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Theater
Geflüchtete Künstler und ihre Bühnenprojekte

2015 standen auf unzähligen Bühnen Flüchtlinge im Mittelpunkt. Die Stücke waren mitunter einseitige Dialoge und hatten ausbeuterische Tendenzen. Seither hat sich etwas getan. Es gibt verstärkt kooperative Projekte, und die Gesellschaft wird selbstverständlicher als das dargestellt, was sie ist: heterogen.

Von Dorothea Marcus | 22.02.2017
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    Der künstlerische Diskurs hat sich in Deutschland innerhalb eines Jahres grundlegend geändert. (picture alliance / dpa / Paul Zinken)
    Geradezu inflationär wurden im Herbst 2015 Cafés, Schreibwerkstätten oder Kunst-Projekte mit Flüchtlingen aus dem Boden gestampft. Unzählige Male wurden Flucht- und Kriegsgeschichten auf deutschen Bühnen erzählt: ein zuweilen recht einseitiger Dialog - mit ausbeuterischem Beigeschmack. Der zu Kritik an den westlichen Theatermachern mit ihrer Toleranz und Erschütterbarkeit führte:
    "Es gab Regisseure, die Flüchtlinge ausgenutzt haben. Sie ließen Überlebende aus katastrophalen Situationen, keine Theaterleute, ungeschützt ihre Geschichten erzählen, sie animierten sie geradezu zum Lügen, um ihre Leidensgeschichten für die Bühne schöner und sexyer auszuschmücken. Das war ein Missbrauch, der viele Traumata aufrührte. Ich sah viele Syrer oder Afghanen auf der Bühne, denen das so passiert ist, und ekele mich davor. Ich will, dass Syrer nicht mehr als Opfer behandelt werden, sondern auch künstlerisch gehört werden", sagt der Schauspieler Ayham Majid Agha.
    Im Jahr 2013 ist er aus Syrien nach Deutschland. Seit Ende 2016 ist Agha der künstlerische Leiter des Exil Ensembles, das mit Mitteln der Bundeskulturstiftung am Berliner Maxim Gorki Theater gegründet wurde.
    "Das Exil Ensemble ist eine Plattform für Künstler aus Ländern, in denen sie nicht mehr künstlerisch existieren können. Sie sollen hier selbstbestimmt arbeiten. Besonders Künstler sind im Exil in ihrer Identität bedroht: Ingenieure können überall finden, Schauspieler wegen ihrer Sprache nicht."
    Schauspieler aus Syrien, Palästina und Afghanistan versammelt das Exil Ensemble
    Sieben Schauspieler aus Syrien, Palästina und Afghanistan versammelt das Exil Ensemble seit vergangenem Dezember. Gecastet wurden sie zum Teil per Skype, aus rund 120 Bewerbungen. Gerade kommen sie von einer Recherchereise zurück, die sie an deutsche Orte des Exils führte – Mannheim etwa, wo Schiller auf der Flucht einst strandete. Aber auch in Gedenkstätten in ehemaligen deutschen Konzentrationslagern. Aus ihren Erfahrungen schreiben die Theaterleute ein Stück, das im April uraufgeführt werden soll.
    Es gibt weitere ähnliche Plattformen für geflüchtete Künstler. An den Münchener Kammerspielen etwa wird das Open Border Ensemble von Rana Mleihi geleitet, die Dramaturgin, Regisseurin und Produzentin am syrischen Nationaltheater in Damaskus war. Am Theater an der Ruhr in Mülheim entsteht eine Art arabisches Künstlerkollektiv als internationales Produktionsnetzwerk. Eine Kooperation mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen ist bereits vereinbart.
    Dass der künstlerische Diskurs sich in Deutschland innerhalb eines Jahres grundlegend geändert hat, sieht man aber auch daran, dass selbst an kleineren Stadttheatern nun Exil-Künstler autonom arbeiten können. Zuletzt etwa im "Neue Heimat"-Projekt am Theater Oberhausen. Dort hatte eine von Wihad Suleiman in Alltagssprache umgeschriebene "Medea" Premiere, in einem gediegenen Mittelklassesetting aus Holzbar, Tisch und Stühlen.
    "Und die Boten werden aufhören, meine Untreue zu besiegen. Und die lange Zeit hat viel zu sagen über uns und der Männer Schicksal."
    "Das Team bestand aus geflüchteten Theatermachern, das Ensemble waren deutsche Schauspieler"
    Dunja Dogmani und der geflüchtete Musiker Khater Dawa bilden den Chor der griechischen Tragödie. Sie sind in ihrer klaren, poetischen Sprache noch der Lichtblick des Abends. Ansonsten läuft er leider wegen inadäquater Töne und unpassenden Bilder schief. Medea, die Killerin der eigenen Kinder, fällt kurz vor dem Mord in Zuckungen und danach Jason um den Hals. Sie streitet mit ihm, als wären sie ein ganz gewöhnliches Alltagsehepaar, obwohl der doch gerade die eigenen Kinder verspeist hat. Dass die Idee des Zusammenwachsens von Theaterkulturen nicht immer aufgeht, ist hier eher nebensächlich. Wichtiger ist, dass es überhaupt geschieht. Die syrische Regisseurin und Autorin Wihad Suleiman:
    "Es geht in meiner Arbeit um die furchtbare Idee der Rache als einer universellen Konstante. Das Team bestand aus geflüchteten Theatermachern, das Ensemble waren deutsche Schauspieler, zum Teil mit Migrationshintergrund. Aber jenseits der kleinen Sprachprobleme spielte das eben gar keine Rolle. Und genau das zeigt, wie man mit Theater heute umgehen sollte: Wie selbstverständlich eine Welt darstellen, die divers ist – als Zustand, der uns alle betrifft."
    Es scheint, als habe im deutschsprachigen Theater ein Bewusstseinswechsel stattgefunden, hin zu einer selbstverständlich heterogenen, und dadurch bereicherten Gesellschaft.