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Theater
Die Zeichen stehen auf Begeisterung

"Ein Sommernachtstraum" eröffnet die neue Spielzeit am Düsseldorfer Schauspiel und es scheint fast so, als ob das Stück in der Regie von Álex Rigola einen Nerv getroffen hat: Die sehr lustige, stimmige und opulente Inszenierund trieb auch die zuletzt so theaterrenitenten Düsseldorfer zu Standing Ovations.

Von Dorothea Marcus | 21.09.2014
    Das Düsseldorfer Schauspielhaus, aufgenommen am 26.02.2014
    Das Düsseldorfer Schauspielhaus. (picture alliance / dpa / Jan-Philipp Strobel)
    Die Jugend von Athen sieht aus, als sei sie gerade dem Internat entsprungen: ein schüchterner, gedrillter Haufen in adretter Schuluniform. Kein Wunder, dass Hermia mit Lysander flüchtet, als sie mit Demetrius verheiratet werden soll. Nur ihr rosa Stofftier darf mit.
    Und bei Regisseur Álex Rigola ist der Feenwald dann auch der Traum aller Pubertierenden: das wilde New York. Besser gesagt: die auf der Drehbühne in Düsseldorf liebevoll restituierte Silver Factory von Andy Warhol. Wo könnten die Gesetze von Treue, Ordnung, Ehe und Liebe wohl so berauschend außer Kraft gesetzt werden wie in der Mutter aller drogenumnebelten Künstler-Kommunen.
    "Die Liebe sieht nur das, was ihr gefällt. Und Amor wird als Blinder dargestellt. Verschießt er seine die Pfeile, wies im passt! Deswegen sagt man auch, er sei ein Kind, weil seine Schüsse selten Treffer sind. Und wie auf Kinder, die im Spiel falsch schwörn, darf man auch nicht auf Amors Schwüre hörn!"
    In der mit Alufolie ausgeschlagenen Fabrik-Etage ist Dauerparty: stilecht schallen Velvet Underground mit "Sunday Morning" vom Plattenteller, während in der Factory schicke Sixties-Bräute, wandelnde Riesenbananen und smarte Jungkünstler selbstverliebt die Kunst der Selbstdarstellung üben. Auch die Andy Warhol-Musen und Assistenten der sechziger Jahre sind mit historischer Detailtreue nachgestellt: Die Elfe ist eine balletttanzende, fragile, von Anfang an verlorene Edie Sedwick. Als Puck ist schnell Warhols erster, stets filmender Assistent Gerard Malanga zu erkennen. Sie tauschen heiße Küsse zu Chopin-Klängen, hier knutscht jeder mit jedem. Und dann betritt der Elfenkönig Oberon, Andy Warhol selbst, das Bild. Natürlich Platinblond, mit einem Burger in der Hand - sogar das Essen ist hier jederzeit identisch reproduzierbar. Seine Gattin Titania ist der schwarzgelockte Schauspieler Edgar Eckert, denn natürlich sind auch Männer und Frauen als Liebesobjekte bei Warhol ebenso austauschbar wie niedliche Groupies.
    Vor lauter Erschöpfung durch so viel Exzess bettet sich das brave Pärchen Hermia und Lysander dann im White Cube eines Museums, mitten zwischen Andy Warhols Brillo-Boxen - bevor der Zaubertrank der Elfen über sie ausgeschüttet wird und das Verwechselungsverhängnis seinen Lauf nimmt.
    Regisseur Alex Rigola und sein Team haben keinen Aufwand gescheut, um bunt die These zu untermauern: Shakespeares anarchischer Feenwald, jener, in dem die spießigen Gesetze der Liebe außer Kraft gesetzt sind zugunsten von Rausch, austauschbarem Sex und Dauerparty, ist am besten in der anarchischen Drogenwelt der Kunstkommune darstellbar - auch wenn diese ja selbst schon ein historisches Artefakt der sechziger Jahren darstellt.
    "Mir scheint als sehe ich in getrennten Augen alles doppelt… lachen hysterisch…. Seid ihr denn sicher, dass wir wach sind?"
    Sehr hübsch, dass jene sechs Athener Handwerker, die im Wald ein Theaterstück proben, leicht als legendäre Factory-Mitglieder zu identifizieren sind. Sie müssen erstmal Regie-Konzepte durchdiskutieren. In einer der stärksten Szenen des Abends verwandelt sich Zettel alias Warhol-Jünger John Giorno bei den ersten grellen Performance-Proben in einen Esel. Urs Peter Halter stellt Zettels Verwandlung als paranoiden Drogenrausch nach - mit all den Einsamkeitsabgründen, die sich so auftun mögen, wenn man sich auf einmal bei absurden Sexspielen im Hinterzimmer eines Ateliers wieder findet.
    Sicher hat der Zauberwald mit frühen Formen von Freiheit und freier Liebe zu tun, die bis heute wirken, sicher sind Liebesobjekte heute letztlich austauschbar wie Siebdrucke von Andy Warhol.
    Das ist alles wunderbar gespielt, sehr lustig, stimmig und opulent inszeniert und treibt die zuletzt so theaterrenitenten Düsseldorfer zu Standing Ovations. Selbst der Oberbürgermeister ist da heute Abend nach vielen Jahren erstmals zur Premiere gekommen - die Zeichen stehen auf neue Begeisterung. Auch wenn das Engagement des Regisseurs Rigola streng genommen gar nicht auf das Konto des neuen Intendanten Günter Beelitz ging, könnte es so vielleicht jetzt in Düsseldorf klappen.