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Themenreihe Mittelpunkt Mensch
Lehrer und blind

Martin Park erkennt jeden seiner Schüler an der Stimme. Denn sehen kann er sie nicht: Der Französisch- und Erdkundelehrer ist blind. Dass er trotz seiner Behinderung an einem Gymnasium unterrichten kann, verdankt er seinem Biss - aber auch Menschen, die ihm etwas zugetraut haben. Für ihn bedeutet Inklusion daher: Fordern, aber auch gefordert werden.

Von Jan Lehmann | 23.02.2017
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    Martin Park navigiert mit seinem Blindenhund Finja durch den Schulalltag. Dabei orientiert er sich neben Finja vor allem an seinem Gehör. (Deutschlandradio / Jan Lehmann)
    "Mein Name ist Martin Park, ich bin 36 Jahre alt und komme aus Kirchheim/Teck."
    Finja, die Blindenhündin, bahnt Martin Park den Weg durch den Schulflur. Mitten durch das Gewusel aus Schülern und Lehrerkollegen.
    "Ich hab sie heute Morgen extra frisiert und die Dauerwelle wieder frisch gemacht."
    Kapuzenpulli, Jeans, Turnschuhe – Martin Park ist ein lockerer Typ. Man könnte ihn glatt für einen Sportlehrer halten. Zielstrebig und flott navigiert er mit seinem Hund durchs Schulgebäude. Dabei orientiert er sich neben Finja,vor allem an seinem Gehör.

    "Die Säule hört man ganz gut. Runde Sachen werfen normalerweise den Schall nicht so gut zurück, aber die ist ganz gut zu hören, weil sie vor einem kontrastreichen Hintergrund steht. Ansonsten hört man noch die Feuertür jetzt, die Einengung"
    Martin Park erkennt seine Schüler an der Stimme
    Angekommen im Klassenzimmer. Fünfte Stunde, die 9A hat Französisch. Finja rollt sich in ihr Körbchen hinter dem Lehrerpult. Martin Park klappt seinen Laptop auf und schaltet den Beamer über der weißen Tafel ein. Eine Schülerin kommt zu spät. Doch reinschleichen hat keinen Zweck.

    "Bonjour. Quest’qui c’est passé? (Lachen) Pourquoi est-ce-que tu es en rétard?"
    Martin Park entgeht kaum etwas. Er erkennt seine Schüler an der Stimme.
    "J’ai été au toilette. Très bien. Vous prenez s’il vous plait "
    "Ich bin ursprünglich zur Schule erst in eine besondere Blindenschule gegangen, hab das dann irgendwann gelassen, weil mir das nicht mehr gefallen hat und lag meiner Mutter in den Ohren, dass ich doch mit normal sehenden Kindern beschult werden möchte. Und hab dann mein Abitur am Ludwig-Uhland-Gymnasium gemacht hier in Kirchheim. Damals war das absolut exotisch."
    Laptop statt Kreidetafel
    Trotzdem, er biss sich durch, wollte behandelt werden wie alle anderen, soweit wie eben möglich. Genau das hatte auch seine Mutter früher von ihm gefordert:

    "Sie hat dann gesagt beispielsweise: Du kannst zwar nicht sehen, aber ich erwarte von dir, dass du dein Bett machst und dass du es auch selbst beziehst. Also die hat da keinen Unterschied gemacht - und das war das Beste, was mir hat passieren können."

    Statt einer Kreidetafel benutzt Martin Park einen speziellen Laptop. Der wandelt ihm die Texte auf dem Bildschirm in Braille-Schrift und in gesprochene Sprache um. Ein Beamer projiziert Texte und Bilder auf die weiße Tafel im Klassenzimmer.
    "Eine Stunde, die funktioniert, ist wie ein Kick"
    "Also, am Anfang war ich schon ein bisschen aufgeregt. Ich hab mich gefragt, wie wird das so sein? Auch mit dem Melden, aber dann, nach dem ersten Unterricht, fand ich das gar nicht schlimm und ich fand‘s halt voll normal. Das ist jetzt nichts anderes wie in einem anderen Unterricht für uns. Deswegen klappt das sehr gut mit ihm", sagt ein Schüler.
    Eine Assistentin unterstützt Martin Park beim Unterricht. Zum Beispiel, indem sie Schülerinnen und Schüler dran nimmt, die sich melden. Doch der Lehrer hat da auch seine eigene Methode: Den Meldeball. Die Schüler werfen sich einen kleinen Ball zu und nehmen sich so nacheinander selbst dran.

