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Theater
Öffentlicher Raum jenseits von Talkshow und Anschreien

Theater als Institutionen lassen Flüchtlinge in ihren Räumen übernachten oder setzen sich künstlerisch mit dem Thema Flüchtlinge auseinander. Das stärkere Interesse an politischem Theater in der Auseinandersetzung mit der Gesellschaft gebe es schon seit einigen Jahren, sagte Florian Malzacher, künstlerischer Leiter des Theater-Festivals "Impulse" im DLF.

Florian Malzacher im Gespräch mit Dina Netz | 31.01.2016
    Flüchtlinge als Laienschauspieler in "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek, inszeniert von Nicolas Stemann, acht schwarze Männer stehen auf einer Bühne und halten ihre jeweils rechte Faust in die Luft.
    Flüchtlinge als Laienschauspieler in "Die Schutzbefohlenen" von Elfriede Jelinek. (dpa/picture alliance/Stephanie Pilick)
    Dina Netz: Die Dramaturgische Gesellschaft feiert an diesem Wochenende ihren 60. Geburtstag. 60, das ist ein Alter, in dem man schon auf einiges zurückblickt, aber auch noch einiges vorhat. Die Dramaturgische Gesellschaft wurde 1956 im damaligen West-Berlin gegründet, und in Berlin hat sie nun ihre Jubiläumstagung abgehalten - unter anderem, um auf die Gegenwart und in die Zukunft zu blicken. "Was tun. Politisches Handeln jetzt." war die Tagung überschrieben. Das klingt etwas überraschend weniger nach einem Treffen von Theaterleuten als nach Parteitag. Zumal nach "Was tun." ein Punkt steht. Florian Malzacher ist künstlerischer Leiter des Festivals "Impulse", des wichtigsten Festivals für freies Theater im deutschsprachigen Raum. Ich habe ihn gefragt: Herr Malzacher, Theater auch als Institutionen tun schon seit einiger Zeit viel, indem sie zum Beispiel Flüchtlinge in ihren Räumen übernachten lassen oder, weniger direkt, indem sie sich künstlerisch mit dem Thema Flüchtlinge auseinandersetzen. So viel politisches Handeln im Theater wie zurzeit war lange nicht, oder?
    Florian Malzacher: Ja natürlich hat der letzte Sommer mit den Ereignissen, die dann ja sehr schnell gingen, da noch mal einen extra Druck ausgeübt und sehr viel Reaktion gefordert. Aber ich würde sagen, dass eigentlich schon seit einigen Jahren ein stärkeres Interesse an politischem Theater in der Auseinandersetzung mit Gesellschaft und auch mit Einmischung in die Gesellschaft wieder der Fall ist, parallel zu den ganzen sozialen und politischen Bewegungen der letzten Jahre.
    Künstlerische Auseinandersetzung etwas zu konventionell
    Netz: Würden sie so weit gehen zu sagen, dass wir uns heute nicht nur in einer gesellschaftlichen Umbruchsituation befinden, sondern auch in einer für das Theater?
    Malzacher: Ich glaube, dass im Theater Neuerungen oder überhaupt in der Kunst immer Neuerungen sehr stark entstanden sind, wenn gesellschaftliche Umbrüche stattfanden. Da gibt es natürlich ein Verhältnis. Und dass dann neue Formen, auch neue künstlerische Formen gebraucht werden, gerade im Theater, wo ja immer so eine enge Verbindung zwischen den Formen der Gesellschaft und den Formen des Theaters besteht, das ist, glaube ich, auch nicht so überraschend.
    Netz: Können sie uns vielleicht mal ein paar Beispiele dafür sagen, damit auch Menschen, die nicht so oft im Theater sitzen wie Sie, sich vorstellen können, wie im Moment Theaterleute auf verschiedene Weise politisch oder gesellschaftspolitisch agieren?
