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Theologie
"Die Geburt des Monotheismus im alten Iran"

Der Religionswissenschaftler Harald Strohm geht in seiner neuen Untersuchung den Ursprüngen des Monotheismus im alten Iran vor gut 3000 Jahren nach, und er legt dabei eine fesselnde und aktuelle Deutung dieser historisch fernen Vorgänge vor.

Von Manfred Schneider | 11.09.2014
    In den vergangenen Jahren hat sich in Deutschland eine lebhafte Debatte über den Ursprung und die kulturellen Wirkungen der monotheistischen Religionen entwickelt. Der Ägyptologe Jan Assmann eröffnete in seinem Moses-Buch von 1998 die Diskussion mit der These, dass der Monotheismus durch seine Unterscheidung zwischen wahren und falschen Göttern sowie der eifernden Verfolgung der Abtrünnigen tendenziell gewalttätig ist. Einen weiteren Beitrag lieferte Peter Sloterdijk, der die Gemeinschaftsbildung monotheistischer Religionen als Politik "totaler Mitgliedschaft" beschrieb. Ohne unmittelbar an diese Debatte anzuknüpfen, lenkt jetzt der Religionswissenschaftler Harald Strohm erneut den Blick auf die Ursprünge des Monotheismus im alten Iran vor gut 3000 Jahren, und er legt dabei eine fesselnde und aktuelle Deutung dieser historisch fernen Vorgänge vor. Sein Befund lautet: Der altiranische Einzelgott Ahura Mazda, der von dem Propheten Zarathustra eingeführt wurde und den dann andere monotheistische Religionen kopierten, ist seiner Herkunft und seinem Wesen nach ein Neurotiker und hat damit seinen Anhängern eine drückende Last auferlegt.
    Es ist nicht ganz neu, dass psychologische und psychoanalytische Begriffe in die Deutung religiöser Vorstellungen und Überlieferungen eingeführt werden. Sigmund Freud ging mit seiner Untersuchung "Der Mann Moses und die monotheistische Religion" aus dem Jahr 1939 voran. Freud sah bereits, dass die Kulturen des Gesetzes und des Triebverzichts eine unbehagliche Lebensform gewählt haben. Eine solche Entscheidung, das zeigt Harald Strohm, lässt sich auch in der Vorgeschichte des ersten monotheistischen Kultes erkennen, der mit dem Namen Zarathustras verbunden ist. In seiner Nachfolge haben alle Einzelgötter eine düstere Miene angenommen und fühlen sich mit ihren Anhängern in der Welt unbehaglich.
    Es ist in der Religionswissenschaft unumstritten, dass die vom Propheten Zarathustra gestiftete altiranische Religion des einen Gottes Ahura Mazda in vielerlei Hinsicht mit der altindischen Vielgötterreligion verwandt ist, die in der Liedersammlung des Rigveda überliefert ist. Was aber ist geschehen, dass sich aus der munteren Götterfamilie der altindischen Welt der düstere, eifernde Ahura Mazda und später der israelische Jahwe, der Christengott und der gestrenge Allah entwickelten? Warum setzte sich mit ihnen die Vorstellung durch, dass die Welt, die doch aus Götterhand hervorging, misslungen ist? Alle monotheistischen Religionen pflegen ja die Sicht, dass die Schöpfung durch den Auftritt des Bösen verdorben ist und dass es eines Erlösers bedarf, um die alte zeitlose paradiesische Welt wiederherzustellen.
    Psychologischer Anteil an der Welterzeugung
    Die Welt der rigvedischen Überlieferung war noch nicht erlösungsbedürftig. Vor allem die Kinder der Göttin Aditi waren munter und lebendig und gewannen die Herzen der Menschen. Sie erschufen eine heitere diesseitige menschliche Welt. Allerdings darf man sich dieses "Erschaffen" nicht als Geste von Demiurgen oder Titanen vorstellen. Vielmehr waren diese Götter, die Adityas Agni, Soma, Indra, Mitra und Varuna, kleine Kinder. Daher ist ihr Anteil an der Welterzeugung nicht kosmologisch, sondern psychologisch:
    "Die kleine Rasselbande der Adityas repräsentierte jene Folge frühkindlicher Erlebnisschichten, in denen sich unsere, die menschliche Welt während der ersten Lebensjahre Zug um Zug eröffnete und zu ihrem jetzigen Zustand ausdifferenzierte. Und man sieht aus dieser Perspektive sofort, warum sie als Söhne der stillenden Aditi galten: Ohne die aditihaft-mütterliche Kraft zu binden und zu nähren, irgendwann aber auch loszulassen, wären solche Schöpfungswunder nicht möglich gewesen." (S. 32)
    Dies ist die These des Buches. Die Götter der altindischen und altiranischen Kultur waren keine Götzen, sondern verkörperten frühkindliche Entwicklungsstufen. Dies wird in überzeugenden Analysen und in Seitenblicken auf die Entwicklungspsychologie gezeigt. Die drei Kindgötter Agni, Soma und Indra gehörten noch der präverbalen Erlebniswelt an, während die beiden älteren Mitra und Varuna bereits in die sprachlich geformte reifere Phase eingetreten waren.
