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Theaterstück über Gurlitt
Der kunstverliebte Tattergreis

Wie war er als Mensch, jener Cornelius Gurlitt, in dessen Wohnung die Staatsanwaltschaft zahlreiche Kunstwerke beschlagnahmte, die einst die Nazis geraubt hatten? Der bekannte Drehbuchautor Ronald Harwood zeichnet in seinem Theaterstück einen Gurlitt als verdreht-senilen Sonderling, einen Senior mit sexuellen Dauerfantasien. Ein nicht sehr starkes Stück, meint unser Rezensent.

Von Michael Laages | 06.10.2015
    Türschild mit der Aufschrift Cornelius Gurlitt.
    Wie war Cornelius Gurlitt? (dpa / Barbara Gindl)
    Wie im Stück über Wilhelm Furtwängler sucht Ronald Harwood auch jetzt wieder die Balance zwischen historisch hieb- und stichfesten Daten und Fakten auf der einen und persönlichen, nicht unbedingt und immer verbürgten Haltungen des Anti-Helden auf der anderen Seite. Die Welt weiß ja nicht viel über Cornelius Gurlitt, den Sohn des in die Kunst-Geschäfte der Nazis tief verstrickten Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt – also dürfen wir ihn in Harwoods biografischem Spiel auch als sonderbaren Kauz kennen lernen, der in einem der großen Zimmer der Wohnung in München-Schwabing vor Dutzenden umgedrehter Bilder wie ein altes Kind mit der Eisenbahn spielt, Schirmmütze auf dem Kopf, Signalfähnchen in der Hand, Trillerpfeife im Mund:
    Ganz zu Beginn der Aufführung krabbelt Udo Samel als Gurlitt wie ein dämonisch weiß-geschminkter Mephisto höhnisch lachend unter der Abdeckplane hervor, die über all den "geheimen Orten" liegt, wo seine, die im Auftrag der Nazis vom Vater eben doch nicht in alle Welt verkaufte Kunst vieler jüdischer Besitzer aus deutschen Museen und Sammlungen lagert ... das ist eine große Bild-Behauptung vom Regisseur Torsten Fischer. Er löst sie im Folgenden nicht ein; das Stück tut's aber auch nicht.
    Als der alte Herr Gurlitt erstmals Besuch bekommt von zwei Beauftragten der Staatsanwaltschaft in Augsburg, spielt er Frau Schmidt und Herrn Friedrich vor allem den verdreht-senilen Sonderling vor – im Unterhemd hockt er vor der Eisenbahn und räsoniert darüber, dass er auch im hohen Alter eigentlich immer nur ans "fuppen" denke; so übersetzt uns Max Faber die sexuellen Dauer-Fantasien, mit denen Harwood Gurlitt ausstattet. Das wirkt ein bisschen albern – und das soll es ja auch. So meint der Alte den Verdacht der Fahnder zerstreuen zu können: er, der sich mit viel Geschick quasi unsichtbar gemacht hat ein Erwachsenenleben lang (keine Versicherung, kein Bankkonto, keine Steuererklärung!), habe womöglich immer vom Verkauf offiziell "verschollener" Kunst gelebt. Zugleich aber kennt er sich aus mit Preisen und Währungen - mit 9.000 Euro in der Tasche (weniger eigentlich, als erlaubt ist!) war Gurlitt im September 2010 im Zug, aus Zürich kommend, dem Mann vom Zoll aufgefallen.
    Fixierung auf den übermächtigen Vater
    Gurlitts erste Befragung ist der erste Teil in Harwoods Stück, die offizielle Hausdurchsuchung (mit Abtransport der nunmehr mit dem Gesicht zum Publikum stehenden Bilder!) markiert den zweiten; unterbrochen von einer szenischen Miniatur, in der Gurlitt subtile Rache übt an einem der "Schattenhändler", die ihm so lange den illegalen Zutritt zum Markt ermöglichten – dem feinen ungarisch-stämmigen Herrn Weisz dreht er als "Geschenk" eine hoch prominente Fälschung an. Am Morgen danach, während Frau Schmidt und Herr Friedrich noch einmal zur Befragung erscheinen, ereilt Cornelius Gurlitt der Herztod.
    Bis dahin hat er permanent und penetrant die eigene Rolle gerechtfertigt – und immer wieder den geliebten Vater, der doch bloß ein treu sorgender Familienmensch gewesen sei und sich auf die Deals mit den Nazis nur eingelassen habe, um - selbst "jüdisch belastet", wie er war - nach mehreren Rausschmissen aus Museen und Kunstsammlungen die Familie durchzubringen. Harwood will wohl zeigen, wie diese Fixierung auf den übermächtigen Vater beim Sohn jeden immerhin denkbaren Zweifel an der Rechtmäßigkeit der eigenen Rolle im Umgang mit der Hehlerware überdeckt habe. Eine ziemlich pathologische Dimension kommt hinzu: Cornelius Gurlitt spricht im Stück ständig mit den Bildern, sie sind - immer wieder betont er das - "seine Familie".
    "... seid beruhigt – wenn das ganze Gerangel vorbei ist, werdet Ihr, das weiß ich, gut betreut werden ... oh meine Kinder, meine Familie!
    Das nicht sehr starke Stück ist eine Art Solo mit Stichwortgebern. Und im Zentrum der Aufführung lässt Udo Samel die Gurlitt-Figur changieren: zwischen kindischem Tattergreisentum, berechnenden Überlebens-Strategien und delirantem Wahn – wie den Juden die Bilder abgepresst wurden, so würden sie nun ihm entrissen: das sei der "neue Antisemitismus".
    Ob Gurlitt so war? Wer ihn noch kennengelernt hat, wird mehr sagen können über dieses Stück Theater. Es brilliert nicht als Inszenierung, es will auch nicht dokumentieren – es ist bestenfalls auf der Suche nach einem Menschen, den niemand versteht.