    Malzacher: Ich glaube, es gibt zum einen natürlich tatsächlich das direkte Engagement, dass Flüchtlinge aufgenommen werden, dass man überlegt, von Deutschkursen bis zu anderen Dingen irgendwelche Hilfeleistungen zu geben. Das ist das eine. Zum anderen gibt es natürlich die künstlerische Auseinandersetzung, die, glaube ich, in großen Teilen für meinen Geschmack etwas konventionell stattfindet. Man inszeniert halt Stücke, wo es dann darum auch geht. Das hat man ja schon immer getan. Interessanter, finde ich, wird es da, wo man tatsächlich auch überlegt, wo das Theater in seiner Form was anderes sein kann und auch politisch agieren kann, in Inhalten und in der Form. Zum Beispiel wäre Milo Rau, der ja auch, sagen wir mal, konventioneller mit Schauspielern und so weiter arbeitet, hat aber einige Arbeiten gemacht, die als Gerichtsverhandlung zum Beispiel stattgefunden sind, zum Beispiel vor ein paar Jahren in Moskau, wo er Protagonisten der großen Kunstprozesse, der letzte gegen Pussy Riot, eingeladen hat, noch einmal die Linken wie die Rechten, die Künstler wie die Konservativen eingeladen hat, das öffentlich auszutragen, in einem Theaterraum diesmal, dass so eine Möglichkeit besteht, etwas zu verhandeln und zu diskutieren, das man sonst in der Gesellschaft vielleicht gar nicht mehr besprechen kann, weil die Fronten so verhärtet sind.
    Netz: Sie haben das gerade schon so ein bisschen angedeutet, dass vielleicht nicht immer die richtige Form gefunden wird für die Themen. Das wäre auch meine Frage. Geht es im Moment im Theater stärker darum, nach dem inhaltlichen Gehalt, zum Beispiel nach dem politischen Gehalt zu fragen als nach der Ästhetik? Oder etwas provokanter gefragt: Wo ist die Grenze zwischen Kunst und Sozialarbeit?
    "Jenseits von Talkshows oder sich anschreien"
    Malzacher: Ich glaube, der Inhalt und die Form lässt sich im Theater nun irgendwie eh schlecht trennen, und ich glaube, interessant wird es natürlich, wenn man in der Form auch politisch agiert, wenn man sich nicht nur überlegt, welche Stoffe bringe ich auf die Bühne, sondern wie verhalte ich mich gegenüber dem Publikum, wie beziehe ich das Publikum mit ein, gibt es eine andere Art der Verhandlung untereinander zum Beispiel. Und natürlich die Frage, die sehr stark im Raum steht im Augenblick: Wer repräsentiert wen auf welche Weise, wer wird nicht repräsentiert auf der Bühne wie in der Gesellschaft. Diese Fragen sind ja sehr stark analog. Insofern glaube ich, dass die Form des Theaters wirklich immer natürlich sehr wichtig ist, gerade wenn es darum geht, dass man sich politisch verhalten möchte.
    Netz: Ich sage mal etwas böse: Theaterpublikum ist grundsätzlich immer schon einverstanden mit dem, was auf der Bühne verhandelt wird. Welchen Einfluss auf die Gesellschaft allgemein hat denn überhaupt Theater, speziell diese Form von politischem Theater, von der Sie sprechen?
    Malzacher: Das ist sicher ein Problem, das viele Kunstformen haben, dass man erst mal unter sich bleibt vielleicht mit seinen Meinungen. Ich glaube, dass die Theater aber schon versuchen, sehr stark in letzter Zeit und auch seit einigen Jahren rauszugehen und zu gucken, wie man mit anderen Leuten redet, wie man andere Bevölkerungsgruppen, die vielleicht traditionell nicht ins Theater gehen, gewinnen kann und so weiter. Das passiert schon. Aber interessant wäre natürlich tatsächlich, wie man auch einen politischen Konflikt vielleicht austragen kann auf der Bühne, ohne immer schon einer Meinung vorher zu sein. Das wäre sicher eine Herausforderung, wie das gehen kann. Aber ich glaube, da wäre gerade vielleicht wirklich eine interessante Aufgabe für das Theater, so einen öffentlichen Raum zur Verfügung zu stellen, der jenseits von Talkshows oder sich anschreien tatsächlich was verhandelt. Das kann Theater, glaube ich, schon tun, ist natürlich nicht ganz einfach in einer gesellschaftlichen Situation wie jetzt zum Beispiel gerade in Deutschland, wo die Konfliktlinien ja sehr klar sind gerade.
    Netz: Florian Malzacher, künstlerischer Leiter des "Impulse"-Festivals, über Theater, Gesellschaft und Politik.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.