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Theologe fordert "Kultur des Zuhörens" in der Kirche

Nach dem angekündigten Rücktritt von Benedikt XVI. sei davon auszugehen, dass ein neuer Papst sein Amt anders ausüben werde als sein Vorgänger, sagt der Theologe Otto Hermann Pesch. Einfach nur die Tradition hochzuhalten, reiche nicht. Wichtig sei eine stärkere Einbindung der Bischöfe bei Entscheidungen.

Das Interview führte Matthias Gierth | 13.02.2013
    Matthias Gierth: Herr Professor Pesch, dass ein Papst theoretisch zurücktreten kann, war in der katholischen Kirche bekannt. Ganz praktisch hat diesen Schritt schon einmal Cölestin V. im Jahr 1294 vollzogen. Ist Coelstins Rücktritt aber überhaupt mit dem angekündigten Rücktritt Benedikts XVI. vergleichbar?

    Otto Hermann Pesch: Die Gründe waren damals bei Cölestin V. sicher andere. Er war ja ein Benediktinermönch und lebte als Einsiedler und hat sich immer gewehrt gegen die Papstwahl. Dann war eine seiner ersten Amtshandlungen, dass er erstens eine neue Konklave-Ordnung ins Werk setzte und rechtskräftig machte – und zweitens eine Rücktrittsordnung. Und nach dieser Rücktrittsordnung, die gilt bis heute, kann ein Papst zurücktreten. Aber nach Cölestin V. 1294 hat das bisher kein Papst mehr getan.

    Gierth: Das sind also 720 Jahre ungefähr, die dazwischen liegen. Für wie kirchenhistorisch symbolträchtig halten Sie daher den Schritt von Benedikt XVI.?

    Pesch: Symbolträchtig insofern, als damit klar gemacht wird, der Papst ist erstens Bischof von Rom – das bleibt er auch als Rücktritt und bleibt immer Alt-Bischof von Rom jetzt. Aber das Papstamt ist eine zusätzliche Aufgabe, die er als Bischof von Rom übernimmt. Und die ist keineswegs unbedingt lebenslang.

    Gierth: Nun bringt ein Papst, der zurücktritt, aber ja auch zum Ausdruck, dass er ein eher funktionales Verhältnis zum Papstamt hat. Erleben wir gerade so etwas wie eine Entmystifizierung des Papsttums und damit geradezu eine Revolution in der katholischen Kirche?

    Pesch: Revolution ist vielleicht ein zu großes Wort insofern das Kirchenrecht diese Möglichkeit ja immer angeboten hat. Aber eine Entmystifizierung würde ich auch schon sagen. Es war ja auffällig in Befragungen von Straßenpassanten, die der Auffassung waren: Ja, ein Papst ist doch lebenslang Papst. Nein, ein Papst ist lebenslang Bischof, das kann ihm niemand nehmen. Aber das Papsttum ist ein zusätzlicher Auftrag an den Bischof von Rom und der kann auch wieder beendet werden, nicht nur durch den Tod.

    Gierth: Aber ist es nicht höchst erstaunlich, dass ausgerechnet der im katholischen Traditionalismus so stark verhaftete Joseph Ratzinger diesen Schritt hin zu einer Entmystifizierung des Papsttums geht?

    Pesch: Ich vermute, er würde das gar nicht eine Entmystifizierung nennen, sondern ganz einfach einen normalen im Kirchenrecht und auch in der Kirchengeschichte immer vorgesehenen Vorgang. Dass es de facto, so wie das Papsttum sich vor allem seit dem 19. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert entwickelt hat, sozusagen etwas der Nimbus des Papsttums weg ist, wenn ein Papst etwa so wie der Manager eines großen Betriebes zurücktreten kann. Das ist wohl nicht zu bestreiten. Wie sich das stimmungsmäßig auswirkt, das wage ich heute noch gar nicht vorauszusagen.

    Gierth: Nun waren Pontifikatswechsel in der Geschichte der katholischen Kirche ja relativ häufig auch entscheidende Zäsuren. Wie würden Sie die Schwelle beschreiben, an die die katholische Kirche mit den jüngsten Ereignissen getreten ist?

