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Theater Wiesbaden
"Frau ohne Schatten" mit sensibler Psychologie

Der neue Intendant des hessischen Staatstheaters Wiesbaden, Uwe Eric Laufenberg, wurde vor zwei Jahren wegen eines Zeitungsinterviews als Kölner Opernintendant hinausgeworfen. Als Einstandsgeschenk ohne Extrahonorar inszeniert er in Wiesbaden nun ein Werk von Richard Strauß. Mit Mut zur Empathie.

Von Christoph Schmitz | 16.09.2014
    Erst wenn die Waffen schweigen, sollte die neue Oper uraufgeführt, sollte eine neue Zeit nach dem Schrecken des Ersten Weltkriegs eingeläutet werden. Komponist Strauss und Librettist von Hofmannsthal hatten heftig mit ihrer "Frau ohne Schatten" gerungen, eine schwere Geburt war ihr Kunstmärchen um Eheglück und -unglück, um Mutterschaft und sozialen Frieden gewesen, als Strauss die Partitur 1917 fertigstellte. Als "dumpfes schweres Werk" bezeichnete Hofmannsthal sein Libretto. Die Premiere im ersten Friedensjahr, 1919, wurde zum großen Erfolg. Aber die vertrackte und symbolisch aufgeladene Geschichte der Feentochter, die als Frau eines Kaisers sich mit der Menschenwelt verbinden möchte, ist eine ziemliche Herausforderung für jede Bühne bis heute. Wenn Uwe Eric Laufenberg als neuer Generalintendant seine Amtszeit in Wiesbaden mit der "Frau ohne Schatten" beginnt, dann ist das ein Signal. Eine neue Ära soll beginnen. Und so wie er diese Strauss-Oper inszeniert hat, will er zeigen, in welche Richtung er das Musiktheater samt Stadtgesellschaft führen möchte. Er stellt das Stück nämlich vom Kopf auf die Füße. Bei ihm gibt es keinen Mystizismus, keine Feen und keinen Kaiser, dem man beim Versteinern zuschauen kann. Bei Laufenberg ist alles menschlich.
    Sensibles Ringen der Färberin um eine Entscheidung
    In ihrer modernistischen Designvilla hat der superreiche und auch mächtige Herr Kaiser seine wie ein überirdisches Wesen verehrte Frau eingesperrt. Mit dem Schmutz der Gesellschaft soll sie nicht in Berührung kommen. Unten im Keller, der wie ein Aufzug hochgefahren wird, hausen die Färber. Schmuddelig ist ihre Manufaktur. Der Färber selbst ist zwar ein lieber Kerl, aber in den Augen seiner Frau doch allzu grob und simpel. Die Färberin strebt nach Glamour, wie ihn die einschlägigen Modemagazine vorgaukeln. Das Kind, das sie erwartet, oder ihren Schatten, wie es im Märchen heißt, würde sie im Tausch gegen Luxus gern an die kinderlose Frau Kaiser aus der Villa oben abgeben. Dieser miese Handel wurde ihr angeboten. Mit welch sensibler Psychologie Laufenberg das Ringen der Färberin um eine Entscheidung zeigt, ihre heimlichen Sehnsüchte, ihre Skrupel, die Gefühle von Ekel und Rührung gegenüber ihrem Mann – das zieht den Zuschauer tief ins Gefühlsleben der Frau hinein. Man spürt in jeder Szene, dass Laufenberg auch ein Theater-Regisseur ist, der als ausgebildeter Schauspieler selbst von der Bühne kommt und die Sänger für sein Spiel gewinnen kann. Nicola Beller Carbone verkörpert die Färberin überzeugend mit dunkel eingetöntem Sopran. Sphärengleich leuchtet die Stimme von Erika Sunnegardhs Kaiserin, und ihre Amme, ein intrigantes Weibsstück, singt und spielt Andrea Baker wuchtig und expressiv. Ihrem Mezzo ringt sie gefährliche Tiefen und schrille Höhen ab. Oliver Zwarg als Färber und Thomas Piffka als Kaiser gelingt nicht immer alles, aber manches doch.
    Reichtum der Partitur mit viel Elan ausgebreitet
    Der Orchestergraben in Wiesbaden ist für diese Oper zu klein. Die Musiker müssen teils in die Logen ausweichen. Und die Akustik des schmucken Hauses ist für den üppigen Strauss-Sound eigentlich zu spröde. Dennoch breitet das Hessische Staatsorchester unter Zsolt Hamar den Reichtum der Partitur mit viel Elan aus.
    Aus der Märchenoper hat Laufenberg ein packendes Gesellschaftsstück gemacht. Die Versteinerung des Kaisers zeigt er als Versteinerung des Herzens. Der Kaiser argwöhnt, seine Frau könnte einen Geliebten haben. Darum lässt er einen Verdächtigen foltern und töten. Der Kaiser wird zum Diktator. In ihrem Dünkel sind die Vertreter aller Klassen und Schichten befangen. Die Verwandlung ist ein schwieriger Prozess. Für Empathie braucht es Mut und Moral. Nur dann kann sich ein friedliches und glückliches Gemeinwesen entwickeln – so verkündet es Laufenberg zum Auftakt seines Wirkens. Wir glauben ihm und seinen Künstlern gern.