Freitag, 29. März 2024

Archiv

Theater Basel
Bestätigungstheater für Einverständige

Vor dem Hintergrund der schweizerischen Debatte um "Überfremdung" inszeniert Volker Lösch in Basel Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter". Herausgekommen ist eine inhaltlich wie theatralisch ungemein überzeugende Inszenierung.

Von Hartmut Krug | 28.02.2014
    Die Aufführung beginnt mit einem schwarz-weißen Scherenschnitt-Bühnenbild, das zeigt, was der brave Herr Biedermeier zu bewahren hofft: Eine heile Naturidylle. Zwischen Bäumen, Wiesen und Tieren trägt ein Sprechchor von heutigen Anzugträgern Passagen aus Albrecht von Hallers rund 45 Seiten umfassendem Gedicht "Die Alpen" aus dem Jahr 1729 vor. Ein vergnügtes Volk lebt darin zufrieden mit seiner Arbeit in ländlicher Welt.
    Chor verdeutlich die Angst vor Fremden
    Doch dann springt der Chor mit einem rappenden "Weh, ihr welschen Zwerge" aus der Historie und dem Scherenschnitt auf die Vorbühne. Er verdeutlicht die Bilder und Ängste, die sich Menschen von Fremden und Fremdem konstruieren. Bilder, mit denen die Betreiber des Volksentscheids vor kurzem Erfolg hatten. Dabei wechseln die bösen Karikaturen und Hassbilder im Hintergrund: Mal zeigen sie schwarz verschleierte Kühe, mal ist es eine wohl osteuropäische Frau, aus deren weit offener Vagina überfüllte Flüchtlingsboote rutschen. Im Vortrag des Chores vermischen sich aber böse Anklage, immanenter Widerspruch und unfreiwillige Komik. So, wenn von der 20jährigen russischen Freundin eines SVP-Vorsitzenden berichtet wird, die dieser wohl aus dem Puff habe. Oder wenn aufgezählt wird, dass die Hälfte der 400 Basler Theatermitarbeiter Ausländer seien, die fast alle Leitungspositionen besetzten. Immerhin aber sei ein Schweizer Intendant!
    Körpersprachliche Übersteigerung sorgt für Komik
    Die Spielhandlung dieses "Lehrstücks ohne Lehre", als das der Autor sein Stück genannt hat, findet in Form eines übersteigerten Kasperletheaters statt. Für, dessen kurze Szenen sich auf der Bühne unterschiedlich große Fenster öffnen. In ihnen werden Biedermanns Familie und seine aufdringlichen Gäste vor wechselnd einfarbigem Hintergrund ausgestellt. Sie wirken so einfach wie grotesk und agieren mit körpersprachlich konzentrierter Übersteigerung. Jedes Wort und jeder Bewegungslaut wird überlaut über Mikrofon wiedergegeben. Dieses ausgeklügelte und zugleich furios derbe Spiel besitzt viel einfache Komik.
    Während die beiden Brandstifter bei Max Frisch Schmitz und Eisenring heißen, gibt ihnen Volker Lösch die fremdklingenden Namen Ivan Subotic und Carlos Sica. Zugleich werden sie zu übersteigerten Proll-Karikaturen: Der eine frisst, furzt und rülpst, der andere läuft mit nacktem, tätowiertem Oberköper herum und fuchtelt mit dem Klappmesser. Zwei Karikaturen von gefährlichen Ausländern, zwei böse Klischee-Gespenster des Fremden, die sich Herr Biedermeier in seiner Angst vor dem Verlust von Lebensform und Sicherheit zusammenfantasiert. Natürlich vergewaltigen sie auch Biedermanns vorwitziges Dienstmädchen.
    Reichtum an ästhetischen Mitteln
    Während man bei der Lektüre des Frisch-Textes manchmal etwas ärgerlich ist, wenn Biedermann bei aller Offensichtlichkeit der brandstifterischen Absichten der Obdachlosen diese Absichten verdrängt, so macht die Aufführung Biedermanns absurde Haltung immerhin verständlich. Hier ist er unsicher, wie er zugleich Freund des sogenannten Multikulti sein und trotzdem seine Ängste und Wahrnehmungen ausleben kann.
    Volker Löschs Inszenierung ist geprägt von einer großen Deutlichkeit und einem Reichtum an ästhetischen Mitteln.
    Schwyzerdütsch als Waffe
    Sein aus dem Zuschauerraum kommender Chor der Basler Frauen und Männer besteht nicht aus Elendsgestalten, sondern aus Ausländern, Papierlischwyzern, Migranten, Secondos, Flüchtlingen und Einwanderern, die sich zugleich fremd und wohl, integriert und nicht angenommen fühlen. Und die erfahren, wie das Schwyzerdütsch als Waffe gegen sie eingesetzt wird. Reine Opfer sind sie nicht, und so erzählen sie weniger Geschichten von ihrer Flucht als von Gefühlen beim Leben zwischen Schweizern. Es geht um Pünktlichkeitszwang und Ordentlichkeitsgefühle, um das Leiden an Distanz und Kontaktlosigkeit.
    Viel Gutes, aber kalt, so lautet das Fazit dieses Chores am Ende der Aufführung.
    Dann aber füllt sich die Bühne noch einmal mit unzählig vielen Mitarbeitern des Theaters, die ein kritisches chorisches Statement zum Volksentscheid verkünden.
    Insgesamt war dies weniger ein provozierender und anklagender Theaterabend als ein Bestätigungstheater für Einverständige, geboten in einer inhaltlich wie theatralisch ungemein überzeugenden Inszenierung.