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Thierse: Frauenkirche ist Symbol für Versöhnung

Vor der Weihe der Dresdener Frauenkirche am Sonntag hat Bundestagspräsident Wolfgang Thierse den Wiederaufbau der Kirche als ein Symbol für Versöhnung bezeichnet. Was in Dresden begonnen wurde, solle in Berlin mit der Wiedererrichtung des Stadtschlosses fortgeführt werden.

Moderation: Britta Fecke | 29.10.2005
    Britta Fecke: Bis zum Februar 1945 thronte die Kuppel über den Dächern von Dresden, lag die Frauenkirche in der Landschaft des Elbtals. Dann schossen die alliierten Bomber sie in Trümmer. Wäre es nach dem Willen des Baurats der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen gegangen, wäre in der Mitte Dresdens noch immer ein Trümmerhaufen. Der Baurat sagte nämlich vor knapp 15 Jahren in einer Denkschrift zum Wiederaufbau, die Frauenkirche könne die Welt nur erreichen durch das Zeichen der Ruine. Stattdessen erreichte sie alle möglichen Teile der Welt mit ihrem Wiederaufbau. Auch ehemalige Kriegsgegner spendeten Millionen, um die protestantische Bürgerkirche von 1726 noch einmal zu bauen. Am Sonntag wird sie nach zwölf Jahren Bauzeit feierlich geweiht. Die wenigen, die die Kirche bereits von innen sehen durften, sind verzaubert. Lediglich die Rückwand der Apsis und die dahinter liegende Stiege zur Orgel standen nach dem Sturz der Kuppel noch. Nach dem 1990 der Ruf aus Dresden für den Wiederaufbau der Frauenkirche in die Welt ging, kamen Spenden aus aller Herren Länder. Vom Dresdener Trust kam über 700.000 Pfund, aus New York kamen zwei Millionen Euro, die Dresdener Bank spendete sieben Millionen Euro, und 60 Millionen kamen aus weltweiten Spenderbriefen. Der Trompeter Ludwig Güttler spielte mit seinem Ensemble mehr als 33 Millionen ein. Große und kleine Spenden haben wieder Stein auf Stein gesetzt und nun krönt die kühne Kuppelkonstruktion wieder die Silhouette der Stadt. Ich bin jetzt verbunden mit dem Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Thierse. Herr Thierse, haben Sie schon von der Laterne über der Kuppel den Blick über die Dächer von Dresden genossen?

    Wolfgang Thierse: Ja, ich habe das Vergnügen schon gehabt. Ich war auch schon in der fertigen Kirche. Es ist ein überwältigender Eindruck. Ich verstehe die Dresdener, dass sie von einem Wunder sprechen, dass sie bewegt sind. Das ist wirklich ein wundervolles Ereignis.

    Fecke: Die Ruine sollte ja als Mahnmal gegen den Krieg stehen bleiben. Für was steht die wieder aufgebaute Frauenkirche für Sie jetzt?

    Thierse: Sie steht dafür, dass Wunden auch geheilt werden können, ohne dass man Narben verstecken will und kann. Sie steht für ein geradezu fantastisches Bürgerengagement. Denn, dass diese Kirche wieder aufgebaut wird, das ist ja passiert gegen viel Skepsis, gegen Widerstände zum Beispiel der Denkmalschutz-Dogmatiker, die sagten: Was einmal zerstört war, darf nicht wieder aufgebaut werden. Diese Denkmalschutz-Dogmatiker, die gibt es ja überall, die verhindern ja auch anderswo, dass wieder etwas errichtet wird, was zerstört war. Sie steht auch dafür, dass wir in diesem vereinten Deutschland nicht unsere Geschichte vergessen, aber dass unsere Geschichte auch einmal gut ausgehen kann, so wie das auch mit der Wiedervereinigung mit uns auf eine geradezu glückliche Weise passiert ist. Für all das steht sie. Und dafür, dass Dresden einmal eine der schönsten deutschen Städte war und nun wieder zu den schönsten deutschen Städten gehört - ohne dass übersehen werden kann, wie schwer zerstört sie durch den Nazikrieg gewesen ist.

    Fecke: Der Virtuose Ludwig Güttler hat seine Hochschulkarriere sausen lassen und damit auch auf seine Rentenansprüche verzichtet. Das fällt ihm wahrscheinlich leichter als dem Steinmetz - aber dennoch, ich will den Bogen jetzt ein bisschen weit spannen, aber ich glaube nicht überspannen, wenn ich frage: Warum kann ein Kulturprojekt so viele Kräfte und Spenden mobilisieren und ein politisches Projekt nicht?