    Auf dem Weg in die Sprache, so zeigt die Kinderpsychologie, kann aber auch etwas schiefgehen, und dies scheint mit dem älteren Varuna passiert zu sein. Anders als sein munterer Bruder Mitra war Varuna ein isolierter, verstörter, modern gesprochen: neurotischer Gott. Doch erlaubte es die Nähe zu seinen Brüdern, das Beunruhigende an ihm und entsprechend die Störungen im Alltagserleben der Religionsgemeinschaft zu lindern oder zu therapieren.
    Alleinherrscher der Götterwelt
    Diese Familienkonstellation findet sich ähnlich auch in der altiranischen Religion, die in den sogenannten Gathas des Zarathustra überliefert ist. Doch hier hat sich unter der Führung Zarathustras ausgerechnet der dem neurotischen Varuna entsprechende Gott Ahura Mazda nach und nach zum Alleinherrscher in der Götterwelt erhoben:
    "Schon in den alten Mythen des Rigveda hatte Varuna die Freundschaft der anderen Götter ja nie von sich aus gesucht. Es waren stets sie, die ihre therapeutischen Freundschaftsdienste an ihn herantrugen. Jetzt aber, bei Zarathustra [...] wurden Varunas Blockaden, seine Kontaktscheu und Einzelgängerei dominant, ja heilig - und die anderen Götter daher im Tunnelblick des Monomanen ausgeblendet und links liegen gelassen [...]."
    Diese neue Welt des Ahura Mazda ist therapieresistent und daher erlösungsbedürftig, und die Erlösung kam in Zarathustras Prophezeiungen durch eine Verschiebung zustande: Die alte heitere Welt der Adityas wurde aus der Jetztzeit in eine paradiesische Zukunft verlagert, und die Anhänger dieser neuen Religion hatten alle Hände voll zu tun, um dem übellaunigen, rachelüsternen Ahura Mazda angenehm zu sein. Auch in Ahura Mazda erkennt der Religionspsychologe das verstörte Kind, das jedoch schamvoll auf seine triebungehemmte Kindheit zurückblickt. Und mit ihm wurde das Heil nicht mehr in der Herzlichkeit und therapeutischen Kraft der Mitgötter gesucht, sondern in einer zukünftigen erlösten Welt.
    Es bleibt ein Rätsel, warum sich die Gründer und Anhänger der monotheistischen Kulturen von den fröhlichen, diesseitigen Götterwelten abgekehrt und den jenseitsorientierten, düsteren Verheißungen zugewandt haben. Noch in unseren Tagen - blicken wir in die Kampfgebiete des Nahen Ostens, aber auch in manche Moscheen mitten in Europa -, so scheinen Diesseitsverachtung, blinder Eifer, Hass auf fremde Religionen wieder weltweit die Gemüter zu ergreifen. Ausgerechnet vom Boden des einstigen Ostiran, dem heutigen Afghanistan, nahm dieses Einzelgöttereifertum einmal seinen Ausgang und wütet dort heute mit neuem religiösem Eifer weiter. So lässt uns dieses Buch aus tiefer Vergangenheit in unsere Gegenwart blicken, wo so viele Kriege im Namen von Einzelgöttern geführt werden. Zugleich erinnert Harald Strohms heiter gestimmte, ebenso gelehrt wie leicht geschriebene Darstellung eines welthistorischen Umbruchs in der Götterwelt vor 3000 Jahren selbst an die verlorene Epoche der kindlichen fröhlichen Götter. Durch das Buch weht Friedrich Nietzsches Seufzer über die monotheistische Einzelherrschaft und Moralmonotonie aus dem Buch "Der Antichrist": "Zwei Jahrtausende beinahe und nicht ein einziger neuer Gott".
    Harald Strohm: "Die Geburt des Monotheismus im alten Iran. Ahura Mazda und sein Prophet Zarathustra."
    Paderborn: Wilhelm Fink Verlag 2014, 49,90 Euro