    "Ne Stunde, die funktioniert, ist wie ein Kick auch. Also man schwebt da so ein bisschen auf Wolke Sieben, wenn man gemerkt hat, da kam jetzt was bei rum, den Schülern hat’s auch noch ein bisschen Freude gemacht."
    Die Freiheit, seinen eigenen Weg zu gehen
    Martin Park hat an der Uni Freiburg Französisch und Geografie studiert.
    "Ich hatte an der Uni Professoren, die waren sehr aufgeschlossen, ich hatte welche, die konnten sich das gar nicht vorstellen, besonders in der Geografie. Sie standen aber damals auf dem Standpunkt, sie haben gesagt: Wir lassen ihn mal machen, wir gucken mal, was dabei rauskommt, wir prüfen ihn ganz normal. Und wie er das macht, ist uns im Prinzip egal. Und das war eine Haltung, die mir sehr zu Pass kam.
    Also beispielsweise habe ich dann immer die Arbeit der anderen übernommen, die Protokolle von irgendwelchen Lernsitzungen zu schreiben – das hat mir die Möglichkeit gegeben, mir die Texte vorlesen zu lassen."
    Rückschläge wegstecken, Kompromisse eingehen
    Und so hat Martin Park immer irgendeinen Weg gefunden, sich in einer sehenden Gesellschaft zurecht zu finden. Auch wenn er dabei durchaus mal Rückschläge einstecken musste.
    "Ich hab das dann mit dem privaten Bereich wieder wettgemacht. Ich hatte sehr gute Kletterfreunde damals, war sehr viel klettern im Schwarzwald und in den Alpen. Und habe in dem Bereich auch sehr viel sportliches Selbstvertrauen tanken können, und hab das übertragen auf meinen Alltag. Wie es in der Klettertour eben auch ist: Man guckt sich den nächsten Schritt an und denkt sich: ach, das wird schon irgendwie werden."
    Und manchmal hilft auch Humor. Zum Beispiel, wenn der Beamer im Klassenraum mal wieder nicht funktioniert.
    "Ah, la Technique! Toujours la technique "
    Einen blinden Lehrer aufzunehmen, das war für die Schule schon eine ganz schöne Herausforderung, sagt Lucia Heffner, die Leiterin des Kirchheimer Schlossgymnasiums. Aber letztlich ein Gewinn.
    Fordern, aber auch gefordert werden
    "Ne Herausforderung dahingehend, dass man natürlich die Räumlichkeiten, die ganze Logistik für ihn abstimmen musste. Und auf der anderen Seite ein Gewinn für alle Schüler, die sehen, dass man mit einem Handicap im eigenen Leben seinen Mann stehen kann und wirklich auch gute Arbeit leisten kann, und das find ich wunderbar."
    Dass Martin Park heute als Lehrer arbeitet, verdankt er Menschen, die ihm etwas zugetraut haben, sagt er, die aber gleichzeitig auch etwas von ihm gefordert haben.
    "Und deswegen ist diese Inklusionsgeschichte auch keine Sache, die allein von außen herangetragen wird, sondern es ist auch an den behinderten Menschen, sag ich mal, auch zu sagen: Ich möchte es auch schaffen und ich möchte auch Unwägbarkeiten mit in Kauf nehmen. Ich muss Kompromisse eingehen, ich muss mich aus meiner Komfortzone heraus bewegen und die Gesellschaft muss mir andererseits auch die Chance lassen, dass ich das auch ausleben darf."