    Thierse: Ja, ein solches Kulturprojekt, ein Bauprojekt ist eben konkret und fasslich. Man sieht eine Ruine - und dies war eine besondere Ruine, ich war oft genug schon zu DDR-Zeiten in Dresden und ich war immer an dieser Ruine und ich erinnere mich daran, dass jeden Februar die Dresdener zu dieser Ruine gegangen sind und an die Zerstörung der Stadt erinnert haben, also sie war immer ein besonderer emotionaler Bezugspunkt, auch ein Stachel im Fleisch - und wenn da jetzt dann 1990 eine kleine Gruppe von Bürgern mit dem Güttler, mit dem Pastor und so weiter hingegangen sind und gesagt haben: Wir müssen das wieder aufbauen, dann war das etwas unerhört fassliches. Man wusste, es ist erreichbar, auch wenn es zunächst einmal ganz undenkbar erschien. Das ist etwas anderes, als wenn man über die deutsche Einheit redet und den Aufbau Ost und wie immer wir das nennen. Das ist abstrakter, das ist überwältigender, das ist diffuser als ein so konkretes Projekt, an das sich Emotionen binden, das konkret genug ist, aber zugleich ein Sinnbild ist für viel mehr.

    Fecke: Aber es schien ja unmöglich. Und viele andere Sachen wie Haushaltsdefizite scheinen ja auch unmöglich. Also, doch noch mal nachgehakt, ...

    Thierse: Ja, aber indem sie das sagen: Da baue ich etwas auf, das ist sichtbar, da können viele Menschen durch einen konkreten Beitrag - sie spenden unterschiedlich viel - wenn ich mich daran erinnere: Es gab eine, eine Uhr wurde verkauft, in der ein kleines Steinchen der Ruine drinnen war -, also ganz viele konnten etwas Konkretes beitragen. Das hat ihnen ein gutes Gefühl verschafft. Das war auch in der Emotion wie im Bewusstsein ein Beitrag zu einem wirklich sichtbaren Fortschritt. Das Staatsdefizit von Bund, Ländern und Gemeinden abzubauen, das ist doch nur mit Einbußen, mit Einsparungen, mit Ärger, mit Verzweiflung, mit Abwehr verbunden. Da stellt sich die menschliche Haltung ein: Die anderen sollen mal, ich selber möchte nicht getroffen sein. Das war halt bei der Frauenkirche, bei so einem konkreten, wunderbaren Projekt, ganz anders.

    Fecke: Deutschland scheint aber - zumindest an dem Beispiel erkennbar - fähig zu sein für eine Bürgergesellschaft.

    Thierse: Das ist so. Und deswegen soll man das auch ausdrücklich immer wieder so loben und sagen: Warum soll das nicht auch anderswo passieren? Ich, als Berliner bin ich dann auch richtig neidisch. Wenn wir darüber reden: Wie könnten wir diesen wunderbaren barocken Säkularbau, das Berliner Schloss, das weniger zerstört war als die Frauenkirche, dass dann zu DDR-Zeiten unter SED-Kommando abgerissen worden ist, wie könnten wir das wenigstens teilweise wieder aufbauen, dass die historische Mitte Berlins wieder ihr Gewicht bekommt?, da sind dann allzu viele - nicht nur in Berlin, sondern über Berlin hinaus - damit befasst, zu sagen: Was einmal gewesen ist, darf nicht wiederkommen, das sei alles Restaurierung des Preußentums. Wer wird in Dresden daran gedacht haben, dass das mal ein barockes Werk war und in einer bestimmten Zeit entstanden ist? Nein, man weiß, das gehört zum historischen Inneren, zur historischen Identität dieser Stadt. Also, was Dresden erlaubt ist und was vielen anderen Deutschen erlaubt war, wünschte ich mir gelegentlich auch zum Beispiel für Berlin.

    Fecke: Das heißt, Sie sind ein Befürworter für den Wiederaufbau des Stadtschlosses in Berlin?

    Thierse: Ja. Man weiß, das wird nicht hundertprozentig wieder gehen. Aber dass man die Fassaden, die Kubatur, den wunderbaren Schlütersaal wieder errichtet, dafür bin ich sehr. Und Dresden ist ein Beispiel, wie das gehen kann. Wenn es Bürgerengagement gibt, wenn sich viele daran beteiligen und wenn manche ideologischen Widerstände dagegen überwunden werden können.

    Fecke: Jetzt kann ich aber dagegenhalten, dass es noch sehr viele gut erhaltene historische Gebäude in Berlin gibt - auch mit einer guten Akustik -, die noch stehen, die aber vor sich hin rotten.

    Thierse: Das wäre aber für Dresden noch viel mehr der Fall gewesen. Das ist ein Argument, das auch gegen die Frauenkirche formuliert worden ist.

    Fecke: Aber in Dresden stand nicht mehr so viel Historisches. Also, ...

