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Theresa May
Last Woman Standing

Ein weitgehend unbeschriebenes Blatt war Theresa May 2010, bevor sie britische Innenministerin und dann Premierministerin wurde. Nun regelt sie den Austritt des Großbritanniens aus der EU. Die Journalistin Rosa Prince hat die erste Biographie über May vorgelegt - Annäherung an eine Unbekannte.

Von Sandra Pfister | 13.12.2018
    Die neue britische Premierministerin Theresa May bei ihrer ersten Ansprache vor dem Regierungssitz Downing Street Nr. 10.
    Großbritanniens Premierministerin Theresa May bei ihrer ersten Ansprache vor dem Regierungssitz Downing Street Nr. 10. (picture alliance / dpa / Andy Rain)
    Theresa May wird nachgesagt, schon als Schülerin eine große politische Karriere vor Augen gehabt zu haben. Ihr Cousin behauptet, sie habe schon in der Oberstufe die erste weibliche Premierministerin Großbritanniens werden wollen. May blieb offenbar lange die einzige, die von ihrem politischen Talent überzeugt war. Die Autorin ihrer Biographie, eine ehemalige Politik-Redakteurin des britischen "Telegraph", zitiert als frühen Beleg, wie in ihrer Schule eines Tages die nahenden Unterhauswahlen simuliert wurden. Theresa May verlor als Teenager-Kandidatin der Konservativen gegen die weitaus beliebtere Schulsprecherin Rosalind Hicks-Greene, die für die Liberalen antrat. Hicks-Greene wird mit den Worten zitiert,
    "Es war nicht schwer, Theresa zu schlagen. Sie hatte nicht besonders viel Ausstrahlung."
    Mit diesem Bild schlägt May sich bis heute herum. Während die so genannte "goldene Jugend" der Konservativen, der gut vernetzte und elitäre Oxford-Zirkel um David Cameron und George Osborne, innerhalb der Partei-Maschinerie rasch und reibungslos aufsteigt, geht sie nach dem Geografie-Studium, auch in Oxford, die Ochsentour.
    Späte politische Karriere
    Erst mit 40 Jahren wird sie zum ersten Mal Abgeordnete im Unterhaus. Ein netter Mann, keine Kinder - was später noch zum Politikum werden wird-- lange traute kaum jemand der blassen May mehr zu als einen zweitrangigen Ministerposten.
    Das einzig auffällige an ihr waren ihre Pumps mit Leopardenmuster. Diese kleine Exzentrik ist der Köder, den sie politischen Beobachtern und Journalisten seit Jahren hinwirft, um sie von persönlicheren Fragen abzulenken.
    Gerade Theresa Mays Blässe, ihre Reputation als loyales Arbeitstier, das Empfänge und Partys nicht mag und über keine Hausmacht verfügt, qualifizierte sie am Ende für einen Job im Kabinett Cameron, so schildert es ihre Biographin Rosa Prince.
    May entpuppte sich als "Law-and-order-Frau"
    Cameron und Osborne, Premierminister und Finanzminister, brauchten dringend noch eine Frau im Kabinett. Für May, die nicht zu ihrem engen Netzwerk zählte, war der Schleudersitz des Innenministeriums gerade gut genug. Das Amt pflegt seine Inhaber zu verschleißen.
    "Die Beförderung lag nicht auf der Hand. In den Jahren zuvor war May als 'safe pair of hands' gesehen worden, als solide Wahl, die etwas wegschafft, aber nicht als Schwergewicht; ganz sicher nicht als jemand für einen der herausforderndsten und einflussreichsten Jobs in der Regierung."
    May entpuppte sich im Amt als "Law-and-order-Frau", die immer härtere Ziele zur Eindämmung der Einwanderung ausgab und übrigens nie einhalten konnte. Im Juli 2013 beispielsweise kam heraus,
    "...dass das Innenministerium LKW gemietet hatte, die mit der Aufschrift 'Go home' durch sechs Londoner Stadtbezirke fuhren, in denen besonders viele illegale Einwanderer wohnten. Als das bekannt wurde, gab es einen Aufschrei der Empörung."
