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Theaterauszeichnung
Wolfram Höll gewinnt zum zweiten Mal Dramatikerpreis

Der Mülheimer Dramatikerpreis ist eine der begehrtesten Theaterauszeichnungen Deutschlands. In diesem Jahr konnte sich die Jury kaum entscheiden. Am Ende gewann wieder der Autor Wolfram Höll. Der 30-Jährige überzeugte mit seinem berührenden Stück "Drei sind wir".

Von Dorothea Marcus | 27.05.2016
    Der Autor Wolfram Höll.
    Wolfram Höll hat zum zweiten Mal den Mülheimer Dramatikerpreis gewonnen. (picture alliance / dpa / Horst Ossinger)
    "Bei allem Respekt vor der Könnerschaft und Brillanz von Sibylle Berg … aber der Wolfram Höll traut sich mehr. Der Dramatikerpreis 2016 im Mülheim geht an "Drei sind wir" von Wolfram Höll …"
    Es ist ein Stück wie ein Gedicht. Mit alter Schreibmaschinentypografie geschrieben, finden sich zuweilen nur ein oder zwei Worte auf der Seite. Und so wird auch formal der Sprachverlust und die Trauer eines Elternpaars beschrieben. Ihr Kind hat eine besonders schwere Form von Trisomie 21. Innerhalb eines Jahres können sie ihrem Baby buchstäblich beim Verschwinden zusehen.
    "Es ist sehr verdichtet, es ist fast lyrisch. Da tun sich wahnsinnig viele Räume auf." - "Ich finde auch, was dem Stück schön toll gelingt, ist, dass dieses Thema, was eine so gesellschaftliche Brisanz hat, wie das Paar sich auf das Verschwinden einlässt, als eine Art existenzieller Urerfahrung - das finde ich ziemlich beeindruckend."
    Die Siegerin hätte ohne Weiteres auch Sibylle Berg heißen können
    So die Juroren Anne Lenk und Benjamin von Blomberg. Damit hat der Leipziger Wolfram Höll nach 2014 bereits zum zweiten Mal den großen Mülheimer Dramatikerpreis gewonnen. Ohnehin ist der erst 30-Jährige, der heute im schweizerischen Biel lebt, einer der vielbeachteten Theaterautoren der Gegenwart. Dass das Stück aus Sieben zum Besten ernannt wurde schien am Ende fast eine Zufallsentscheidung. Zwei Stunden lang quälte sich die Jury in monologartigen Lobpreisungen jedes einzelnen Dramas. Klar war zum Schluss: Die Siegerin hätte ohne Weiteres auch Sibylle Berg heißen können, mit "Und dann kam Mirna". Ein gnadenloser und pointensicherer Blick darauf, was es für Frauen bedeutet, Mutter zu sein, im eigenen Lebensentwurf zu scheitern – und von der eigenen strebsamen Tochter als peinlich und lebensuntüchtig abgestempelt zu werden. Ungewöhnlicherweise ein als Dramenserie geplantes Fortsetzungsprojekt über Frauenbilder von heute, das dann immerhin den Mülheimer Publikumspreis gewann.
    Begeistert zeigte sich die Jury auch von Thomas Melles "Bilder von uns", das die Missbrauchsfälle am Bonner Jesuitenkolleg thematisiert, in dem auch Identität und eigene Selbstbilder verhandelt werden. Selbst jemand wie Yael Ronen, die in einer klischeeknackenden Screwballkomödie mit ihren palästinenisch-israelisch-syrischen Darstellern ihre Stücke selbst entwickelt und auf Hebräisch, Arabisch, Englisch spielen lässt, hätte Chancen auf einen Sieg gehabt. Das hätte der Frage, was eigentlich deutsche Dramatik heute bedeutet, einen ganz neuen Dreh gegeben. Daran sieht man aber wohl vor allem eins:
    Neue Dramatik hat viele Fans, das zeigen die Besucherzahlen
    "Es ist eine hohe Versalität der Ausdrucksformen zu sehen. Es gibt figurenzentrieres Erzählen, es gibt Textflächen, es gibt multiperspektivisches Erzählen, es gibt vor allem Hybride aus den verschiedenen Techniken. Wir haben es insgesamt mit einem sehr hohen Niveau an Dramatik zu tun. Das hat mit Schreibschulen zu tun, das hat auch mit veränderten Theatererfahrungen von Autoren zu tun. Autoren werden viel stärker als noch vor zehn Jahren in Theater reingezogen … und das sind sehr positive Entwicklungen."
    So der Auswahljuror Franz Wille. Was aber auch immer typischer wird für den Uraufführungswahn an deutschsprachigen Bühnen: Kein einziges der ausgewählten Dramen wurde bisher nachgespielt. Immer problematischer werde es, Medien und Publikum für Zweitaufführungen von neuen Stücken zu interessieren. Dass neue Dramatik dennoch viele Fans hat, zeigt sich an den Besucherzahlen des Stücke-Festivals in Mülheim: Mit fast 2.300 Zuschauern kam es zu fast 90 Prozent Auslastung. Und immerhin 6.000 Beobachter harrten bis tief in der Nacht beim Live-Stream der Preisdiskussion aus.