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Theater: "Krönung der Poppea"
Die Liebe ist ein seltsames Spiel

Am Theater an der Wien inszeniert Claus Guth Monteverdis "L'incoronazione di Poppea". Guth gehört zu den Figuren-Verstehern in der Opern-Regie-Riege und hat für den Meister der Gefühlsregung in der Musik eine sichere Hand.

Von Jörn Florian Fuchs | 13.10.2015
    Ein roter Theatervorhang
    Am Theater an der Wien inszeniert Claus Guth Monteverdis "L'incoronazione di Poppea". (picture alliance / dpa - Marcus Brandt)
    Eigentlich macht Claus Guth bei seiner Wiener Monteverdi-Inszenierung ziemlich viel falsch. Er nimmt die Geschichte um Kaiser Nero und seine gefährliche Geliebte Poppea nicht wirklich ernst, verlagert die Handlung in eine merkwürdige Gegenwart, arbeitet zudem mit seinen sattsam bekannten Stilmitteln, wie einem weiße Federn streuenden Amor oder der sich ständig drehenden Bühne. Und dennoch funktioniert Guths Ideenmischung auf zwar schräge, aber wundersame Weise.
    Götter im Fernsehstudio
    Der Reihe nach: Zu Beginn sehen und hören wir drei allegorische Figuren, die im Rahmen einer Quizshow miteinander streiten, wer am Ende wohl recht behalten wird. Schicksal, Tugend und der von Countertenor Jake Arditti mit himmlischen Höhen gesungene Liebesgott Amor kämpfen um die Macht über den Kaiser und seine Mätresse.
    In die hier reichlich surreal überhöhte Atmosphäre schiebt Claus Guth immer wieder sehr gegenwärtige Bilder, Nerones Noch-Gattin Ottavia wirkt wie eine abgelebte Hollywood-Diva und lungert alkoholisiert auf dem Flügel herum – Jennifer Larmore macht das hinreißend. Wie in einem Krimi entwickelt sich die Geschichte, mit teilweise sehr derben Momenten.
    Nachdem sich der ewig moralisierende Philosoph Seneca (fulminant: Franz-Josef Selig) in einer Wanne das Leben genommen hat, trinken Nerone und sein Freund Lucano blutgefärbtes Badewasser aus Sektkelchen und feiern die Dekadenz. Das geht so weit, dass Nerone Lucano an die Wäsche geht und Poppea für einen Moment zu vergessen scheint. Beeindruckend, wie Valer Sabadus hier den emotional und sexuell zerrissenen Herrscher spielt und mit glasklarer, wahrhaft zwischengeschlechtlicher Counterstimme singt.
    Harmonie und Disharmonie
    Wie bei seinem Salzburger Festspiel-"Fidelio" vom vergangenen Sommer greift Claus Guth auch in die "Poppea" musikalisch ein, die Rezitative werden durch dissonant schraffierte, elektronische Klangflächen ergänzt. Und die Musiker des Ensemble Matheus liefern ebenfalls etliche unbarockige, sperrige Zwischentöne. Was beim "Fidelio" floppte, funktioniert hier jedoch perfekt. Ständig werden neue, ungewohnte Stimmungen generiert, mal als Brücke zwischen zwei Nummern, mal rein atmosphärisch.
    Dirigent Jean-Christophe Spinosi hält die musikalischen Fäden in seinem durch Blechraritäten wie Zinken oder Zymbal verstärkten Orchester gut zusammen, die Koordination mit den Sängern könnte allerdings etwas besser sein. Alex Pendas Poppea strahlt immense körperliche Erotik aus, auch stimmlich überzeugt die bulgarische Sopranistin, mit viel Volumen und gleißend präsenten Spitzen.
    Selbstmord statt Happy End
    Monteverdi gönnt seinen Opernhelden ein friedliches, aber unmoralisches Finale: Nerone und Poppea heiraten, Ottavia geht ins Exil, Claus Guth lässt indes Amor nicht triumphieren, in einem Moment existentieller Verzweiflung und Klarheit erschießt Nerone seine frisch angetraute Gattin, danach sich selbst. Stockend, unendlich langsam vertröpfelt die Musik. Dies ist ein ergreifender und starker Schluss einer konsequenten, starken Inszenierung.