    Die moderaten Projekte der Innenministerin May sind weniger bekannt: dass sie härtere Gesetze gegen häusliche Gewalt und psychischen Missbrauch forderte oder die Polizei zu Reformen zwang, als bekannt wurde, wie sehr diese von rassistischen Vorurteilen gegenüber Schwarzen durchsetzt war.
    Margaret Thatcher war eisern - Theresa May ist stählern
    May war am Ende nach sechs Jahren die an der längsten dienenden Innenministerin, die das Land seit 60 Jahren gehabt hatte – aber sie blieb vom "inner circle" des Premierministers ausgeschlossen. Das schwierige Ressort habe May verhärtet, führt Rosa Prince an. Unnahbar, uncharismatisch, hart: Ohne diese Attribute scheint man in Großbritannien nicht Premierministerin werden zu können. Margaret Thatcher mag die Eiserne Lady gewesen sein, Theresa May wird hier als stählern beschrieben.
    "Für eine Frau, deren öffentliches und privates Bild vor allem von Höflichkeit und Zurückhaltung geprägt ist, hat Theresa May eine unglaubliche Menge beschädigender und eigentlich nicht angemessener Kämpfe gesucht. [...] Wenn sie sich einmal über jemanden aufgeregt hatte, würde sie immer Rache suchen. Ihr Groll konnte Jahre andauern."
    So verstehen Insider die demütigende Entlassung von George Osborne als Schatzkanzler im Juli 2016 als Theresa Mays privaten Rachefeldzug gegen all die Tory-Männer, die sie 20 Jahre lang herablassend behandelt und ausgeschlossen hatten. Man vermisst Warmherzigkeit an ihr.
    Mit Maggie Thatcher verbindet May Unerbittlichkeit und Härte im politischen Stil, mit Angela Merkel die Herkunft als Pfarrerstochter. "The vicar’s daughter" zu sein, ist der Teil ihrer Vergangenheit, den sie selbst noch am ehesten preisgibt. Ihre bescheidene Herkunft - noch Mays Großeltern haben als Dienstpersonal gearbeitet – kontrastiert mit der vieler im konservativen Establishment. Die Autorin zeichnet das Bild einer Pfarrerstochter und eines Einzelkindes mit enger Vaterbindung, das immer sehr kontrolliert war und - einsam.
    Als Überlebende in einem Machtkampf kam sie an die Spitze
    Abgesehen von solchen semi-privaten Erkenntnissen gelingt es der Autorin dennoch nur ansatzweise, hinter das Pokerface der Premierministerin zu schauen. Damit ist sie nicht die Einzige. Dass eine zwar kluge, aber lange Zeit eher unscheinbar wirkende Politikerin jetzt das Vereinigte Königreich regiert, ist, darin sind sich viele Befragte einig, im Wesentlichen dem Umstand zu verdanken, dass sie "the last woman standing" war. Die letzte Überlebende in einem bitteren Machtkampf.
    "Was alle total schockierte, war die Geschwindigkeit, mit der alle ihre Rivalen, einer nach dem anderen, in einem chaotischen Blutbad aus Anschuldigungen, Gegenangriffen und Betrug umfielen. [...] In dieser Situation wurde jemand Zuverlässiges gebraucht [...]. Es war Zeit, dass das 'U-Boot' aus der Tiefe auftauchte."
    Die Biographin tut leider wenig, um herauszuarbeiten, was uns Europäer so brennend interessiert: Warum May von einer moderaten "Remain-Befürworterin" zu einer Advokatin eines "hard Brexit" werden konnte.
    "Alles in allem hat sie am Ende den Verbleib in der EU unterstützt, aber sie war nie eine passionierte Europa-Liebhaberin."
    In dem Buch steht nicht viel, was aufmerksame britische Zeitungsleser nicht schon wissen könnten. Prince hat nur wenige neue Quellen aufgetan, aber gründlich und solide recherchiert und eine ansprechende und gut lesbare Biografie geschrieben. Dass sie keine Überraschungen präsentieren kann, liegt wohl am Charakter der britischen Premierministerin. Oder, wie es ein britischer Zeitungskollege schrieb: Das Rätsel dieser Frau ist, dass es keines gibt. Sie ist eine Sphinx ohne Rätsel.
    Rosa Prince: "Theresa May: The Enigmatic Prime Minister."
    Biteback publishing 2017, 416 Seiten, 20 Pfund.