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Thierse: Demokratischer Machtwechsel in Georgien ist ein "erstaunlicher Vorgang"

Das Bündnis "Georgischer Traum" hat die Parlamentswahlen gewonnen und Präsident Micheil Saakaschwili eine Niederlage zugefügt. Das sei ein "überraschendes Ergebnis", findet SPD-Politiker Wolfgang Thierse. Die Politiker vor Ort müssten nun lernen, wie man mit der Machtteilung umgeht.

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Jürgen Liminski | 08.10.2012
    Jürgen Liminski: Das Oppositionsbündnis Georgischer Traum des Milliardärs Bidsina Iwanischwili hat das Machtmonopol von Präsident Sakaschwili gebrochen, die Demokratie hat gesiegt. Oder gibt es neue Sorgen mit dem Sieg des Oligarchen? Die Frage geht an Wolfgang Thierse, der gestern Abend von einer Reise durch Georgien zurückgekehrt ist. Zunächst mal guten Morgen, Herr Thierse!

    Wolfgang Thierse: Guten Morgen, Herr Liminski.

    Liminski: Herr Thierse, war es eine Reise durch ein demokratisches Land? Haben Sie den Eindruck, dass die Demokratie fest etabliert ist in Georgien?

    Thierse: Ich habe in den vergangenen Tagen mit sehr vielen Leuten gesprochen – nicht nur mit Politikern, denn das würde ein verzerrtes Bild geben, sondern mit jungen Leuten, mit Menschenrechtsorganisationen, mit Kulturleuten, mit Religionsvertretern -, und das Ergebnis ist: Das ist ein erstaunlicher Vorgang, dass da durch eine demokratische Wahl ein Machtwechsel stattfindet. Im Vergleich zu den meisten anderen ehemaligen Sowjetrepubliken ist das wirklich erstaunlich. Aber es gibt natürlich noch irrsinnig viele Probleme: Der Wahlkampf war nicht nur fair, um es freundlich auszudrücken. Am Wahlkampf gab es auch den Versuch und teilweise den erfolgreichen Versuch von Wahlfälschung. Aber es bleibt unter dem Strich doch das überraschende Ergebnis, dass da eine regierende Partei abgewählt worden ist, dass eine Bevölkerung ihre Unzufriedenheit mit dem bisherigen Regime ausdrücken konnte und wählen konnte, und das sollte man wie gesagt in einem relativen Vergleich doch auch positiv bewerten.

    Liminski: Nun hat ein Oligarch mit vielen Versprechen Hoffnungen geweckt. Sind die Perspektiven nicht zu sehr auf diesen einen Mann konzentriert und gefährdet das nicht die Institutionen der Demokratie?

    Thierse: Das ist absolut eine richtige Beobachtung. Ich habe viele gefragt, warum habt ihr Iwanischwili gewählt, ihr wisst doch gar nicht so genau, was er eigentlich vorhat, und da wurde mir gesagt, er ist ein guter Mensch, er ist ein großer Wohltäter in den vergangenen Jahren, er hat seinen immensen Reichtum tatsächlich auch fürs Gemeinwohl eingesetzt, er hat viel gestiftet, er hat in die Landwirtschaft Geld gegeben, er hat Gebäude gebaut, er hat Bildungsvorgänge unterstützt, das zählt, aber natürlich wissen wir, in einer Demokratie geht es um die Institutionen, geht es um Parteien, geht es darum, dass möglichst viele sich an ihr beteiligen, und es wird ein offener Prozess sein, ob diese, im Grunde im letzten halben Jahr gegründete Partei im europäischen Sinne oder Bewegung, wie sie sich weiterentwickeln wird und ob daraus eine wirklich demokratisch strukturierte Partei werden kann.

    Liminski: Iwanischwili wird ja nachgesagt, er wolle nächstes Jahr mit seiner Partei auch das Präsidentenamt erobern. Ist da nicht ein Trend zu einem neuen Machtmonopol?

    Thierse: Das wird man sehen. Zunächst einmal ist es ja überraschend – ich habe mit beiden gesprochen, mit dem jetzigen Staatspräsidenten Sakaschwili wie mit Iwanischwili -, beide beteuern, dass sie eine sachliche, faire Kohabitation eingehen wollen, was immerhin ja schon viel ist, dass da eine Art von Machtteilung stattfindet. In einem Jahr wird eine andere Verfassung in Kraft treten, nach der der Ministerpräsident und das Parlament viel mehr Rechte haben werden als jetzt. Jetzt ist der Staatspräsident der absolut Mächtige. Das wird sich verändern und deswegen bin ich nicht sicher, ob Iwanischwili in einem Jahr Präsident werden will, wo er dann, nach der Verfassungsänderung, als Ministerpräsident tatsächlich mehr Macht hat.

