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Theater
Multikulti ganz unspaßig

Dunkeldeutschland ist out, das helle Deutschland hat die Oberhand in den Medien und in den Theatern. Überall Willkommenskultur. Das Maxim Gorki Theater in Berlin bietet dazu seine Hausregisseurin Yael Ronen auf, die den neuen Nahen Osten unter Israelis und Palästinensern in Kreuzberg und Neukölln beschwört. Multikulti von einer durchaus unspaßigen Art.

Von Eberhard Spreng | 05.09.2015
    Das Maxim Gorki Theater, aufgenommen am 29.10.2012 in Berlin.
    Das Maxim Gorki Theater in Berlin (picture-alliance / dpa / Michael Kappeler)
    Stefan gibt einen Deutschkurs für Ausländer. W-Fragen stehen auf dem Programm. Die "Wer bist du"-Frage scheint schwer zu beantworten und ist Anlass für einige lustige Missverständnisse, die Dimitrij Schaad auf der Vorderbühne, Orit Nahmias und Yousef Sweid in bunter Bekleidung nach Landesfahnen auf einer knallgelben Treppe erleben.
    "Ok. Also.. Ich verstehe nicht. Du bist... Palästinenser."
    "Yes."
    "Na klar."
    "Aber du bist auch Israeli?"
    "Ja. Haifa."
    "Auf Papier."
    "Und… Jude?"
    "Nein."
    "Entschuldigung. Aber du sprichst... jüdisch."
    "Hibrisch."
    "Hebräisch."
    "Ganz gut. Keine Akzent. Ganz natural. Und Arabisch. Ganz professionell."
    "Ich bin nicht ganz sicher . Was - wer - wie - wo - warum - weil - wenn - wann – wer."
    "Say it in English."
    "Who are you?"
    Orit und Yousef sind liiert, kommen beide aus Israel, haben aber aufgrund ihrer unterschiedlichen Herkunft auch und vor allem in Deutschland große Konflikte: Orit ist Jüdin und Yousef ist palästinensischer Israeli, spricht fließend arabisch und hebräisch, und als sein kleiner Sohn in Berlin-Neukölln, das Yousef als palästinensisches Dorf bezeichnet, seinen Orangensaft, wie er es aus Israel gewohnt ist, auf hebräisch bestellt, ist das Problem da: Die israelisch-palästinensische Doppelexistenz ist in Berlin ebenso problematisch wie vorher in Israel, aber aus anderen Gründen. Mit einer biografischen Note beginnt Regisseurin Yaël Ronen den Abend: ihrer Eheerfahrung mit dem israelisch-palästinensischen Schauspieler Yousef Sweid. Dies hatte sie bereits vor Jahren in dem Stück "Plonter" thematisiert, mit dem sie in Deutschland bekannt wurde. Der deutsche Stefan mit seinem verklemmten Verhältnis zu Israel und dem Judentum muss in der Folge schnell lernen, seine Vorurteile los zu werden, denn das alte identitäre Problemdreieck Israel - Palästina - Deutschland, in dem es sich ganze Generationen von Friedensaktivisten seit Jahrzehnten gemütlich gemacht hatten, ist einer neuen Komplexität gewichen: Der Krieg in Syrien konfrontiert den optimistischen, komisch-naiven deutschen Gutmenschen mit der Integrationsmission mit neuen Problemen: Mit Hamoudi, der aus Deir Ez-Zor, einer der am stärksten umkämpften Städte Syriens stammt und den er in seiner Wohnung in Berlin-Neukölln aufgenommen hat. Aber dann kommt die schwarze Palästinenserin Laila, gespielt von Maryam Abu Khaled und will das Zimmer zurück, das ihr Stefan zuvor einmal zur Verfügung gestellt hatte. Für sich und vor allem für den Rapper Karim, den sie in der Berliner Diaspora groß rausbringen will.
    Alle Überlebensgeschichten dieser jungen Flüchtlinge sind komplex, zu kompliziert fürs schnelle Verständnis und die einfache Klassifizierung. Und nachdem man sie in lustigen, flott inszenierten Wortwechseln und auf abstrakter Bühne in rasch skizzierten Szenen einem verblüfften Stefan erzählt hat, entpuppt dieser sich als Sergej, das einstige Einwandererkind aus Kasachstan. Er war nach dem Untergang einer milde korrupten Sowjetunion mit seinen Eltern vor einer offensiv kriminellen Kleptokratie nach Deutschland geflohen. Er erlebte das Elend einer Flüchtlingsbiografie, die verzweifelten kleinkriminellen Machenschaften seines Vaters, der zu Zeiten der Sowjetunion ein staatliches Baustofflager verwaltet hatte. Eine Rückkehr in die Heimat, anlässlich einer langen familiären Urlaubsreise, wird auf einer Autobahn von Männern mit Maschinenpistolen unterbrochen, einer Mafia, mit denen der Vater entspannt humorvoll fertig wird.
    "Und in diesem Augenblick ist er für mich der stärkste, klügste und mutigste Mann der Welt. Und mein Herz zerbricht weil ich zum ersten Mal begreife wie entwürdigend es für diesen Mann sein muss, dass ihm ein Gang in eine deutsche Behörde mehr Angst macht als eine Waffe im Gesicht."
    Was ist hier noch Dichtung, was erlebte Wahrheit des in Kasachstan geborenen Dimitrij Schaad? Im zweiten, von langen Monologen geprägten Teil der Aufführung, bricht sich das biografische Material, das das Ensemble um Yaël Ronen unter anderem aus eigenem Erleben zusammengetragen hat, gegen jede Dramatisierung Bahn. Vergessen auch der komische Grundton beim Zerschlagen aller Klischees und die szenische Setzung der Deutschstunde. Das Theater ist mit "The Situation" zu einem deutsch-englisch-hebräisch-arabisch-sprachigen Labor für Flüchtlingserzählungen ohne den Anspruch auf eine geschlossene dramatische Formgebung geworden. Der Titel ist Programm: Die geopolitische Situation und die erzwungenen Strategien des Überlebens bestimmen im 21. Jahrhundert die Identität und das Denken. Aber auch Situationen ändern sich, wie ein auf der Treppe versammeltes Ensemble mit etwas zu pathetischem Optimismus im Schlussbild kundtut. Gleichwohl: Das Gorki-Theater lässt mit diesem Abend spüren, was das etwas verklemmte deutsche Wort Willkommenskultur bedeuten könnte.