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Theater
"Stück Plastik" - ein ziemlich guter Titel

An der Berliner Schaubühne hat Marius von Mayenburg sein neuestes Werk, das einfach "Stück Plastik" heißt, jetzt selbst inszeniert. Es ist ein Stück von heute und über uns - mit einem irgendwie recht passenden Titel.

Von Eberhard Spreng | 26.04.2015
    Eine klinische Welt, rein, weiß, leer. Hinten ein Podest mit einer weißen Einbauküche, vorne zwei hippe Polsterstühle. Heim für Künstlerassistentin Ulrike und den Chirurgen Michael. Gehobener Mittelstand, neues deutsches Spießertum. Ihr Sohn Vincent hockt an einem Tisch mit seinem Smartphone und filmt alles was geschieht. Vincent ist seelisch verwahrlost, denn seine Eltern sind permanent beruflich überfordert und haben keine Zeit für ihn. Jessica soll angestellt werden, als Haushaltshilfe. Aber da ist auch der Konzept-Action-Performing-Artist Serge Haulupa, der sich mit herrischer Pose und Hipster Bart ins Bild drängt und von einer gerade überwundenen depressiven Krise berichtet und von den Erwartungen an den Künstler im Besonderen und den coolen Typen im Allgemeinen.
    "Depression, das will man nicht, das ist zu negativ morbid, deshalb hatte ich also einen Burnout, das ist nämlich cool, ich bin über diese lächerliche Grenze namens Körper, Psyche haben wir ja keine mehr, über diese lächerliche Grenze bin ich einfach weg, ich hab nicht mehr geschlafen, das ist cool, nicht schlafen wird sehr geschätzt im öffentlichen Partydiskurs, zu viel Arbeit ist auch sehr, sehr cool, weil das ja heißt, dass man irrsinnig begehrt ist und insofern irrsinnig lebendig, am Leben, den Beweis braucht man nämlich dringend."
    Im atemlos hastigen Monolog von Sebastian Schwarz ist das Menschenbild vorgegeben, das die kleine Familie in die Neurose getrieben hat: Selbstoptimierung und Selbstüberschätzung, Mittelmaß und Wahn, Stress und Einsamkeit. Hausmädchen Jessica kommt also wie gerufen, putzt alles sofort weg, was in der Zimmerschlacht Dreck macht und dient auch als Allheilmittel für die seelischen Nöte der Kleinfamilie: Sie hilft bei den Schularbeiten und bei den Versagensängsten von Sohn und Vater, die erotisch von der unendlich geduldigen und verständnisvollen Putzfrau angezogen sind; und sie muss der ausgeflippten Kunstassistentin Ulrike als Ersatzfreundin dienen.
    In der burlesken, grell komischen und flott inszenierten Szenenfolge macht sich der inszenierende Autor über die neue Mittelschicht und ihre Doppelmoral im Berliner Prenzlauer Berg lustig: Über die Mischung von Fremdenfeindlichkeit und verdruckster Deutschtümelei, Glutenunverträglichkeit und Hygienefimmel, Standesdünkel, Konsumgier und Weltelendsbetroffenheitsgetue. So wird der von Robert Beyer gespielte Chirurg mit der heftigen narzisstischen Störung nach langem Warten endlich für eine Mission von Ärzte ohne Grenzen berufen und schafft es dann doch nicht, abzureisen, weil er seine Angst vor dem Ebola-Erreger nicht überwinden kann. Lächerlich auch die von Marie Burchard als dominante und permanent mit ihrem Mann streitende Mutter, eine junge Frau, schlank wie ein Model, leicht paranoid und panisch auf Korrektheit bedacht. Vor allem aber das provozierend selbstverliebte und am verlogenen Weltbild und der Doppelmoral der Kleinfamilie rüttelnde Salonekel Haulupa. Er ist die Karikatur eines Künstlers, der auf der modischen Oberfläche der herrschenden Krisendiskurse seinen karriereträchtigen Schaum schlägt.
    Schaum ist auch auf der großen weißen Wand immer wieder zu sehen, die das Bühnenbild nach hinten abschließt. Mal auch zeigt die Projektion den nackten Künstler von hinten in der Pose von Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer". Einmal auch kreiseln Lebensmittelverpackungen um einen Kopf wie stille Satelliten. Es gibt ein Problem mit den Bildern und Mayenburg macht sich einen grimmigen Spaß aus dem Zerbrechen der Selbstbilder und Selbsttäuschungen. Er treibt seine Farce in immer heftigere Scherze und begeistert mit seiner bösen Boulevardkomödie das Schaubühnenpublikum. All das erinnert ein wenig an Yasmina Rezas Erfolgsstück "Der Gott des Gemetzels", Theater bis an die Schmerzgrenze der Komik.
    Aber das muss irgendwo enden. Bei Jessica. Sie hat die Überheblichkeit und alle Zumutungen der Spießer und des Pseudokünstlers ertragen. Sie hat den Wohlstandsdreck und die braune Soße weggewischt, die an merde d’artiste, an Künstlerscheiße erinnern soll. Sie hat ausgeflippten Egomanen geduldig als Projektionsfläche und Punsching Ball gedient. Und jetzt hat die wunderbare Jenny König denen etwas in die Bouillabaisse getan, sie sinken in den Schlaf und halten endlich den Mund, aber Jessica entschwebt, auf einer schräg nach oben gezogenen Küche und singt "Sweet Dreams" von den Eurythmics. Auf dem Mayenburg-Boulevard geht es sehr unterhaltend und sehr komisch zu. Aber das Stück ist eindimensional; seine Figuren sind Abziehbilder, und so hat es etwas von der Supermarktware, die zum Schluss den Bühnenboden bedeckt. Der Autor weiß, dass sein Stück an dem Gegenstand kleben geblieben ist, über das er spricht. "Stück Plastik" ist ein ziemlich guter Titel.