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Theater-Premiere in New York
Familiendrama in besseren Kreisen

Die britische Dramatikerin Naomi Wallace beschäftigt sich gerne mit Figuren, die am Rande der Gesellschaft leben, die durch Krieg und Schuld traumatisiert wurden oder für die oft nur der Sprung ins Unbekannte Rettung verspricht. In ihrem neuen Stück "Night is a Room" widmet sie sich nur scheinbar einem völlig anderen Thema.

Von Andreas Robertz | 15.12.2015
    Die Schauspielerin Ann Dowd.
    Eine der Darstellerinnen in "Night is a Room": Ann Dowd. (Imago/Future Image)
    Was für ein Kontrast: Liana, eine britische Werbeagenturleiterin im schwarzen Designer Kostüm, teuren Schuhen und einer Sprache wie eine britische Sahnetorte und Doré, die ihr Leben lang als Putzfrau gearbeitet hat. Mit ihrem hässlichen Kittel und den ausgelatschten Schuhen liest sie Unkraut vor ihrem verwitterten Gartenzaun auf und ihre Sätze fallen ihr wie Steinbrocken aus dem Mund. Doré ist die leibliche Mutter von Lianas Ehemann Marcus, den sie mit 15 zur Adoption freigeben musste und seitdem nicht mehr gesehen hat. Liana ist auf die glorreiche Idee gekommen, Marcus zu seinem vierzigsten Geburtstag eine Begegnung mit seiner echten Mutter zu schenken. Da muss man kein Prophet sein, um zu wissen, dass das keine gute Idee ist.
    Doch Autorin Naomi Wallace treibt die Geschichte noch einen tabubrechenden Schritt weiter, als man befürchtet. Nach mehreren Treffen zwischen Doré und Marcus verlieben sich die beiden ineinander. In der zweiten Szene sieht man das glückliche, sexuell stimulierte Paar Marcus und Liana in ihrem schicken Wohnzimmer. Sie haben Doré zum Tee eingeladen um ihre neue erweiterte Familie zu feiern. Doch als sie dann kommt, rieselt Liana all das Eheglück durch die Finger. Plötzlich küssen sich Marcus und Doré leidenschaftlich vor Liana und dem gleichermaßen geschockten Publikum. Aus der Sahnetorten-Sprache wird schnell eine zynische Fäkalienschlacht á la Jerry Springer, der amerikanischen Reality TV Show, in der sich dumme Menschen unter dem Vorwand der versöhnenden Aussprache mit ihren jeweiligen Partner unter dem Johlen des Publikums handfeste Gefechte liefern.
    Es kommt zum absurden Showdown
    Als das einigermaßen verwirrte Publikum nach der Pause zurückkommt, ist die Bühne ein Beerdigungsraum, vor aufgereihten Stühlen steht ein aufgebahrter Sarg. Sechs Jahre sind vergangen: Marcus ist überraschend gestorben und Liana hat das Schicksal obdachlos gemacht. In ärmlichen, von der Straße gezeichneten Kleidern steht sie nun vor einer eleganten Doré in Schwarz. Es kommt zum absurden Showdown. Bei dem Versuch sie zu erwürgen, versagt Dorés Blase. Tropfend steht sie am Sarg und wischt sich mit Lianas Schal zwischen ihren Beinen herum. Sie spricht von den letzten sechs Jahren mit Marcus und ihre Liebe, die sich nach der anfänglichen Begierde letztlich zu einer normalen Mutter und Sohn Beziehung entwickelte. Schließlich lehnen die beiden erschöpft am Sarg und entdecken in ihrer Liebe zu Marcus einen gemeinsamen Nenner. Sie beschließen in seinem Haus zusammenzuwohnen: ein unverdientes versöhnliches Ende.
    "Night is a Room" hat viele sehr witzige und gut geschriebene Momente, doch die Geschichte, die nach Autorin Naomi Wallace von einer wahren Begebenheit inspiriert ist, ist unglaubhaft und schlecht konstruiert, voller oberflächlicher, pseudosymbolischer Situationen wie Dorés Traum von dem Baum, in dem ihr eigenes Fleisch hängt und das nun in Marcus Gestalt wieder zurück zu ihr findet oder die ganze nach einer griechischen Tragödie anmutenden Dramaturgie, deren kathartisches Ende aber fehlt. Die Figuren leiden nicht unter ihren Taten, sie reflektieren sie noch nicht mal. Und die Tatsache, dass Liebe nähren oder brechen kann, ist so alt wie das Theater selbst. Der Abend ist künstlich auf krasse Effekte hin getrimmt. Als hätte die Autorin in einer Art dramatischer Petrischale möglichst schockierendes Material zusammengebracht, um dann zuzusehen, was passiert. Regisseur Bill Rauch und seine Darstellerinnen Dagmara Dominczyk und Ann Dowd geben sich alle Mühe, die Figuren in ihrem Verlangen und den Schmerzen glaubwürdig zu machen, doch scheitern sie an der absurden und letztlich schwachen Geschichte: Tabubrüche machen noch lange keinen interessanten Theaterabend.