den 32-jährigen Ouelgo Téné auf dem Höhepunkt seiner bisherigen Karriere: Seine erste Hauptrolle in Altenburg, der Wilhelm Voigt, der Hauptmann von Köpenick, in Carl Zuckmayers gleichnamigem Stück von 1931. Ouelgo Téné berlinert sich durch den Text, gewinnt mit seinem Charme und seiner physischen Präsenz auf der Bühne sofort die Sympathie der Zuschauer. Eine anfangs umstrittene Entscheidung des Schauspieldirektors und Regisseurs Bernhard Stengele, diese so urdeutsche Rolle mit einem Schwarzen zu besetzen. Er nennt dafür zwei Gründe.
    "Ouelgo hat man sehr schnell gerne. Das ist wichtig, damit man mit dem Schuster mitfühlt. Das Zweite ist: Wenn man ein Schwarzer ist in dieser Welt, dann hat man noch nie eine Grenze überschritten, ohne am Körper untersucht zu werden. Das heißt, seit er Kind ist, erfährt er, nur weil schwarz ist, hat er es schwer. Und das ist eine Erfahrung des Ausgegrenztseins, die der Schuster Voigt ja auch macht. Und wenn der Schauspieler diese Erfahrung mit in die Rolle bringt, dann ist das natürlich sehr hilfreich, und die Zuschauer erkennen ihn auch als solchen."
    Manuel Kressin: "Da möchte ich wirklich wissen, warum sie wieder nach Deutschland gekommen sind?"
    Ouelgo Téné: "Ich hab mich heim gesehnt. Das glauben sie gar nicht, wie schön Deutschland ist, wenn man weit weg ist und immer nur dran denkt."
    In Momenten wie diesen ist die Geschichte des Ausgegrenzten, Rechtlosen, des Herumgestoßenen in der Person des Wilhelm Voigt tagesaktuell. Ouelgo Téné verkörpert ihn glaubwürdig und das Ganze wirkt erschreckend realistisch, ist der Schauspieler doch im thüringischen Altenburg auch selbst Ziel von offenem Rassismus, von Pöbeleien und Rempeleien auf der Straße.
    Theater ist er einzige angstfreie Raum für den Schauspieler
    Das Theater ist für ihn der einzige angstfreie Raum in der Stadt. Deswegen wird er die Stadt zum Ende der Spielzeit vorzeitig verlassen – wie auch drei andere ausländische Schauspieler. Bitter auch für Schauspieldirektor Stengele, der sein Ensemble bewusst internationalisiert hat. Zum einen, um verschiedene Theaterkulturen in die deutsche Provinz zu holen, zum anderen, um das Eigene besser zu verstehen.
    "Wenn man merkt, wie jemand mit der Sprache kämpft, dann klebt man auch daran. Man hört viel, viel genauer zu. Und man merkt: Aha, selbst in diesem Dialekt hört man die Worte genauer. Und insofern: Die leichte Irritation, die entsteht, ist eine gute Irritation. Kunst entsteht nicht, wenn's leicht geht."
    Der emotional stärkste Moment der Altenburger Inszenierung des Hauptmanns von Köpenick gelang Ouelgo Téné und der Griechin Katerina Papandreou in dem Moment, als Voigt seine Ausweisung erhält und gleichzeitig einem sterbenskranken Mädchen das Märchen von den Bremer Stadtmusikanten vorlesen soll.
    Ouelgo Téné: "Sie haben sich binnen 48 Stunden ... Im Nichteinhaltungsfall erfolgt Abfuhr. Im Wiederbetretungsfall Freiheitsstrafe bis zu ..."
    Katerina Papandreou: "Aber Wilhelm, du liest ja gar nicht!"
    Ouelgo Téné: "Kommt mit uns, sagte der Hahn: Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden"
    "Etwas Besseres als den Tod werden wir überall finden!" In diesem Moment leuchtet auf, was aus dem Theaterabend auch noch hätte noch werden können, wenn er noch mehr auf Ouelgo Téné und seinen Wilhelm Voigt und weniger auf Musik und Tanz, Klamauk und Slapstick, ja manchmal auf krachiges Boulevardtheater gesetzt hätte.
    Schauspieler verlässt Altenburg
    Aber der Hauptmann von Köpenick ist nun mal eine Komödie und die gewinnt ihren Reiz auch aus der Fallhöhe zwischen der schier unglaublichen, aber doch so wahren Geschichte eines Schustergesellen, der den preußischen Obrigkeits- und Militärstaat wenigstens für ein paar Stunden übertölpelt - und der darunter liegenden menschlichen Tragik.
    In Altenburg bekommt das Theaterpublikum die Geschichte eines ausgegrenzten Menschen präsentiert, der erfolglos um seine Würde kämpft, die dessen Darsteller auf der Straße wegen seiner Hautfarbe ebenso verweigert wird. So konkret kann Kunst sein.