    Thierse: Nein, in Berlin steht viel weniger Historisches. Die Stadt ist durch den Krieg zerstört worden. Es gibt das berühmte Diktum, dass die Stadt alle 40 Jahre sich selber zerstört. In Berlin gibt es sehr viel moderne Architektur - zehn Prozent dazu vorzüglich, vielleicht die Hälfte gut und die Hälfte schlecht. Also die Stadt Berlin verträgt schon ein bisschen mehr historische Selbstvergewisserung, als sie das jetzt hat. Also Dresden ist, glaube ich, ein Beispiel dafür, dass das gelingen kann und dass das einer Stadt gut tut. Wenn Sie jetzt nach Dresden kommen und über die Elbe fahren und diese wunderbare, wieder erstandene Kulisse sehen und dann wissen, dass davon fast nichts mehr da war, dann ist das ein sehr gutes, ein überzeugendes Argument gegen diesen Denkmalschutz-Dogmatismus, nach dem es heißt: Was einmal weg war, darf nicht wieder errichtet werden. Dies ist eine - nicht eine Kopie, sondern eine historisch getreue Rekonstruktion eines wundervollen Baus und er wird, glaube ich, alle Besucher beeindrucken.

    Fecke: Wenn Sie von den historischen Bedeutungen der Gebäude sprachen, ist es dann nicht auch ein Fehler, im Blick auf die Zukunft, den Palast der Republik abzureißen?

    Thierse: Ich würde ihn ja nicht abreißen, wenn er nicht bis auf sein Skelett schon zurückgebaut wäre wegen dieser berühmten Belastung. Aber da nun diese Entscheidung so getroffen ist, und es gibt ja eine zweimalige Bundestagsentscheidung dafür, an der Stelle des Palastes der Republik einen neuen Bau zu errichten, der das Schloss teilrekonstruiert, um dort, im Zentrum Berlins dann ein Humboldt-Forum zu errichten mit den außereuropäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, mit den Sammlungen der Humboldt-Universität, dann würde dort ein außerordentlicher kultureller Ort entstehen und auf der Museumsinsel insgesamt eines der faszinierendsten Museumslandschaften der ganzen Welt, dann hätte Berlin wieder eine richtige kulturelle Mitte.

    Fecke: Wenn die Frauenkirche zum Symbol der Versöhnung wurde, warum musste die Gedächtniskirche in Berlin dann das Mahnmal an den Zweiten Weltkrieg bleiben?

    Thierse: Ja das sind Entscheidungen, die in den 50er Jahren so getroffen worden sind. Ich will das gar nicht im Nachhinein kritisieren. Damals hat man sich nicht in der Lage gesehen, subjektiv - ich hätte beinahe gesagt: moralisch - eine Ruine wieder ganz zu beseitigen und den alten Bau vollständig zu rekonstruieren. Das sind so Entscheidungen, die hat man zu respektieren. In Dresden ist es den Dresdenern gelungen - nicht allen, aber vielen -, zu verhindern, dass die Ruine der Frauenkirche vollständig beseitigt wird und dort irgendein Plattenbau hingesetzt würde oder irgendetwas Modernes. Und weil diese Ruine immer da war, hat sie immer erinnert an den Krieg und immer erinnert daran, dass man das doch vielleicht auch wieder aufbauen könnte. So unwahrscheinlich das für 1990 war, im Rückblick sieht man: Es war eine mutige, faszinierende Entscheidung, die, wie ich finde, von ansteckender Wirkung sein sollte.

    Fecke: Ich weiß, auch von Ihren Mitarbeitern, dass Sie selbst nach heftigen politischen Tagen, wenn alle anderen schon die Füße hochlegen, immer noch in die nächste Kirche stapfen, um sich das Gebäude anzuschauen und vielleicht auch noch ein Konzert zu genießen. Was für ein Orgelkonzert würden Sie sich wünschen in der Frauenkirche? Wo würden Sie hingehen?

    Thierse: Also natürlich, es gibt - das ist interessant, man hat sich entschieden, eine moderne Orgel dort hineinzubauen, nicht die alte Silbermannorgel. Auch das gehört mit zu den, wie ich finde, gut bedachten Entscheidungen. Es ist nicht eine totale Kopie, Wiederherstellung des Alten, sondern man hat auch eine solche Entscheidung getroffen. Und natürlich wird es, nehme ich an, am Sonntag beim Einweihungsgottesdienst große Werke der Orgelliteratur geben - Buxtehude und Bach und so weiter, ich weiß es nicht. Und es gibt ja zum Glück auch Orgelmusik des 20. Jahrhunderts. Auch die Musik dient nicht der Musealisierung nur, so wenig diese Frauenkirche nun ein Museum ist, sondern eine lebendige Gemeindekirche hoffentlich sein wird.