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Theater-Projekt
Von Adrenalinsucht und Versagensangst

Wann wird aus Leistungsdruck Erfolgszwang? Wie verlockend sind leistungssteigernde Mittel? Das Recherche-Theaterstück "Burn out – dope in" nimmt den Leistungssport unter die Lupe.

Frauke Hain | 17.05.2014
    Der Sportbetrieb ist immer noch im vollen Gang. Sportstudenten wuseln umher, es riecht nach Schweiß und Chlor. Mittendrin – die Theaterzuschauer. Sie wirken ein wenig hilflos, aber schnell finden sie sich ein in diesen ersten Teil der Darbietung: Ausgestattet mit Audioguides und Kopfhörern sitzen sie auf den Tribünen und schauen von oben herab auf die Sporttreibenden: Wettkampfsituationen, Überwindung des inneren Schweinehundes, Grenzerfahrungen, Gesundheitsüberwachung.
    Dann geht es rein in die Theatersituation. Hostessen in roten Kleidern und weißen Stiefeln führen die Zuschauer über Treppen herab, durch Umkleideräume und verwinkelte, ausgestorbene Gänge. In einer der Sporthallen warten – statt Theatersessel – Matten, Bänke und Turngeräte.
    Die acht Schauspieler tragen Sportklamotten: weiße Shirts und rote, kurze Hosen. Sie erzählen in Textcollagen – autobiografisch und aus der Ich-Perspektive – die tragischen Geschichten von Sportlern aus Deutschland und Österreich. Monologe und Standbilder mischen sich mit einzelnen Satzfetzen und hektischem Hin- und Herlaufen. Worte wie "perfekt", "Training" oder "Talent" klingen immer wieder einzeln durch den Raum. Fußballspieler, Schwimmerin, Bodybuilder, Marathonläuferin und Radsportler. Sie alle – zerbrochen am Druck des Systems, an sich selbst gescheitert und auch – gedopt.
    Es sind die Geschichten von Olympiasiegern, Weltmeistern und Breitensportlern. Da sie anonymisiert wurden, haben die Schauspieler ihren Rollen ihre eigenen Namen gegeben. So wie Rudi Hindenburg – er spielt den Fußballspieler – Rudi. Er hat sich lange mit seiner Rolle beschäftigt, um sie zu verinnerlichen.
    "Diese Verbohrtheit, die fand ich so irgendwie so interessant und das war eigentlich der Aufhänger, wie man so festhalten kann. Er hat mit seiner ganzen Familie gebrochen, mit seinen ganzen Freunden. Es gab eigentlich keinen mehr, der ihn verstanden hat. Und das heraus zu kitzeln, dass er einfach so sehr wollte, das war eigentlich mein Aufhänger."
    Im dritten Teil wartet auf die Zuschauer die Präsentation einer surrealen Welt. Von der Turnhalle geht es noch einmal auf einen Rundgang durch die Gänge und Kellerräume – rein ins gluckernde Schwimmbad. Im Wasser zeigen Taucher in Neoprenanzügen und mit Sauerstoffflaschen auf dem Rücken anhand von Luftballons den Vergleich von normalem und manipuliertem Blut. Im Becken sind Kameras installiert. Die Zuschauer beobachten das Schauspiel am Beckenrand – von oben herab blickend ins Wasser – und über eine Leinwand. Die Dunkelheit gibt ein unheimliches Gefühl.
    Die Zuschauer sind zwischen Begeisterung und Betroffenheit hin und her gerissen:
    "Die Schauspieler haben, die haben diese Rollen und diese Empfindungen, die darin stecken, so was von rüber gebracht, dass mich das war nicht loslässt. Weil das berührt ganz tiefe Schichten. Das geht voll ins Blut und unter die Haut."
    "Ein bisschen Beklemmung. Ich fand's aber auch zwischenzeitlich ganz humorvoll, die Umsetzung von den Schauspielern in der Halle. Und auch ganz viel Nachdenklichkeit, so was das Thema Doping angeht."
    "Also ich fand es sehr eindrucksvoll von der Recherche her und von den Kulissen. Und diese ganzen Geschichten, die dahinter stecken. Also auch von klein auf, wie die Kinder da mit aufwachsen und irgendwie gar kein richtiges Leben haben."
    Und auch die Schauspieler haben einiges von diesem Projekt mitgenommen, verdeutlicht Rudi Hindenburg:
    "Jetzt, nachdem sich das so alles zusammengefügt hat und man dieses Spektrum gesehen hat, dass es in jedem Leistungssport auf einer gewissen Ebene gedopt wird – find ich einfach schon erschreckend. Also mir war die Dimension vorher überhaupt nicht bewusst."
    Das Finale findet dann wieder in einer der Sporthallen statt. Die Musik ist freundlich, Rollschuhläuferinnen drehen ihre Kreise, es wird getanzt. Die Hyperworld – ein Zwiespalt zwischen perfekten Augenblicken und perfekten Körpern – und einem tödlichen System.
    Was bleibt, ist ein beklemmendes Gefühl – und der Gedanke daran, dass Sport doch eigentlich Spaß macht und gesund ist.
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    Regisseur Tobias Rausch, der über 70 Interviews mit Leistungs- und Breitensportlern, Trainern, Ärzten, Managern und Dopinghändlern geführt hat, war ebenso fasziniert und teilweise schockiert wie die Zuschauer. "Wir waren selbst ganz unsicher, was uns erwarten würde." Der Sport sei ein extrem interessantes Thema für das Theater, weil er große Helden hervorbringe. "Aber von denjenigen, die vorher ausgestiegen sind, die nichts Großes erreicht haben, von denen erfährt man nichts." Die anonym geführten Gespräche seien sehr spannend gewesen. "Die Leute haben enorm offen gesprochen, weil sie anonym interviewt wurden. Es standen Karrieren auf dem Spiel, es ging um viele Tabus."
    Das vollständige Gespräch können Sie bis mindestens 17. November 2014 als Audio-on-demand abrufen.