    Liminski: Iwanischwili hat sein Geld in Russland gemacht. Wie beurteilen Sie nach Ihren Gesprächen den künftigen außenpolitischen Kurs Georgiens? Es gibt hier und da die Befürchtung, Tiflis könnte wieder in den Einflussbereich, ja den Machtsog Moskaus geraten.

    Thierse: Wenn man dort ist, begreift man, aus der geopolitischen Lage kommt man nicht heraus. Ich war vorher in Armenien - das wird von beiden Seiten, von der Türkei und Aserbeidschan bedrängt -, jetzt in Georgien. Russland ist allgegenwärtig und da ist es vernünftig, ein sachliches, eher freundliches Verhältnis zu diesem übermächtigen Nachbarn zu entwickeln, und Iwanischwili sagt, ich will zunächst einmal vor allem den Stil ändern, den Kommunikationsstil. Sakaschwili war ein großer Redner mit einer geradezu gigantischen antirussischen Rhetorik. Geholfen hat es wahrlich nichts. Iwanischwili will dieses Verhältnis ändern, einen sachlicheren, freundlicheren, kommunikativeren Stil erreichen. Aber seine grundsätzlichen Ziele, so beteuert er, bleiben Europa, die NATO. Man wird sehen, denn selbst wenn es weiter in diese Richtung geht, Russland ist immer noch der übermächtige Nachbar.

    Liminski: Was kann denn Europa tun, um die Demokratie in Georgien zu festigen?

    Thierse: Ich denke, dass zivilgesellschaftlicher Austausch, kultureller Austausch … Ich bin gerührt gewesen, wie viele Menschen in Georgien Deutsch sprechen, welche leidenschaftliche Zuneigung zu deutscher Kultur dort vorhanden ist. Also diesen Austausch fördern, auch die wirtschaftlichen Beziehungen so weit es geht verbessern. Es laufen ja gerade Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen zwischen diesen Ländern und der EU und einem Assoziierungsabkommen. Dies Schritt für Schritt weiterzugehen, ohne Georgien einerseits zu überfordern, aber auch ohne sozusagen nachlässige Bedingungen für dieses Land zu schaffen, was dann auch nicht hilft.

    Liminski: Wie sehen Sie denn das geopolitische Umfeld Georgiens? Sie haben es eben kurz angedeutet. Kann es lupenreine Demokratien in dieser Weltregion geben?

    Thierse: Das Wort ist ja ein, wie wir wissen, problematisches Wort. Wir müssen schon mit dazu beitragen, sofern es geht, dass dort stabile Demokratien sich entwickeln, vor allem eine unabhängige Justiz, Rechtsstaatlichkeit. Das scheint, mir mindestens genauso wichtig zu sein wie demokratische Verfahren. Das wird ein mühseliger Prozess, immer angefochten durch die Konflikte dieser Region – denken Sie an Südossetien und an Abchasien, an den Karabach-Konflikt. Dort sind ständig auch nationalistisch anheizbare Konflikte, die auch wieder in Gewalt umschlagen können. Da wird es immer ein bisschen schwierig sein, sozusagen zu einer so entspannten Demokratie wie in der Mitte Europas zu kommen.

    Liminski: Herr Thierse, Sie haben Erfahrungen mit diktatorischen Systemen und dem Hineinwachsen in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Was braucht Georgien, um die Demokratie und die Freiheit langfristig zu sichern?

    Thierse: Es wäre gut, wenn diese Kohabitation gelänge, damit die Georgier sich daran gewöhnen, es muss nicht einer alle Macht haben, wovor sie ja auch im Grunde immer Angst hatten - aber wenn man weiß, Georgien hat in den letzten 20 Jahren mehrere bürgerkriegsähnliche Konflikte -, sozusagen die Stabilität der Institutionen dadurch, dass tatsächlich so etwas wie Macht- und Arbeitsteilung in der Demokratie stattfindet. Ich wünsche mir natürlich auch, dass in Georgien die eigene kommunistisch-stalinistische Vergangenheit anders bearbeitet wird. Ich war in Gori, in der Geburtsstadt Stalins, in dem dortigen Museum; das ist entsetzlich, es ist pervers. Und ich hoffe, dass es der Zivilgesellschaft gelingt, diese eigene Vergangenheit auch zu thematisieren, weil man nur so wirklich miteinander kollektiv begreift, wie kostbar die Freiheit ist, weil man sich daran erinnert, wie entsetzlich Diktatur gewesen ist.

    Liminski: Georgien, die Demokratie, die Freiheit und geopolitische Bedingungen – das war hier im Deutschlandfunk der SPD-Politiker Wolfgang Thierse. Besten Dank für das Gespräch, Herr Thierse.

    Thierse: Auf Wiederhören!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.