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Theater
Öko-Thriller ohne Zeigefinger

Ein verschwundener Dokumentarfilmer, eine entführte Gruppe Kinder – eigentlich genug Stoff für einen spannenden Thriller. Doch das wahre Drama, das die Theatergruppe "The Civilians" im Stück "The Great Immensity" auf die Bühne bringt, hat einen ökologischen Hintergrund.

Von Andreas Robertz | 23.04.2014
    Ein Eisbär treibt auf seiner Scholle vor Spitzbergen.
    Ein Eisbär treibt auf seiner Scholle vor Spitzbergen. (picture alliance / dpa / Hinrich Bäsemann)
    "The Civilians" nennt sich eine investigative Theatergruppe. Normalerweise beschäftigt die sich mit sozialen Problemen und arbeitet hauptsächlich mit Szenencollagen, theoretischen Texten und Interviews. Wie zum Beispiel beim Abend "In The Footprint" über Gentrifizierung in Brooklyn oder in "This Beautiful City" über die wachsende Radikalisierung der amerikanischen Freikirchen.
    Für "The Great Immensity" haben sie sich eine richtige Story ausgedacht und zusammen mit Musiker Michael Friedman eine Mischung aus Öko-Thriller, Aufklärungsabend und Musical geschaffen. Und entgegen der Annahme, dass Klimakatastrophe und Erderwärmung ein eher trockener Stoff seien, der mit erhobenem Zeigefinger vorgetragen gehört, haben sie einen wunderbar intelligenten und in großen Teilen humorvollen Abend auf die Beine gestellt.
    Phyllis' Ehemann Karl ist spurlos verschwunden. Der bekannte Dokumentarfilmer wurde zuletzt auf einer Insel im Panamakanal gesehen, als er dort arbeitende Wissenschaftler für ein neues Projekt interviewte. Phyllis findet heraus, dass Karl chinesische Containerschiffe im Kanal beobachtete und eine seltsame Begegnung mit dem amerikanischen Teenager Julie hatte, die als Welt-Botschafterin zusammen mit einer internationalen Delegation von Kindern im Namen der Klimakonferenz um die Welt reist und einen Bericht für die nächste Konferenz in Paris erstellt.
    In einer sehr gekonnten Mischung aus Videoprojektionen, digitalen Chatrooms, mit der Kamera live aufgenommenen Echtzeit-Interviews und Filmen entsteht eine dichte Erzählstruktur. Je mehr Phyllis die Spuren entziffert, umso mehr erfährt der Zuschauer. Zum Beispiel von bereits ausgestorbenen Tier- und Pflanzenarten oder von einer Grafik der NASA über die Entwicklung der Erderwärmung seit der industriellen Revolution, die Karl archiviert hat. Es wird schon bald klar, dass Karl zu einer geheimen Gruppe von Ökoaktivisten übergelaufen ist. Er ist den Kindern ins kanadische Churchill gefolgt.
    Die Hafenstadt, die eigentlich durch ihre Polarbären berühmt geworden ist, ist durch die neuerdings uneingeschränkte Ausbeutung der Arktis zu einem wichtigen Hafen geworden, mit vielen neuen Arbeitsplätzen. Doch seit Hunderte von Eisbären in der Tundra zu verhungern drohen, weil das Packeis nicht mehr kommt, werden die Tiere immer aggressiver. Und als Beweis dafür, dass für manche Lebewesen die Veränderung der Lebensumstände den sicheren Tod bedeutet, lernt man, wie in nur einer einzigen Generation eine 10.000 Jahre alte Volksgruppe nomadischer Inuit fast völlig ausstarb, weil sie von der kanadischen Regierung gezwungen wurde, sich hier in baufälligen Blechhütten niederzulassen.
    "The Great Immensity" ist ein gut recherchierter und gut gemachter Abend, der nie wirklich den moralischen Zeigefinger erhebt, sondern von Menschen handelt, die anfangen, unangenehme Fragen zu stellen. Im Stück entscheidet sich Karl am Ende Phyllis zu verlassen, um die Kinder in dem chinesischen Containerschiff "The Great Immensity" zu entführen, bis die Regierungen eine verlässliche Klimaagenda gefunden haben. Ein vielleicht naives Ende, das ein begeistertes und durchaus beunruhigtes Publikum zurücklässt.