    Pesch: Dass ein neuer Papst vor einer Aufgabe steht, die er anders anracken muss, als es bisher Benedikt XVI. gelungen ist, davon gehe ich aus. Einfach nur zu sagen, wie müssen die Tradition hochhalten, wir dürfen nichts dem Relativismus überantworten, das allein genügt nicht, wenn man die Fragen heutiger Gläubigen – wohlbemerkt nicht nur an Strukturen und Verfahrensweisen der Kirche und an Missbrauchsfälle, sondern eben auch an eine neue Art, wie wir heute vom Glauben reden müssen, wenn das also jetzt wirkliche Erwartungen an den neuen Papst sind, dann muss das ein anderer Stil des Pontifikates und mit anderen Schwerpunkten werden als wir es von Benedikt XVI. kennen, der ja als Theologe und eben auch als Vertreter einer ganz bestimmten kirchenpolitischen Richtung hohen Respekt verdient. Aber so alleine kann es nicht weitergehen.

    Gierth: Das Papstamt hat im Laufe der Geschichte sehr vielfältige Formen angenommen. Wie veränderungsfähig ist das Papstamt heute grundsätzlich?

    Pesch: Es ist in seinen äußeren Erscheinungsformen und in all dem, was rein menschliches Recht ist, unbegrenzt veränderlich. Das hat schon das II. Vatikanische Konzil ja ausdrücklich so formuliert, vor allem im Blick auf die Ökumene. Alles, was in der Kirche menschliche Einrichtung ist, muss verändert werden, wenn es nicht mehr den Anforderungen der Situation entspricht.

    Gierth: Lassen Sie uns noch einmal über einen modernen Petrus-Dienst grundsätzlich sprechen. Wie könnte, wie sollte er aufgestellt sein?

    Pesch: Es muss noch viel mehr eine Kultur des Zuhörens in der Kirche einziehen. Und das ist mindestens genauso wichtig, wie die berechtigten Formen nach Veränderung von veralteten Strukturen im kirchlichen Gemeinschaftsleben.

    Gierth: Welche Rolle muss in einem modernen Petrus-Dienst die Kollegialität der Bischöfe spielen?

    Pesch: Ja, das ist ein ganz wichtiges Problem. Es ist im Konzil ganz klar von der Kollegialität der Bischöfe in der Leitung der Kirche zusammen mit dem Vertreter des Petrusamtes ist Rede. Das hat große Kämpfe gekostet, das durchzusetzen auf dem Konzil. Dann hat Papst Paul VI. diese regelmäßigen Bischofssynoden alle fünf Jahre einberufen. Was daraus geworden ist, kann man unter diesem Gesichtspunkt nur bedauern. Es waren Plauderstündchen unter den Bischöfen nach voraus formulierten und eingereichten Statements vor den Augen des schweigenden Papstes. Und erst Benedikt XVI. hat überhaupt auf den Bischofssynoden mal wenigstens ansatzweise Diskussion nicht nur zugelassen, sondern eben auch gefördert. Das muss in der Richtung weitergehen und zwar in einer Richtung, dass dadurch auch wirklich Mitverantwortung, auch entscheidende Mitverantwortungen der Vertreter der Bischöfe aus der ganzen Welt wird – und nicht mehr alles nur bei einsamen Entscheidungen aus eine römischen Behörde abgesegnet durch den Papst bleibt.

    Gierth: Nun ist der Petrus-Dienst in seiner heutigen Form ja trotzdem auch das größte ökumenische Hindernis auf dem Weg zu einer Einigung der Kirchen. Könnte einen das auch an der Aufgabe und Rolle eines Petrus-Dienstes insgesamt zweifeln lassen oder ist der wesensnotwenig für die katholische Kirche?

    Pesch: Ich würde schon meinen, er ist für die katholische Kirche wesensnotwendig. Aber die Art, wie er ausgeführt wird, die muss natürlich Ökumene verträglich sein. Es gibt ja auch auf evangelischer Seite Stimmen, die jetzt nicht sagen, wir brauchen den Petrus-Dienst des Papstes, die aber doch sagen, wir müssen darüber nachdenken, ob es nicht so etwas geben kann und muss, wie ein Amt der ökumenischen Einheit. Aber ich meine, die erste Bringschuld in dieser Richtung für einen Ökumene tauglichen Petrus-Dienst, die erste Bringschuld hat jetzt erst einmal Rom.